Abdankung von Juan Carlos:Francos Gräben

Acht Jahre lang war Spanien zumindest formal eine Republik. Jetzt, 80 Jahre später, schwenken Tausende Demonstranten wieder die republikanische Trikolore und protestieren gegen die Monarchie. Der Bürgerkrieg, das Franco-Regime und dessen fehlende Aufarbeitung haben das Land tief gespalten.

Von Thomas Urban, Madrid

Bis in die Morgenstunden wehten die rot-gelb-violetten Trikoloren an der Puerta del Sol im Herzen Madrids, die Farben der Republik. Unter den Flaggen demonstrierten Tausende, wenn nicht Zehntausende am Montagabend für die Abschaffung der Monarchie, eine große Gruppe hielt bis zum Morgen durch. Auch für diesen Dienstagabend sind wieder Kundgebungen angesetzt, nicht nur in Madrid, auch in einem Dutzend weiterer Städte. Über Twitter und Facebook mobilisierten linke Oppositionsgruppen ihre Anhänger. Auch die Verbände der Opfer der Franco-Diktatur riefen zu Protesten auf.

Es ist, als habe die Abdankungsrede von König Juan Carlos, die am Montag immer und immer wieder im Fernsehen lief, der lange eingeschlafenen republikanischen Bewegung eine Vitaminspritze verpasst. Umfragen zufolge meint mehr als die Hälfte aller Spanier unter 35 Jahren, dass das Land sehr gut auf einen König verzichten könne. Diese Stimmung ist vor allem eine Folge der Wirtschaftskrise, in die eine in Luxus lebende Königsfamilie nicht passt.

Etliche Fernsehsendungen, Dokumentationen in der Presse und zahlreiche Buchpublikationen belegen, dass das Interesse an der spanischen Republik enorm zugenommen hat. Die republikanische Staatsform war 1931 auf eher unspektakuläre Weise eingeführt worden: Gegner der Monarchie gewannen in 41 von 50 Provinzhauptstädten die Kommunalwahlen, daraufhin wurde die Republik ausgerufen. König Alfons XIII., Großvater des scheidenden Königs Juan Carlos, erkannte dies als Volkes Wille an und verließ freiwillig das Land - ohne allerdings auf seine Thronrechte formal zu verzichten.

Nach unruhigen Reformjahren mit mehreren Regierungswechseln gewann 1936 eine linke Volksfront die Wahlen. Gegen das Ergebnis erhoben sich Teile der Armee. Unter den putschenden Generälen: Francisco Franco. Es begann der auf beiden Seiten brutal und gnadenlos ausgetragene Bürgerkrieg. Er endete 1939 mit Francos Sieg. Den verdankte er nicht zuletzt deutscher Unterstützung, nämlich Waffenlieferungen und den Bombern der Legion Condor.

Monarchie ohne Monarch

Der Diktator Franco führte zwar formal die Monarchie wieder ein, doch einen König wollte er nicht einsetzen. Erst in seinen letzten Lebensjahren bestimmte er, dass Prinz Juan Carlos nach seinem Tod den Thron besteigen solle. An einer nationalen Versöhnung war Franco nie gelegen, im Gegenteil. Er ließ die Anhänger der Republik gnadenlos verfolgen.

Obwohl sein Ende bereits 75 Jahre zurückliegt, spaltet der Bürgerkrieg die Gesellschaft deswegen noch immer zutiefst. Die damaligen Frontstellungen zwischen Linken und Rechten setzen sich heute in wirtschafts- und sozialpolitischen Programmen fort, im Verhältnis zur Kirche, in den Kontroversen über Abtreibung. Politologen haben in diesem Zusammenhang den Begriff von den "zwei Spanien" geprägt. Für die Republikaner blieb Juan Carlos immer das Geschöpf Francos, auch wenn sie seine Verdienste um die Demokratie anerkennen.

Verhängnisvoller Schweigepakt

1977, zwei Jahre nach Francos Tod, als Juan Carlos bereits König war, beschloss das Parlament in Madrid ein Amnestiegesetz: Die Zeit der Franco-Diktatur sollte nicht strafrechtlich aufgearbeitet werden. Zwar ebnete das Gesetz den innenpolitischen Frieden, der für den Übergang zur Demokratie unabdingbar war. Aber es hatte einen Konstruktionsfehler: Faktisch bedeutete es Straffreiheit für all die Schreibtischtäter und Folterknechte des Franco-Regimes. Gleichzeitig nahm es deren Opfern weitgehend die Möglichkeit, juristische, materielle und moralische Wiedergutmachung zu erlangen.

Dieser "Schweigepakt" der Politiker von 1977 hielt fast drei Jahrzehnte, bis der 2004 zum Regierungschef gewählte Sozialist José Luis Zapatero die Aufarbeitung des Bruderkriegs zu einem seiner Kernanliegen machte. Die konservative Volkspartei (PP), die aus einer Formation von Franco-Anhängern hervorging, aber auch die katholische Kirche warfen Zapatero daraufhin vor, "alte Wunden aufzureißen". Doch Zapatero hatte bereits eine breite öffentliche Debatte angestoßen. Erstmals wurden die Massengräber von Opfern der franquistischen Repression von lokalen Gruppen gemeldet und gezählt. Experten zufolge ist das Schicksal von geschätzt 130 000 Menschen aus der Franco-Zeit ungeklärt. Das konservative Lager rechnet seine Opferzahlen dagegen auf - und betont, dass in der Zeit der Republik Zehntausende Vertreter der alten Ordnung von Anarchisten und Kommunisten ermordet und obendrein unzählige Kirchen zerstört wurden.

Doch auch unter Zapatero blieb die juristische Aufarbeitung der Franco-Ära Stückwerk, auch weil damit Entschädigungsansprüche verbunden gewesen wären. Kein einziger Täter stand je vor Gericht. Mit dem 2008 einsetzenden Absturz der Wirtschaft wurden zudem die Mittel für lokale Initiativen und wissenschaftliche Projekte stark gekürzt, die Ende 2011 unter Mariano Rajoy an die Macht zurückgekehrte PP strich sie ganz.

Wirtschaftliche Krisen und historische Kontroversen

Hinzu kommt, dass Grundzüge der unter Franco geltenden Wirtschaftsordnung den Systemwechsel überstanden, darunter die Stellung der Unternehmensführer, die nur geringer Kontrolle unterliegen - günstige Voraussetzung für die gigantischen Korruptionsaffären, die sich als eine der Hauptursachen der Wirtschaftskrise erwiesen haben. Der Streit um die Krise und die Kontroversen um die Franco-Zeit überlagern und vermischen sich: Auch bei Kundgebungen gegen den Sparkurs des Ministerpräsidenten Rajoy waren viele rot-gelb-violette Fahnen der Republik zu sehen.

Schließlich spielen der Bürgerkrieg und die Monarchie von Francos Gnaden auch eine zentrale Rolle bei den schwerwiegenden Konflikten zwischen Madrid und den baskischen beziehungsweise katalanischen Separatisten. Sowohl die überwiegend konservativ-katholischen Basken, als auch die republikanisch gesinnte Elite Kataloniens standen gegen Franco; dieser ließ nach seinem Sieg jegliche Autonomiebestrebungen unterdrücken, beginnend mit Sprache und Kultur.

Sogar Anhänger von Juan Carlos werfen diesem im Rückblick vor, er habe keinerlei Anstrengungen unternommen, die aus dem Bürgerkrieg herrührenden Gräben in der Gesellschaft zu überbrücken. Heute bedrohen diese Gegensätze den Zusammenhalt Spaniens. Der Thronfolger Felipe übernimmt ein schweres Erbe.

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