Absturz im Mittelmeer:Sturzflug ins Nichts: das Rätsel um Flug MS804

Absturz im Mittelmeer: "Keine Hypothese ist ausgeschlossen", sagt François Hollande zum Verschwinden des Airbus A 320.

"Keine Hypothese ist ausgeschlossen", sagt François Hollande zum Verschwinden des Airbus A 320.

(Foto: Ahmet Akin Diler/AP)

Welche Umstände dafür sprechen, dass ein Terroranschlag den Flug der Egypt Air zum Absturz brachte.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo und Christian Wernicke, Paris

Es war 1.48 Uhr am Morgen, als die griechische Flugsicherung das letzte Mal Kontakt hatte mit Egypt-Air-Flug MS 804 von Paris nach Kairo. Es habe keine Besonderheiten gegeben, keine Anzeichen, dass der Airbus A 320 mit 66 Menschen an Bord ein Problem gehabt hätte, teilten die Behörden in Athen mit. Der Pilot sei gut aufgelegt gewesen und habe sich auf Griechisch bedankt. Um 2.27 Uhr versuchten die Fluglotsen, ihn erneut zu kontaktieren. Die Maschine war dabei, in den Kontrollbereich der ägyptischen Kollegen einzufliegen. Weder auf der normalen noch auf der für Notfälle reservierten Funkfrequenz kam eine Antwort, trotz wiederholter Versuche. Zwei Minuten und 40 Sekunden später verschwand das 2003 in Dienst gestellte Flugzeug vom Radar.

Hollande will auch die "Hypothese Terrorismus" nicht ausschließen

Was dazwischen passiert ist, blieb zunächst ein Rätsel. Frankreichs Präsident François Hollande sagte zwar bereits am Vormittag, man müsse davon ausgehen, dass die Maschine ins Mittelmeer gestürzt sei. Die griechischen Behörden vermuten den Unfallort südöstlich der Insel Karpathos, etwa 280 Kilometer von der ägyptischen Küste entfernt. Zugleich warnte Hollande allerdings auch vor voreiligen Spekulationen: "Keine Hypothese ist ausgeschlossen, keine Hypothese ist vorrangig", sagte er. Die Ursache könne ein Unfall oder etwas anderes sein, also auch die "Hypothese Terrorismus".

Der ägyptische Luftfahrtminister Sherif Fathy äußerte sich am Nachmittag zunächst noch defensiver. "Solange wir keine Wrackteile gefunden haben, werde ich von einem vermissten Flugzeug sprechen", sagte er merklich genervt bei einer Pressekonferenz in Kairo. "Wir müssen uns an die Fakten halten." Später räumte er dann allerdings ein, dass er einen Anschlag nach Analyse der Umstände für wahrscheinlicher halte als einen technischen Defekt. Auch der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, sagte in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, dass man es "allem Anschein nach mit einem Terrorakt" zu tun habe.

Warum haben die Piloten keinen Notruf abgesetzt?

Gesicherte Fakten waren zunächst relativ rar: Die Maschine hatte um 23.09 Uhr ihre Position am Flughafen Charles de Gaulle in Paris verlassen, laut Radardaten hob sie zwölf Minuten später ab und nahm Kurs auf Kairo. Dort sollte sie um 3.15 Uhr morgens landen. An Bord waren 56 Passagiere: 30 Ägypter, 15 Franzosen, zwei Iraker und je ein Algerier, ein Brite, ein Belgier, ein Kanadier, ein Kuwaiter, ein Tschader, ein Portugiese, ein Saudi und ein Sudanese. Unter ihnen sollen ein Kind und zwei Kleinkinder unter zwei Jahren gewesen sein. Sieben Crew-Mitglieder und drei Sicherheitsleute von Egypt Air betreuten den Flug. Der Flieger war am Nachmittag aus Kairo in Paris eingetroffen.

Um 2.45 Uhr lösten die Griechen Alarm aus und schickten ein erstes Suchflugzeug in die vermutete Absturzregion. Einen Notruf hatte die Crew nicht abgesetzt, Berichte, es sei ein - möglicherweise automatisch ausgesandtes - Notsignal aufgefangen worden, dementierte das ägyptische Militär. Im Laufe des Tages flogen Maschinen aus Ägypten, Griechenland und Frankreich die Region ab, Kriegs- und Handelsschiffe beteiligten sich an der Suche. Am Abend teilte Egypt Air mit, es seien Plastikteile und Rettungswesten von dem Wrack im Meer gefunden worden. Die griechischen Behörden bestätigten dies allerdings nicht: Die im Mittelmeer entdeckten Trümmerteile gehörten demnach nicht zu einem Flugzeug. Die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, schwand mit jeder Stunde.

Die Maschine war noch im Reiseflug unterwegs, in 11 275 Meter Höhe, als die Probleme auftraten. Die meisten Flugunfälle passieren in der Start- und Landephase, Abstürze dazwischen sind selten, kommen aber immer wieder vor - aus technischen Gründen oder eben durch Terroranschläge. Eine Explosion an Bord wäre eine mögliche Erklärung, warum die Piloten keinen Notruf absetzen konnten; sie führt in dieser Höhe in der Regel zu einem Auseinanderbrechen der Maschine. Vielleicht waren die Piloten aber auch nur zu beschäftigt mit dem Versuch, einen Defekt unter Kontrolle zu bekommen. Oder es hat einen Zwischenfall im Cockpit gegeben.

Auf der Suche nach Verdächtigen überprüfen Experten in Paris Aufnahmen von 9000 Kameras

Spekulationen darüber befeuerten Aussagen des griechischen Verteidigungsministers Panos Kammenos. Die Maschine sei zunächst eine scharfe Kurve 90 Grad nach links geflogen, um dann kurz darauf um 360 Grad nach rechts zu drehen. Zugleich sei der Airbus binnen Minuten auf etwa 4500 Meter Flughöhe abgesackt. Als er vom Radar verschwand, sei er noch etwa 3000 Meter hoch geflogen. Ein solches Radarmuster wäre aber auch erklärbar mit einem schweren Defekt wie einem Abreißen des Hecks - was wiederum eine Bombe verursacht haben könnte.

Präsident Hollande sprach den Familien der Opfer Frankreichs "Solidarität und Mitgefühl" aus. Seine Regierung arbeite bei den Ermittlungen eng mit den ägyptischen Behörden zusammen. "Wir haben die Pflicht, alles über die Ursachen des Geschehens zu erfahren." Wenige Minuten später teilte die Staatsanwaltschaft von Paris mit, man habe die Generaldirektion der Gendarmerie mit den Ermittlungen beauftragt. Und in Ägypten setzte der Generalstaatsanwalt die Terrorspezialisten der Staatssicherheit in Marsch.

ms804

SZ-Karte

Ägypten hat bei der Sicherheit von Flügen nachgebessert

Sowohl Ägypten als auch Frankreich sind im vergangenen Jahr Opfer schwerer Anschläge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geworden. Am 31. Oktober 2015 war der Airbus A 321 einer russischen Fluggesellschaft kurz nach dem Start im Badeort Scharm el-Scheich am Roten Meer über dem Sinai abgestürzt. Dabei kamen alle 224 Menschen an Bord ums Leben. Russland und auch westliche Staaten gehen davon aus, dass die Maschine durch eine in der Kabine versteckte Bombe zum Absturz gebracht wurde. Der IS hat sich dafür verantwortlich erklärt.

Mängel in der Flughafensicherheit sollen es den Attentätern ermöglicht haben, die Bombe an Bord zu schmuggeln. Inzwischen hat Ägypten nachgebessert, wie jüngst Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einem Besuch in Kairo sagte. Dennoch gab es in Frankreich schon am Morgen Mutmaßungen, wer wohl wie und wo eine Bombe an Bord geschmuggelt haben könnte - und die Theorie, dass dies schon auf dem Flughafen in Kairo geschehen sein könnte.

Nach den Anschlägen von Paris verloren 70 Mitarbeiter den Zugang zum Flughafen

Aber auch 3000 Kilometer nordwestlich von Kairo suchen Ermittler nach Spuren: Am Flughafen Charles de Gaulle werten Sicherheitsexperten Bilder von insgesamt 9000 Videokameras aus: Sie prüfen die Gesichter der Passagiere, des Personals am Gate - und sie sichten die Aufnahmen im Umfeld des Airbus A 320 vom Vorabend. Insgesamt 85 000 Mitarbeiter besitzen einen roten Badge für den Sicherheitsbereich von Europas zweitgrößtem Airport. Im November, nach den mörderischen Attentaten von Paris, hatten Polizei und Inlandsgeheimdienst penibler nachgeprüft, wer da alles Zugang hatte in die "zone réservee" des Flughafens: Prompt waren 70 Mitarbeiter wegen des Verdachts islamistischer "Radikalisierung" ihre Sicherheitsausweise los.

Seither wird schärfer und öfter kontrolliert. Jeden Tag patrouillieren 1650 Polizisten, Grenzkontrolleure, Soldaten und Zivilfahnder am Flughafen. "Aber", so sagt ein hoher Funktionär aus dem Innenministerium, "hundert Prozent Sicherheit gibt es nicht. Nirgendwo."

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