Streit um angeblich verschwundene Zootiere:Fressen und fressen lassen

Aufgebrachte Tierschützer werfen Zoos immer wieder vor, überzählige Tiere zu schlachten und zu verfüttern. Ein Experte für Tierethik über die Frage, ob Zootiere andere Zootiere verspeisen dürfen.

Interview: Astrid Becker

Trotz des Medienhypes um Knut und Flocke sehen sich die deutschen Zoos und deren Direktoren derzeit mit herber Kritik konfrontiert. Jüngstes Beispiel ist der Chef des Berliner Zoos, Bernhard Blaszkiewitz, der sich derzeit unter anderem wegen angeblich "verschwundener Tiere" verantworten muss. Aufgebrachte Tierschützer werfen auch anderen Tiergärten immer wieder vor, überzählige Tiere zu schlachten und zu verfüttern. Jörg Luy, Professor für Tierschutz und Ethik an der FU Berlin, befasst sich intensiv mit der Frage, ob Tötungen von Zootieren juristisch und moralisch vertretbar sind.

Streit um angeblich verschwundene Zootiere: Ein junger Riesenseeadler im Nürnberger Tiergarten bei der Fütterung - welche Tiere zum Fressen da sind und welche nicht, sorgt immer wieder für Streit.

Ein junger Riesenseeadler im Nürnberger Tiergarten bei der Fütterung - welche Tiere zum Fressen da sind und welche nicht, sorgt immer wieder für Streit.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Professor Luy, Tierschützer kritisieren die Schlachtung und Verfütterung von Tieren in Zoos. Zu Recht?

Luy: Hintergrund dieser Schlagzeilen ist das Tierschutzgesetz, das die Tötung eines Wirbeltieres "ohne vernünftigen Grund" zum Straftatbestand erklärt. Eine ähnliche Regelung gibt es zwar seit einigen Jahren auch in Österreich, aber weder in der Schweiz noch im EU-Recht. Die im deutschsprachigen Raum breite Anerkennung der Regelung wird insbesondere dem Umstand zugeschrieben, dass die sich in dieser Hinsicht äußernden Ethiker, Immanuel Kant und Albert Schweitzer, in deutscher Sprache publiziert haben. Die Tierfuttergewinnung gilt übrigens, wie die Lebensmittelgewinnung, als "vernünftiger Grund".

SZ: Die Zoos handeln also legal?

Luy: Das kommt darauf an. Zum Schutz vor der Ausbreitung BSE-artiger Krankheiten verbietet eine EU-Verordnung seit einigen Jahren das Verfüttern von Zootieren. Bei behördlicher Genehmigung ist eine einzige Ausnahme vorgesehen: die Verfütterung an gefährdete oder geschützte Arten Aas fressender Vögel. Landwirtschaftliche Nutztiere, die in Zoos gehalten werden, scheinen aber nicht unter das EU-Verbot zu fallen, dürfen also unter Betäubung geschlachtet und verfüttert werden. Früher war es möglich, überzählige Zootiere gemäß ihrem Räuber-Beute-Verhältnis nach tierschutzgerechter Schlachtung als Futter zu nutzen. Heute müssen diese Tierkörper als Sondermüll entsorgt werden.

SZ: Wie ist das mit dem Selbstverständnis der Zoos als Artenschutzzentren zu vereinbaren?

Luy: Zoologische Gärten dienen dem Artenschutz primär durch die Erhaltung von Reservepopulationen bedrohter Tierarten. Aber auch diese Tiere müssen fortgepflanzt werden. Um den Inzuchtgrad gering zu halten, existieren international koordinierte Zuchtprogramme unter den Zoos. Angesichts tiergesundheitlicher Erwägungen einerseits und weltweit begrenzter Gehegeplätze andererseits können bei einigen Tierarten nicht alle Nachkommen lebenslang untergebracht werden. Insbesondere die europäischen Zoos unternehmen inzwischen erhebliche Anstrengungen, die Fortpflanzung zu reduzieren, unter anderem durch die Entwicklung von Verhütungsmiteln. Nicht zuletzt deshalb muss der Tiergarten Nürnberg jährlich das Fleisch von 160 Rindern zukaufen.

SZ: Die Verfütterung einer Ziege an einen Löwen ist also ethisch unbedenklicher als die Verfütterung eines Bären an einen Tiger?

Luy: Ich persönlich halte das EU-Verbot für überzogen und gehe auch davon aus, dass es wieder gelockert wird. Aber auch dann dürfen die Tiere nur angst- und schmerzfrei getötet werden. Eine Lebendverfütterung ist untersagt. Ethisch gesehen ist heute jedoch entscheidend, dass gemäß dem natürlichen Räuber-Beute-Verhältnis gefüttert wird.

SZ: In Bayern gibt es auf Drängen des Münchner Tierparks eine Ethik-Kommission für das Töten und Verfüttern von Zootieren. Halten Sie das für sinnvoll?

Luy: Natürlich. Eine Umfrage unseres Institutes unter Zoobesuchern hat unlängst ergeben, dass auch die Besucher solche Ethik-Kommissionen wünschen. Wie der aktuelle Fall der Vorwürfe gegen den Berliner Zoodirektor zeigt, wäre mehr Transparenz und eine klare, tiermedizinisch begründete Politik der Tiergärten sicher hilfreich, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen.

SZ: Die Menschen reagieren auf die Schlachtung von Zootieren sensibler als auf die Schlachtung von Rindern oder Schweinen, wie erklären Sie sich das?

Luy: Der Unterschied liegt wohl primär in der persönlichen Beziehung zu den Tierindividuen. Wer ein Tier aufziehen und letztlich schlachten will, vermeidet es, ihm einen Namen zu geben. Wenn alle Menschen wieder selbst die Tiere halten und schlachten müssten, die sie verzehren möchten, gäbe es vermutlich deutlich mehr Vegetarier. Schopenhauer sah hier vor 150 Jahren die Identifikation mit dem Tier als ausschlaggebend an, Habermas geht heute davon aus, "dass unser Gewissen besonders deutlich schlägt gegenüber Tierarten, mit denen wir besonders leicht kommunizieren können."

SZ: Wie sollten Zoos Ihrer Meinung nach künftig mit dem Thema umgehen?

Luy: Meines Erachtens würde es völlig ausreichen, wenn die Zoos alle Angaben zu Zu- und Abgängen mit Begründung in ihre Jahresberichte aufnähmen. Wäre dies in Berlin üblich gewesen, wüssten wir heute, ob die Vorwürfe gegen die Direktion berechtigt sind - und hätten uns auch eine Menge Ärger erspart.

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