Abtreibungsgesetze in Lateinamerika:Dein Bauch gehört uns

A group of women participate in a demonstration in front of the Uruguayan Congress building in Montevideo

Erfolgreicher Protest vor dem Kongressgebäude (2012): In Uruguay ist der Schwangerschaftsabbruch nun erlaubt.

(Foto: REUTERS)

Eine Elfjährige wird vergewaltigt - und Chiles Präsident Piñera lobt sie dafür, dass sie das Kind austragen will: Selbst nach Vergewaltigungen sind Abtreibungen in Teilen Lateinamerikas strikt verboten - doch immer mehr Staaten reagieren nun auf solche Tragödien.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Wenn Chiles Regierung in sozialen Fragen das Wort erhebt, dann wird es oft abenteuerlich. Präsident Sebastián Piñera vertritt den rechten Flügel einer der konservativsten Gesellschaften Lateinamerikas. Seinen glorreichsten Moment hatte er 2010 bei der telegenen Rettung der verschütteten Minenarbeiter im Norden des Landes, ansonsten neigt er eher zu skurrilen Aussagen aller Art.

Nun verblüffte der steinreiche Unternehmer die Welt mit seinem Lob für eine Elfjährige, die von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde und jetzt im vierten Monat schwanger ist. Das Mädchen berichtete im Fernsehen, sie wolle das Baby bekommen. Daraufhin verkündete Piñera in einem Interview, an erster Stelle stehe zwar das Leben der Mutter, doch er schwärmte, ihr Wunsch beweise "eine Tiefe und Reife."

Tiefe und Reife eines missbrauchten Kindes, das ein Kind zur Welt bringen will? Kürzlich war der Fall Belén bekannt geworden und spaltet seither die südamerikanische Republik in zwei Lager. Das Opfer wohnt in Puerto Montt, 1000 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile, wo das Land in die Fjorde und Inseln Patagoniens zerklüftet ist. Die Verhältnisse in dem Ort mit seiner halb verfallenen Lachs- und Holzindustrie sind vielfach prekär, die junge Belén wurde von ihrem Stiefvater geschändet.

Die Mutter behauptete im TV-Sender Canal 13, das sei freiwillig geschehen. Die Tochter bestritt das in demselben Kanal, sagte aber: "Ich werde das Baby sehr lieb haben, auch wenn es von diesem Mann kommt, der mir weh tut. Ich werde es wie eine Puppe in meinen Armen halten."

Rechtlich hat sie derzeit auch keine andere Möglichkeit, als sich mit den Folgen der Gewalt im Elternhaus abzufinden. Abtreibungen sind in Chile selbst nach Vergewaltigungen verboten und sogar dann, wenn die Gesundheit der Schwangeren und des Fötus in Gefahr sind. Die Nation zwischen Anden und Pazifik ist da genauso streng wie El Salvador und Nicaragua. Erlassen worden war das Reglement von Diktator August Pinochet, und ganz im Sinne der Katholischen Kirche und reaktionärer Politiker wurde auch diese Fessel mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Regimes nicht gelöst.

Piñeras Riege bleibt hart

Das Wirtschaftssystem aus der Ära Pinochet ist heute eine neoliberale Spielwiese, Schüler und Studenten protestieren gegen teure Ausbildungsgebühren und ungerechte Lohnverteilung. Bei gesellschaftlichen Themen zählt Chile dagegen zu den rückständigsten Ländern der Welt. Scheidungen sind erst seit 2004 erlaubt. Aufständische Mapuche-Ureinwohner im Süden werden weiter unter dem Schutz von Pinochets Antiterror-Paragrafen bekämpft, Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas.

Jetzt streitet Chile also um die kindliche Belén und ihren erzwungenen Nachwuchs, der für Hunderte ähnlicher Fälle steht. Erst im Oktober 2012 war eine 13-Jährige niedergekommen, nachdem sie ihr Vater geschwängert hatte. Laut einer Studie werden in Chile täglich im Schnitt 38 Minderjährige sexuell misshandelt.

Einige Staaten der Region haben auf solche Tragödien reagiert. In Uruguay, auf Kuba und in Mexiko-Stadt ist Schwangerschaftsabbruch binnen der ersten zwölf Wochen erlaubt. Kolumbien, Brasilien und Argentinien gestatten Abtreibung nach Vergewaltigung und bei bedrohlichen Symptomen. "Nehmt eure Rosenkränze aus unseren Eierstöcken", skandierten Befürworterinnen der Abtreibung auf Demonstrationen. Andere Länder des erzreligiösen Subkontinents wiederum stemmen sich gegen flexible Lösungen, was zu einer Flut an geheimen Eingriffen mit Toten und Verletzten führt.

In El Salvador machte kürzlich das Drama einer Frau mit Decknamen Beatriz die Runde. Sie durfte ihre Schwangerschaft nicht beenden, obwohl sie unter einer schweren Krankheit litt und ihr Fötus nicht lebensfähig war. Schließlich fand die Totgeburt als vorgezogener Kaiserschnitt statt, um den Schein zu wahren.

Darauf könnte es auch bei der Chilenin Belén hinaus laufen, denn laut Experten ist ihr Körper für eine Niederkunft noch längst nicht geeignet. Enrique Paris vom chilenischen Ärzteverband tritt für einen Abbruch der Schwangerschaft ein. Die sozialistische Präsidentschaftskandidatin und Kinderärztin Michelle Bachelet, Piñeras Vorgängerin und mutmaßliche Nachfolgerin, will sich für die Legalisierung von Abtreibungen nach Vergewaltigungen einsetzen.

Piñeras Riege aber bleibt hart. Gesundheitsminister Jaime Mañalich soll Belén betreuen, so der unbeliebte Staatschef. Mañalich sagte, man werde die Geburt eventuell auf die 24. Woche vorziehen. Regierungssprecherin Cecilia Pérez findet: "Wenn eine Frau ihre erste Regel hat, ihre erste Menstruation, dann ist sie darauf vorbereitet, Mutter zu sein." Das sei nicht ideal, aber im Mittelalter und in der Renaissance seien Frauen auch mit 14, 15, 16 Jahren Mütter geworden. Doch Belén ist elf, und das Mittelalter sollte auch in Piñeras Chile schon eine Zeitlang her sein.

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