Soldatin in Kaserne vergewaltigt: Tatort Truppe

In der Jägerkaserne im niedersächsischen Bückeburg vergewaltigt ein Unbekannter eine Soldatin. Ein absoluter Einzelfall, betonen Militärsprecher immer und immer wieder. Auch wenn eine interne Studie der Bundeswehr einen anderen Schluss nahelegt.

Charlotte Frank

Was da passiert sei mit der Soldatin, in der Kaserne in Bückeburg, das sei ein "absoluter Einzelfall", sagte hinterher der Sprecher des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus, "glücklicherweise". Dabei ist es keineswegs so, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen bei der Bundeswehr nicht immer wieder vorkämen, im Gegenteil. Nur: So brutal wie in Bückeburg dürften sie wohl selten sein.

Soldatin in Bueckeburger Kaserne gefesselt und vergewaltigt

Am vergangenen Sonntag wurde eine Soldatin in der Jägerkaserne im niedersächsischen Bückeburg vergewaltigt. Ein absoluter Einzelfall, wie Bundeswehr-Offizielle betonen.

(Foto: dapd)

Der Übergriff hatte sich schon am Sonntagabend zugetragen, gegen 19.30 Uhr in der Jägerkaserne im niedersächsischen Bückeburg. Die Jägerkaserne, 1871 gebaut, ist eine der ältesten noch genutzten Kasernen der Bundeswehr, die Gebäude sind denkmalgeschützt, schwere Ziegelbauten mit vielen schlecht einsehbaren Winkeln. Irgendwo dort, in Block A, muss der Täter seinem Opfer aufgelauert haben, einer Unteroffizierin aus der Heeresfliegerwaffenschule. Dann vergewaltigte er die Frau - soweit hat die Staatsanwaltschaft den Fall bestätigt.

Unbestätigten Medienberichten zufolge ging der Täter dann noch weiter: Er soll die Soldatin gefesselt und geknebelt haben, danach sperrte er sie in einen Spind und flüchtete. Angeblich hatte er ihr zuvor noch ein Handy ins Dunkel gelegt, damit sie im Notfall Hilfe rufen konnte. Wie der Frau das mit gefesselten Gliedmaßen gelingen sollte, ist unklar. Entdeckt wurde sie später von einem Kameraden. Der Täter konnte unbemerkt flüchten, die Suche nach ihm läuft auf Hochtouren.

Schon am Mittwoch glaubten die Ermittler, den mutmaßlichen Täter gefunden zu haben. Doch der Anfangsverdacht gegen den Verdächtigten, einen Zivilangestellten der Bundeswehr, erhärtete sich in der Vernehmung nicht, der Mann wurde abends wieder auf freien Fuß gesetzt. "Die gesicherten Beweismittel entlasten den Beschuldigten", hieß es in einer knappen Pressemitteilung des Staatsanwalts. Weitere Auskünfte könnten derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gegeben werden, die Ermittlungen würden aber "in alle Richtungen weiter fortgesetzt". Eine eigene Ermittlungsgruppe aus fünf Polizeibeamten der Polizeiinspektion Nienburg-Schaumburg wurde dafür gebildet, mehrere Staatsanwälte arbeiten an dem Fall.

Dabei wirkt der Kreis der Verdächtigten überschaubar: Die Jägerkaserne hat eine Stammbelegschaft von nur 110 Soldaten. Dazu kommen zwischen 200 Offiziere und 300 Unteroffiziere der Heeresflieger, die dort Ausbildungslehrgänge absolvieren. Obendrein haben Soldaten und Zivilangestellte Zugang zur Jägerkaserne, die auf dem Flugplatz im Bückeburger Stadtteil Achum stationiert sind. Auch manchen ehemaligen Soldaten wird noch Zutritt gewährt. Das alles mache einen relativ eingeschränkten Kreis möglicher Täter aus, heißt es - aber niemand kann mit Gewissheit sagen, ob sich nicht ein Unbefugter auf das Kasernengelände einschleichen konnte. Die Staatsanwaltschaft hatte das nicht ausgeschlossen.

Fünf Prozenten berichten von sexuellen Übergriffen

Der Kommandeur der Heeresfliegerwaffenschule sagte, er und seine Kameraden seien betroffen und geschockt: "Wir bedauern die Tat aufs Äußerste." Auch der Sprecher des Wehrbeauftragte des Bundestags, Sebastian Hille, sagte, man verfolge den Fall. Den absoluten Einzelfall.

Hilles Darstellung von einer Ausnahme widersprach am Freitag Gerhard Kümmel, der wissenschaftlicher Direktor am sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr: "In unserer Erhebung von 2008 haben fünf Prozent der Soldatinnen einen versuchten oder tatsächlichen sexuellen Gewaltakt gemeldet. Das kann man nicht mehr als Einzelfälle beschreiben", sagte er der taz. Kümmels Institut hatte 2008 den Bericht "Truppenbild mit Dame" veröffentlicht, in dem die Integration von Frauen in die Bundeswehr untersucht wurde. Frauen steht in Deutschland erst seit 2001 der Zugang zu allen Bereichen der Bundeswehr offen. Vorher mussten sie sich mit dem Sanitäts- und Militärmusikdienst begnügen.

Doch die Integration der Frauen verlaufe "nicht problemfrei", schreibt Kümmel in seinem Bericht. Darin gaben 50,4 Prozent der befragten Soldaten an, die Frauen hätten in der Bundeswehr "eine Veränderung zum Schlechteren" bewirkt. Mehr als 58 Prozent der Soldatinnen sagten, sie seien sexistischen Bemerkungen ausgesetzt. 19 Prozent gaben an, schon einmal in Form unerwünschter körperlicher Berührungen sexuell belästigt worden zu sein. "Die vorliegenden Daten lassen insgesamt den Schluss zu, dass sexuelle Belästigung auch in den deutschen Streitkräften keineswegs eine zu vernachlässigende Erscheinung ist", heißt es in "Truppenbild mit Dame".

Die Fahndung in Bückeburg dauert an.

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