Abtransport der "Costa Concordia":Mit 4 km/h in Richtung Genua

Von Giglio aus gesehen, ist die "Costa Concordia" am Nachmittag nur noch ein kleiner Punkt am Horizont: Schlepper ziehen das Schiffswrack immer weiter aufs offene Meer. Die Ingenieure und Bergungsexperten ringen um Fassung, doch die Bewohner von Giglio sprechen von einer "Befreiung".

Von Andrea Bachstein, Rom, Thierry Backes und Oliver Klasen

  • Der Abtransport der Costa Concordia hat begonnen - Schlepper ziehen das Wrack mit etwa vier Kilometern pro Stunde auf das offene Meer hinaus.
  • Ein Dutzend Begleitschiffe und ein Hubschrauber überwachen den Transport.
  • Das Schiff wird von Giglio bis in den Hafen von Genua mindestens vier Tage unterwegs sein. Dort soll es zerlegt werden.
  • Schlechtes Wetter hat den Transport in den vergangenen Tagen immer wieder verzögert und könnte auch jetzt zu Behinderungen führen.

Die "Costa Concordia" verlässt Giglio

Wenn die Einwohner von Giglio am Mittwochabend am Hafen ihrer kleinen Insel stehen, dann werden sie einen Anblick haben, den sie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr genießen konnten. Sie werden dann gen Osten blicken, auf das freie Meer. Und vielleicht verspüren sie auch einen kleinen Phantomschmerz, weil das Schiffswrack vor ihrer Insel nun verschwunden ist - jene Costa Concordia, bei deren Havarie am 13. Januar 2012 insgesamt 32 Menschen ums Leben gekommen sind.

Für das bloße Auge ist das Schiff schon am frühen Nachmittag praktisch unsichtbar geworden vom Hafen Giglios aus. Die rot-weiße Schwimmbarriere, die das Wrack umgab, treibt auf dem blauen Wasser wie eine riesige Tatortmarkierung. Die Menschen schauen immer wieder auf die leere Stelle. Noch fühlt es sich unwirklich an, dass nach bald 900 Tagen nichts mehr dort ist, dass alles so schnell, so scheinbar leicht ging am Ende.

So liefen die ersten Stunden das Abschleppmanöver

Um 8.30 Uhr begann das Abschleppmanöver vor Giglio. Die Schlepper Resolve Earl und ITC Blizzard drehten die Costa Concordia schon kurz nach Beginn der Operation Richtung Osten und bewegten sie ein Stück von der Insel weg. Mit langen Sirenentönen grüßen die Schlepper noch einmal, die Schaulustigen auf der Mole applaudieren.

Um 11 Uhr, gut eine Stunde früher als geplant, setzt sich die Costa in Bewegung. Schlepper ziehen das Wrack seitdem langsam auf das offene Meer hinaus. Es bewegt sich nun mit etwa zwei Knoten (etwa 3,7 km/h) in Richtung Genua. Für den Betrachter im Hafen ist das allerdings ganz schön schnell. Der Abstand zur Insel wächst, während die Concordia nur eine kleine glatte Spur im Wasser hinter ihrem Heck zieht.

Freude im Hafen von Giglio

Sechs Seemeilen (etwa elf Kilometer) liegen um 12 Uhr schon zwischen ihr und Giglio, berichtet der Leiter des Bergungsprojekts. Er, die anderen Ingenieure und der italienische Regierungskommissar Franco Gabrielli ringen zu Beginn ihrer Pressekonferenz mit der Fassung, ihre Gedanken gelten auch der Suche nach dem letzten Vermissten des Unglücks, des indischen Stewards Russel Rebello. Am Mittag drängen sich noch immer Menschen auf der Mole von Giglio Porto für die letzten Blicke auf das Wrack. Einheimische sprechen, während sich die Costa langsam entfernt, immer wieder von einer "Befreiung".

Die wettergegerbten Bergungsarbeiter feiern ein bisschen an der Hafenpromenade, zeigen zum Spaß ihre Muskeln, gönnen sich dicke Zigarren und Bier, ein paar singen "We are the Champions", das muss jetzt sein. Der italienische Kabinettsminister Graziano Delrio, der auf die Insel gekommen ist, sagt, was heute vollendet wurde, sei auch ein Tribut an die Opfer der Katastrophe. "Unser Land kann aus seinen Fehlern lernen. In diesem Fall aus den Fehlern einzelner, denn der Fehler eines einzeln kann die ganze Gemeinschaft teuer zu stehen kommen."

"Wir sind am Ausgang des Tunnels, aber wir haben noch ein Stück Weg vor uns", sagt Giglios Bürgermeiset Sergio Ortelli. "Wir sind nicht die Insel der Tragödie, sondern eine Insel die sich wieder aufmachen will, um zur Normalität zurückzukehren."

Die letzte Reise des Schiffs

Genau 208 nautische Meilen, etwa 385 Kilometer, sind es bis in den Hafen von Genua, wo das Schiff zerlegt werden soll. Der Kurs der Costa Concordia führt durch das Tyrrhenische Meer nach Nordwesten an den Inseln Montecristo, Pianosa, Korsika und Elba vorbei bis nach Genua. Da sich die ganze Konstruktion nur sehr langsam bewegt, dauert die Fahrt von Giglio bis nach Genua voraussichtlich vier bis fünf Tage.

Fast ein Dutzend Begleitschiffe und ein Hubschrauber werden den Transport überwachen. Neben der Costa Concordia patrouilliert die Küstenwache, außerdem wollen Umweltschützer prüfen, ob eventuell Öl aus dem Wrack austritt. Für alle Fälle reist auch ein Spezialschiff mit, das Öl abpumpen kann, außerdem Spezialboote mit Bergungsinstrumenten.

Das Meer wird um den Konvoi herum während der Reise weiträumig abgesperrt, ebenso der Luftraum. Am gefährlichsten für das Schiff sind starke Winde und Wellen, denen das Wrack möglicherweise nicht standhalten könnte.

Abtransport der "Costa Concordia": Auf dem Weg nach Genua: das Wrack der Costa Concordia.

Auf dem Weg nach Genua: das Wrack der Costa Concordia.

(Foto: AP)

Verzögerungen durch schlechtes Wetter

Das Abschleppen wird von dem Firmenkonsortium Titan-Micoperi organisiert, das das Schiffwrack im September schon aufgerichtet hat. In der vergangenen Woche wurde das Schiffswrack auf den Abtransport vorbereitet. Ingenieure brachten 30 Schwimmtanks an den beiden Seiten des Schiffes an und füllten sie mit Pressluft, um der Konstruktion mehr Auftrieb zu geben.

Eigentlich hätte die Costa Concordia schon am Montag die Küste von Giglio verlassen sollen. Doch wegen starker Winde verzögerte sich der Abtransport. Es war nicht das erste Mal, dass das Wetter den Zeitplan des Bergungsteams durcheinanderbringt: In der vergangenen Woche waren die Unterwasserarbeiten zum Anheben des Wracks unterbrochen worden, um die Taucher nicht zu gefährden.

Das Wetter ist - und bleibt - auch beim Abschleppen nach Genua ein großer Unsicherheitsfaktor.

Demontage in Genua - Kosten von 1,5 MIlliarden Euro

Wenn die Costa Concordia im Hafen von Genua angekommen ist, wird sie auf einer bereits vorbereiteten Fläche im Containerterminal zerlegt. Nur etwa 20 Prozent des 114 000 Tonnen schweren Wracks werden endgültig verschrottet, 80 Prozent des Materials können wiederverwertet werden. Etwa 700 Arbeiter werden fast zwei Jahre mit der Demontage beschäftigt sein. Zuerst wird die Inneneinrichtung des Schiffs entfernt, anschließend werden die einzelnen Decks nach und nach abgetragen.

Bergung, Abschleppen und Verschrottung der Costa Condordia dürfte wohl der teuerste Einsatz werden, den es in der Seefahrt je gegeben hat. Auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro hat Michael Thamm, der Vorstandschef der Reederei Costa Crociere, die Kosten beziffert, die infolge des Unglücks entstanden sind.

Giglio danach

Auch wenn die Sicht auf das Meer jetzt wieder frei ist: Die Arbeiten in Giglio gehen weiter. Einige Monate lang dürfte es dauern, die schwimmende Stadt aus Plattformen und Containern zu entfernen, die rund um das Wrack entstanden ist. Außerdem wird der Meeresboden vor der Insel noch einige Jahre auf negative Auswirkungen auf die Pflanzen- oder Tierwelt überwacht. Aber immerhin dürfte es die Bewohner von Giglio vielleicht ein wenig trösten, dass diese Arbeiten unter der Wasseroberfläche stattfinden.

Linktipp

  • Die Mailänder Zeitung Corriere della Sera zeigt mit dieser Grafikgalerie, wie die Bergung abläuft und wie die einzelnen Phasen dabei aussehen.
  • Auf der Homepage des italienischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks RAI lässt sich in diesem Video der Abtransport im Zeitraffer nachverfolgen.
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