"Vatileaks"-Affäre:Weitere Ermittlungen nicht ausgeschlossen

Er ist wegen Diebstahls zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden, darf aber auf eine Begnadigung hoffen. Bisher ist Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener des Papstes, der einzige, der für die "Vatileaks"-Affäre zur Rechenschaft gezogen wurde. Doch das Gerichtsurteil ist keineswegs ein Schlussstrich.

Andrea Bachstein, Rom

Zu 18 Monaten Haftstrafe haben die Richter des weltlichen Vatikangerichts den früheren Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. verurteilt. Der Schuldspruch wegen schweren Diebstahls gegen Paolo Gabriele fiel am Samstagmittag, er nahm ihn ohne erkennbare Regung zur Kenntnis. Nach vier Verhandlungstagen steht er nun als bisher einziger Täter der Vatileaks-Affäre um gestohlene und dann als Buch veröffentlichte vertrauliche Vatikan-Dokumente da.

"Ich fühle mich nicht als Dieb", hatte nach den Plädoyers von Anklage und Verteidigung der Mann gesagt, in dessen Wohnung mindestens 1000 Kopien oder Originale vertraulicher Dokumente aus dem päpstlichen Sekretariat gefunden wurden und der die Hauptfigur des Vatikleaks-Skandals ist. Er fühle sich nur schuldig, das Vertrauen des Heiligen Vaters missbraucht zu haben.

Der Promotore della Giustizia, Nicola Picardi, hatte drei Jahre für Gabriele gefordert, ein Jahr unter der Höchststrafe. Außerdem verlangte er die Auflage, dass Gabriele künftig im Vatikan keine Tätigkeiten mehr ausüben dürfe an Stellen, an denen er wieder Zugang wichtigen Dokumenten hätte. Gabriele sei labil und leicht beeinflussbar, aber völlig zurechnungsfähig, sagte Picardi unter Berufung auf ein psychiatrisches Gutachten.

Der Staatsanwalt ging auch auf die Frage ein, die über dem Prozess und der ganzen Vatileaks-Affäre lag und liegt: Ob Paolo Gabriele Komplizen bei seinem Tun hatte. Der 46-jährige Vater dreier Kinder selbst hat in Vernehmungen und bei seiner Aussage am zweiten Verhandlungstag darauf bestanden, dass er ganz alleine gehandelt habe. Der Staatsanwalt sagte, es habe offenbar eine Stimmung unter Leuten in Gabrieles Umgebung geherrscht, durch die er sich ermutigt fühlte. Aber Beweise für Mittäter seien nicht gefunden worden.

Gabrieles Anwältin Cristina Arru hingegen plädierte, der Angeklagte habe sich schuldig gemacht, aber keinen Diebstahl begangen. Er habe sich nur unbefugt vorübergehend Dokumente angeeignet, auf die er wie andere bei seiner Arbeit Zugriff hatte. Physisch gestohlen habe er sie nicht, da er nur Kopien angefertigt habe. Außerdem, so Arru, fehle für das Delikt des Diebstahls ein Element: Dass der Täter daraus Gewinn zieht. Gabriele gibt an, dass er für die an den italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegebenen Papiere nie Geld gewollt und auch nie bekommen hat. Auch im Prozess sind darauf nie Hinweise aufgetraucht.

Arru zog in ihrem 55 Minuten dauernden Plädoyer zudem in Zweifel, dass überhaupt Originale gefunden wurden. Sie führte auch an, dass es keine offizielle Aufstellung aller beschlagnahmten Gegenstände aus Gabrieles Wohnung in der Vatikanstadt gibt. Außerdem hätten die Vatikangendarmen bei der Durchsuchung am 23. Mai keine Handschuhe getragen, so dass keine Untersuchung auf eventuelle Fingerabdrücke Gabrieles zur Beweisführung möglich war. Sie sagte, entscheidend sei für die Bewertung der Taten des Papstdieners seine subjektiven Motive, auch wenn sie irrig waren - Gabriele habe der Kirche nützen wollen und nicht schaden.

Berufung oder Begnadigung?

In den Vernehmungen und auch bei seiner Aussage am zweiten Verhandlungstag hatte der tiefgläubige "Paoletteo" gesagt, er habe die Kirche auf den rechten Weg zurückbringen wollen, nachdem er Missstände erkannt habe, die auch andere wahrgenommen hätten, er sei vom Heiligen Geist geleitet gewesen. Da es das Delikt der unbefugten Aneignung in den Gesetzen des Vatikanstaats nicht gibt, forderte Arru, das Gericht solle die Mindeststrafe für einfachen Diebstahl anwenden - das wären drei Tage gewesen. Drei Tage hat sie nun auch, um mit ihrem Mandanten zu überlegen, ob sie Berufung einlegen wollen gegen das Urteil, das Gabriele auch auferlegt, die Prozesskosten zu tragen - Höhe derzeit unbekannt.

"Vatileaks"-Affäre: Paolo Gabriele fühle sich nur schuldig, das Vertrauen des Heiligen Vaters missbraucht zu haben.

Paolo Gabriele fühle sich nur schuldig, das Vertrauen des Heiligen Vaters missbraucht zu haben.

(Foto: AFP)

Direkt nach der vom Gerichtspräsidenten Della Torre verlesenen Entscheidung sagte Arru allerdings, "es ist ein gutes Urteil." Es liegt fast um die Hälfte unter der Strafe, die der Promotore della Giustizia verlangt hat. Die Richter haben das mit mildernden Umständen begründet: Paolo Gabriele hat keine Vorstrafen, zu seinen Gunsten wurden auch die Dienste angeführt, die er der Kirche vor den Taten geleistet hatte. Außerdem dass er, zuletzt am Urteilstag, seine Reue und Schuld für den Vertrauensbruch gegenüber Benedikt beteuert hat.

Gabriele ist im Moment der einzige, der für Vatikleaks zur Rechenschaft gezogen wurde. Das Verfahren gegen den wegen "Begünstigung" beschuldigten Claudio Sciarpelletti ist abgetrennt worden. Der Computertechniker aus dem Vatikan-Staatssekretariat hatte ein Kuvert mit Unterlagen aufbewahrt, auf dem Gabrieles Namen stand, erhalten hat er es jedoch nie. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sagte aber, mögliche weitere Ermittlungen seien durch das Urteil nicht ausgeschlossen. Weiterhin unbekannt ist unterdessen, was im Bericht einer unter Kirchenrecht stehenden Kardinalskommission steht, die wegen Vatileaks im Auftrag des Papstes ermittelt hat.

Gabriele wurde nach dem Urteil am Samstagmittag vom Gerichtsgebäude an der Piazza Santa Marta in der Vatikanstadt wieder in den Hausarrest in seiner Wohnung gebracht, dort wird er voraussichtlich mindestens die nächsten Tage auch bleiben. Das Gericht hat noch nicht erklärt, was mit ihm passiert. Denkbar ist, dass es die Strafe zur Bewährung aussetzt. Und falls der Ex-Kammerdiener Berufung einlegt und sie angenommen wird, könnte er bis zum Prozess in der nächsten Instanz auf freien Fuß gesetzt werden.

Kaum vorstellbar ist hingegen, dass er jemals in ein italienisches Gefängnis überstellt wird - denn dort müsste er seine Strafe absitzen, weil es im Vatikan gar keinen geeigneten Haftraum gibt. Aller Voraussicht aber wird ohnehin der Papst eingegreifen, und seinen auf Abwege geratenen Diener begnadigen, der doch aus "tief im Innersten empfundener Liebe zur Kirche und ihrem sichtbaren Oberhaupt" gehandelt haben will. Vatikansprecher Lombardi nannte eine Begnadigung jedenfalls nach dem Urteil "sehr wahrscheinlich".

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