Tod von Michael Brown in Ferguson:Ohnmächtige Staatsmacht

Tod von Michael Brown in Ferguson: Schwer bewaffnete Einsatzkräfte patrouillieren auf Fergusons Straßen.

Schwer bewaffnete Einsatzkräfte patrouillieren auf Fergusons Straßen.

(Foto: AFP)

Die Polizei hat es mit Deeskalation versucht, Politiker mit beschwichtigenden Worten, schließlich schickte der Gouverneur die Nationalgarde nach Ferguson. Doch die Proteste nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown geraten immer heftiger außer Kontrolle. Das ist vor allem der Strategie der Einsatzkräfte geschuldet.

Von Jana Stegemann

Die Ohnmacht muss sich furchtbar anfühlen. Seit nunmehr neun Tagen versuchen die Einsatzkräfte in Ferguson, die Unruhen in der amerikanischen Kleinstadt unter Kontrolle zu bekommen. Vergeblich. Präsident Barack Obama hat sich zu Wort gemeldet, sogar UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mischt sich ein. Ihre Worte verhallen ohne jede Wirkung.

Zu groß ist die Empörung nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown, der durch sechs Kugeln aus der Waffe eines weißen Polizisten starb.

Tod von Michael Brown in Ferguson: Der getötete Teenager Michael Brown auf einem von der Familie herausgegebenen Foto.

Der getötete Teenager Michael Brown auf einem von der Familie herausgegebenen Foto.

(Foto: AP)

Sogar der Mann, den die Demonstranten mit dem indischen Pazifisten Mahatma Ghandi vergleichen, weiß sich nicht mehr zu helfen. Ron Johnson gelang es vergangenen Freitag für kurze Zeit die Stimmung zu beruhigen. Jetzt wiederholt der Chef der Autobahnpolizei in einem Fernsehinterview immer wieder einen Satz. So, als könne er es selbst nicht glauben, dass die Polizei die Situation vor Ort einfach nicht unter Kontrolle bekommt. Nicht durch Ausgangssperren, nicht durch schweres Gerät, nicht durch Gewalt, nicht durch Drohungen, nicht durch Appelle an die Vernunft: "Es muss aufhören", sagt Johnson. "Es muss aufhören. So geht das nicht. Ich möchte nicht, dass Demonstranten oder Polizisten verletzt werden." Er schaut die beiden Reporter, die ihn interviewen, ratlos an.

Johnsons Mannschaft hatte der Einsatz ans Limit ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit gebracht. Darum hat Gouverneur Jay Nixon gestern die Nationalgarde nach Ferguson geschickt. Etwa 200 ausgeruhte Reservisten mit bester Ausrüstung sollen die Situation entschärfen und die örtlichen Sicherheitskräfte entlasten.

Wenn Polizisten die Nerven verlieren

Doch in der Nacht spielen sich erneut Szenen wie aus einem Krisengebiet ab: Ganze Straßenzüge verschwinden in dichten Rauchwolken, Molotowcocktails fliegen durch die Luft. Plünderer verwüsten Supermärkte und Ladengeschäfte, demolieren Verkehrsschilder, bauen Barrikaden. Polizisten setzen Tränengas und Gummigeschosse ein. Es drängt sich der Eindruck auf: Je mehr Polizisten und Einsatzkräfte geschickt werden, desto entschlossener werden die Demonstranten. Dass die Anspannung beinah physisch spürbar ist, zeigt sich auch in den Dutzenden von Reportern oder Privatleuten aufgenommenen Videos, die auf Youtube hochgeladen und in sozialen Netzwerken geteilt werden.

Eines ist besonders eindrucksvoll. Darauf ist ein Polizist zu sehen, der einen Reporter anbrüllt, weil er sich durch dessen grelles Kameralicht gestört fühlt. Er droht ihm mit seiner Waffe: "Get the fuck out of here. Get the fuck out of here or you're getting shot with this." Andere Einsatzkräfte kommen hinzu. Der Reporter, hörbar nervös und entrüstet, verlangt nach dem Namen des Polizisten, der die wüste Drohung ausgestoßen hat. Es kommt zu einer lautstarken Diskussion, an deren Ende ein anderer Polizist dem Journalisten seinen eigenen Namen verrät und ihn bittet, das Licht seiner Kamera abzuschalten.

Eine Szene, die sinnbildlich ist für die verfahrene Situation in Ferguson und die offensichtliche Überforderung der Polizisten dort. Die Nerven der Einsatzkräfte scheinen fast durchgewetzt zu sein. Viele sind seit Tagen in den kleinen Hotels von Ferguson einquartiert und versuchen vergeblich die Straßen der Kleinstadt zu sichern. Täglich werden neue Strategien getestet - von Deeskalation bis massiver Drohkulisse - um die Proteste in friedliche Bahnen zu lenken. Bis jetzt sind alle gescheitert. In einem Bericht der New York Times heißt es: "Die Taktik der Sicherheitskräfte vor Ort ändert sich von Tag zu Tag - die Situation jedoch nicht."

Die örtliche Polizei wurde bereits zwei Tage nach Beginn der Unruhen abgezogen. Seitdem hat die nationale Autobahnpolizei unter Einsatzleiter Ron Johnson das Kommando vor Ort. Johnson und sein Team hatten es mit Deeskalation probiert. Der 51-Jährige befahl seinen Leuten, ihre martialisch aussehenden Atemschutzmasken abzunehmen. Doch seit mehreren Nächten brauchen die Einsatzkräfte diese Gerätschaften wieder. Schließlich kommen mittlerweile große Mengen Tränengas zum Einsatz, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Zuletzt schickte Missouris Gouverneur Nixon dann die Nationalgarde zur Unterstützung. Obama hat sich Berichten des Guardian zufolge von Nixons Entscheidung distanziert. Es ist das erste Mal seit den Unruhen von Los Angeles 1992, dass die Nationalgarde während ziviler Proteste eingesetzt wird. In der vergangenen Nacht wurde eine weitere Hemmschwelle überschritten: Schusswaffen kamen zum Einsatz. Zwei Demonstranten wurden bereits angeschossen - ob aus einer Polizeiwaffe oder der eines Zivilisten, ist noch fraglich. 31 Menschen wurden in der vergangenen Nacht verhaftet, darunter auffallend viele aus den Bundesstaaten New York und Kalifornien.

Wenn Reporter in Handschellen abgeführt werden

Es wirkt - so beschreiben es Demonstranten in US-Medien - als würden Polizisten wahllos Menschen anschreien, maßregeln und festnehmen. Menschen wie die beiden Reporter der Washington Post und der Huffington Post, die vor zwei Tagen von Einsatzkräften aus einem Fastfood-Restaurant in Handschellen abgeführt wurden. Gestern Nacht wurden die beiden deutschen Reporter Ansgar Graw und Frank Herrmann für drei Stunden inhaftiert.

Nach Angaben der Welt standen die beiden Männer am Montagnachmittag auf einer Straße in Ferguson, auf der nachts Proteste stattgefunden hatten. Die Straße sei zu diesem Zeitpunkt menschenleer gewesen, die Reporter hätten Fotos machen wollen. Polizisten hätten die Journalisten angewiesen, dort nicht stehenzubleiben. Die beiden Reporter folgten nach eigenen Angaben dieser Anordnung und wurden dann trotzdem festgenommen. "Die Polizei wollte verhindern, dass wir unseren Auftrag, über die Vorgänge in Ferguson zu recherchieren, erfüllen können", sagte Graw, der für die Welt arbeitet. "Das ist eine eklatante Verletzung der Pressefreiheit." Herrmann bezeichnete die Vorwürfe der Polizei als "völlig absurd". Sie dienten offenkundig nur dem Zweck, Reporter einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten.

Zudem gab es Übergriffe der Sicherheitskräfte auf einen Reporter der Fotoagentur Getty Images und ein US-Kamerateam. Kurzzeitig war auch ein 26-jähriger Bild-Reporter in Haft. Im benachbarten St. Louis wurde die 90-jährige Holocaust-Überlebende Hedy Epstein von Einsatzkräften abgeführt, nachdem sie eine Rede gegen Polizeigewalt gehalten und sich an einer Menschenkette vor dem Büro des Gouverneurs von Missouri beteiligt hatte. Der Greisin wurden die Arme mit Kabelbindern auf den Rücken gebunden. The Nation veröffentlichte Fotos der Festnahme. Die bekannte Aktivistin und acht weitere Demonstranten wurden wenig später wieder freigelassen.

Präsident Obama sagte, er verstehe die Wut der Menschen. Ihr jedoch "durch Plünderungen, das Tragen von Schusswaffen oder gar Angriffe auf die Polizei" nachzugeben erhöhe nur die Spannungen und führe zu Chaos. Umgekehrt gebe es keine Entschuldigung für ein unnötig hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte. Zudem dürfe die Presse nicht an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden, so der Präsident weiter.

Wenn Kriegswerkzeuge in einer Kleinstadt eingsetzt werden

Die Schulen in dem 21 000-Einwohner-Ort bleiben voraussichtlich bis Ende der Woche geschlossen. Zahlreiche Geschäfte sind durch Plünderungen zerstört oder erheblich beschädigt worden. Das öffentliche Leben ist größtenteils lahmgelegt. Viele Menschen trauten sich aus Angst vor aggressiven Demonstranten und Sicherheitskräften nicht mehr aus dem Haus, berichtet die New York Times.

Landesweit haben die Krawalle nicht nur eine Diskussion um Rassendiskriminierung angestoßen, sondern auch die Debatte, ob die amerikanische Polizei inzwischen zu sehr paramilitärische Züge angenommen hat. Im Kongress wird ein Gesetz diskutiert, das die Weitergabe von Kriegsgerät wie gepanzerten Fahrzeugen an die Polizei stoppen würde. Eine Gruppe von Demokraten im Repräsentantenhaus erklärte angesichts der Vorgänge in Ferguson, dass die "örtlichen Strafverfolgungsbehörden außer Kontrolle" seien. Der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, der Demokrat Patrick Leahy, warnte am Freitag, man könne "die Risse in einer Gemeinde nicht mit den Werkzeugen des Krieges kitten".

40 Mitarbeiter der Bundespolizei FBI sind an den Ermittlungen im Fall Michael Brown beteiligt. Drei Autopsien wurde der getötete 18-jährige Afroamerikaner bisher unterzogen. Die Demonstranten haben trotzdem das Gefühl, die Aufklärung seines Todes komme nicht schnell und nicht transparent genug voran. Ein 37-Jähriger aus Ferguson spricht einem Reporter gegenüber das aus, was offenbar viele Menschen bewegt, die Tag für Tag auf den Straßen der Stadt anzutreffen sind. "Die Einsatzkräfte können vieles probieren. Doch ich glaube erst an ein Ende der Proteste, wenn sie endlich Anklage gegen den Polizisten erheben."

Seitdem sich die Polizei am Freitag durch den großen Druck der Öffentlichkeit gezwungen sah, die Identität des Todesschützen, der zurzeit vom Dienst suspendiert ist, bekannt zu geben, ist der 28-jährige Darren W. untergetaucht. Aus Angst vor Lynchjustiz.

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