Abnehmen:Ein Leben im Vorher-Nachher-Takt

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Steffi Hild hat 25 Jahre lang sinnlose Diäten gemacht, um ihr Übergewicht loszuwerden - heute weiß sie, dass Zufriedenheit und Disziplin das beste Rezept sind.

Tanja Rest

Der Tag, an dem bei Steffi Hild der Vorher-Nachher-Mechanismus einrastete, war ein Kindergeburtstag. Sie war zwölf. Das Spiel funktionierte so, dass die Jungs die Mädchen Huckepack nehmen und wettlaufen sollten. "Da hab' ich zu dem Jungen gesagt, ich nehm' dich auf den Rücken. Weil ich so Angst davor hatte, dass der sagt: Mein Gott, bist du schwer."

25 Jahre hat Steffi Hild das Auf und Ab sinnloser Diäten mitgemacht (Foto: Foto: SZ)

Das war die bis dahin schmerzhafteste in einer bereits langen Reihe kleiner Demütigungen, die beispielsweise so aussahen: Dass Steffi mit den Mädels in ihrer Klasse nie Klamotten tauschte. Dass keiner sie in die Jazzdance-Gruppe wählte, sie aber ein Freundinnen-Traum war, weil die andere immer sicher sein konnte, ihr Schwarm würde bestimmt nicht auf Steffi abfahren. Dass es bei Schulwiegungen jedesmal hieß: Hartung - zu dünn, Herberger - zu dünn; und dann: Hild - zu dick. Das tat weh, momentelang. Aber diese Sache mit dem Jungen auf dem Rücken. "Das war der Moment, wo mir klar wurde, ich unterscheide mich äußerlich. Ich bin in einer Sache anders als andere Kinder."

So fing das mit Steffi vorher und Steffi nachher an, und dann wieder vorher und wieder nachher, 25 Jahre lang. Und dazwischen lagen sehr, sehr viele Diäten.

April und Mai, die Übergangsmonate zwischen Winterspeck und Bikinifigur. Die Boom-Zeit der Frauenmagazine. "Clever abnehmen" ( Woman), "Bikinifit in 6 Tagen" ( Elle), "Die besten Diäten der Stars" ( InStyle). Es ist die Saison, in der Studien zum Thema Übergewicht besonders gut gehen. 30 Millionen Deutsche sind zu dick, sagen die Studien. 32 Millionen Deutsche wollen abnehmen, unter ihnen zwei Drittel Frauen. Aber nur fünf Prozent aller Menschen, die eine Diät machen, reduzieren ihr Gewicht dauerhaft.

30 Kummerpfunde angefressen

Thesdorf bei Hamburg. Im ersten Stock eines Einfamilienhauses versucht Steffis Mutter, den einjährigen Lino zum Essen zu bewegen; Steffi schaut zu und lächelt schief. "Eine Freundin von mir hat mal gesagt: Dass ausgerechnet du so ein dünnes Kind bekommst."

Sie ist jetzt 36 Jahre alt, Sozialpädagogin, Mutter. Normale Figur, nettes Sommersprossengesicht. Lustig, selbstbewusst, ein Redetalent. Wenn sie schon mit ihrer Figur nicht glänzen könne, habe sie irgendwann beschlossen, "dann texte ich halt viel". An der Wand lehnt ein großes Foto von Steffi in Riesengroß. Riesig im Sinne von 100 Kilo auf 1,72 Meter. "Furchtbar, oder?" Sie sagt: "Ich könnte da nicht so locker drüber reden, wenn ich nicht mal dünn gewesen wäre."

Zunächst war sie acht Jahre alt. Nicht richtig dick, aber pummelig, und sie hatte in der großen Pause cholesterinfreie Knäckebrote dabei anstatt Nutella-Stullen. Über ihr Essverhalten wachte ihre Mutter. Eine noch immer gertenschlanke Frau, wie der Vater, wie auch die jüngere Schwester. Die Familie Hild hat eigentlich das Schlanksein in den Genen. Doch ihre Älteste hatte von Anfang an einen Hang zum Fettpolster und diesen fulminanten Appetit.

Sie nahm ab, sie nahm zu. Sie machte Abitur, ging für ein Jahr als Au-pair nach Los Angeles, war unglücklich, nahm noch mehr zu. "Ich weiß noch, als mich meine Eltern vom Flughafen abgeholt haben. Die waren so geschockt, als sie mich gesehen haben, die haben nach Luft geschnappt." Sie hatte sich 30 Kummerpfunde angefressen und war nun eine 85 Kilo schwere junge Frau, die einen Job als Sozialarbeiterin fand. "Meine Eltern haben mich beruflich immer unterstützt", sagt sie. "Aber ich wollte, dass sie auch äußerlich stolz sind auf mich."

Steffis Diätversuche, 1978 bis 2003: Diäko-Diät, Hipp-Diät, Kartoffel-Diät, Reis-Diät, Ananas-Diät, Brigitte-Diät, Hungerstopp-Diät mit Hilfe von Sattmacherpillen, Low-Fat-Diät, Friss-die-Hälfte-Diät, Trennkost. Die Diäten funktionierten immer, so lange sie sich daran hielt. Also nie wirklich lang. Nach der Diät war immer auch vor der Diät.

Steffi Hild hasste ihr Übergewicht (Foto: Foto: SZ)

Andreas Schnebel, Psychologe und Vorsitzender des Bundesfachverbandes für Essstörungen, bezeichnet Diäten als "Einstiegsdroge für Essgestörte". Alle sinnvollen Therapien weltweit verfolgten einen Anti-Diät-Ansatz. "Es ist eigentlich logisch", sagt er. "Wenn man sich an so viele Verbote halten muss, sind Heißhungeranfälle programmiert."

Steffi hat ihre Diäten immer wie Liebeskummer empfunden: "Da hast du ja auch das Gefühl, im Radio laufen nur Liebeslieder." Und wenn sie auf Diät war, war eben überall um sie herum nur Essen. "Die Gedanken kreisen ständig darum, was du nicht essen darfst. Und immer die Kalorientabellen! Jeder Schluck Milch zum Kaffee wird dir in den Hals gezählt. Du wartest eigentlich die ganze Zeit darauf, dass dieser Krampf vorbei ist."

"Keine Diät hilft dauerhaft"

Steffi nach der Diät war die programmierte Umfallerin. Sie konnte die Kalorientabellen auswendig, und darum wusste sie auch, "wie böse das alles ist". Was das Verlangen eher steigerte. Der Mechanismus war jedesmal derselbe: kurze Euphorie über die verlorenen Pfunde und Shopping; dann die erste kleine Sünde gekoppelt mit dem Vorsatz, das eine Kilo sofort wieder runterzuhungern; die nächste Sünde, diesmal vier Kilo mehr auf der Waage und zwickende Hüftjeans; schließlich das Eingeständnis der Niederlage - "jetzt ist ja eh alles egal" - und futtern, futtern, futtern. Bis zur nächsten Diät.

Der Ernährungspsychologe Schnebel glaubt: "Keine Diät hilft bei Übergewicht dauerhaft, wenn man nicht sein komplettes Ernährungs- und Bewegungsverhalten umstellt und die dahinter liegenden seelischen Probleme löst." Voraussetzung sei, gerade bei Menschen mit genetischer Veranlagung zum Dickerwerden, ein ständiges "Dranbleiben" über Jahrzehnte hinweg. Es klingt mühsam.

Mit 29 Jahren, sie wog gerade 87 Kilogramm, lernte Stefanie Hild ihren späteren Mann kennen. Der sagte: "Ich liebe dich so, wie du bist. Wenn du was verändern willst, tu's für dich. Aber hör auf zu jaulen." Es fühlte sich wie eine Lossprechung an. Das war das erste halbe Jahr in ihrem Leben, in dem Steffi nicht über Essen nachdachte. Am Ende wog sie 100 Kilo. Dann kamen die Ärzte. Die Ärzte sagten, dass sie zu viele männliche Hormone habe. Dass diese Hormone im Fettgewebe gespeichert werden. Dass Steffi nur schwanger werden könne, wenn sie 20 Kilo abnehmen würde, mindestens. "Okay, wie furchtbar. Ich kann kein Kind kriegen." Dann ging sie zu den Weight Watchers, fing an zu joggen und nahm innerhalb von zehn Monaten 30 Kilo ab. Dreißig Kilo!

Steffi mit Steffi-Album auf der Wohnzimmercouch, im fotografierten Vorher-Nachher ihres Lebens blätternd. "Ohgott die Skihose, das weiß ich noch, die war extrem eng. . . hier, da bin ich wieder dünner, ganz nett eigentlich . . . ich am Strand, mit T-Shirt, damit man den Hintern nicht sieht, da war ich zwölf. . . ich mit Mitte zwanzig, mit Männerpulli; dieses Mondgesicht. . . das war wieder nach einer Diät. . . und hier, Urlaub in Dänemark, da hatte ich mein Spitzengewicht, wie ich aussehe. . . Ja, und das bin ich bei der Hochzeit." Sie wog 68 Kilogramm.

Steffi macht heute anderen Mut

An dieser Stelle müsste es aufhören. Die dünne Steffi im Hochzeitsdress; die bewusst isst und viel Sport macht. Die zum Weight-Watchers-Mitglied des Jahres 2003/04 gekürt und aus diesem Anlass dann tatsächlich als Vorher-Nachher-Frau fotografiert wird. Vorher: Steffi im Stretchrock für Dicke. Nachher: Steffi in ihrer neuen Ultraschlank-Hose. Ein Kind bekommt sie auch. Happy End. Aber so einfach ist es nicht.

Steffi besucht heute Weight-Watchers-Kurse, um anderen Mut zu machen. Schaut her, wenn ich abgenommen habe, dann schafft ihr das auch! Mit den Kursen hat sie sich aber auch vorsichtshalber den Rückweg abgeschnitten. "Wenn ich da mit 80 Kilo auflaufe, das kommt nicht so gut." Zurzeit wiegt sie 74 Kilo.

Fünf Kilo will sie abnehmen, aber die fallen ihr gerade wahnsinnig schwer. Sie mag sich heute trotzdem lieber als früher. Macht Sport, achtet auf fettarme Ernährung. "Aber entspannt essen", sagt Steffi, "ohne Kalorientabelle oder Weight-Watchers-Punkte im Kopf. Das werd' ich, glaube ich, mein Leben lang nicht können."

© SZ vom 2.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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