Prozess gegen Missbrauchsopfer:"Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben"

Vor 20 Jahren wurden Mandy K. und Beatrix E. in einem Kinderbordell in Leipzig missbraucht. Später meinten sie, hohe Justizbeamte als ihre früheren Freier erkannt zu haben. Nun stehen die Frauen wegen Verleumdung selbst vor Gericht.

Christiane Kohl, Dresden

Saal 118 im neuen Dresdner Amtsgericht. Draußen dröhnen noch die Baumaschinen, drinnen herrscht im wahrsten Sinn des Wortes "dicke Luft", weshalb der Vorsitzende Richter nur zu gern die Fenster öffnen würde. Doch diese sind mit Alarmanlagen gesichert, schon wenn man die Scheiben nur berührt, besteht die Gefahr, dass die Sirenen losgehen.

Die Dame, die heute hier im Zeugenstand sitzt, scheint mindestens genauso empfindlich zu sein wie die Sicherung am extradicken Fensterglas, das den Gerichtssaal umhüllt. Als eine der beiden Angeklagten, die schmal, schüchtern und schweigsam auf ihren Stühlen sitzen, es wagt, den Blick zu der Zeugin zu heben, blafft diese unversehens zurück. "Schauen Sie mich nur an, da sehen Sie, was Sie angerichtet haben", herrscht die elegant gekleidete Dame mit den hohen schwarzen Pumps und den roten, sorgsam geföhnten Haarwellen die Angeklagten an.

Die Zeugin ist die Münchner Rechtsanwältin Sieglinde B.-H., 67, die im Dresdener Prozess zugleich (und vor allem) Nebenklägerin ist. In dieser Rolle vertritt sie ihren Ehemann Jürgen N.,72, der ebenfalls Rechtsanwalt in München ist. Die Vorgänge, um die es in dem Dresdner Gerichtssaal geht, liegen schon viele Jahre zurück, und doch erregen sie so sehr die Gemüter, dass der Vorsitzende Richter immer wieder beruhigend in die Diskussion eingreifen muss.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf

Zwar steht nur ein ganz normaler Verleumdungsprozess an, doch dieser hängt mit dem sogenannten "Sachsensumpf" zusammen, jenem Skandal um mögliche Verwicklungen sächsischer Justizbeamter ins Leipziger Rotlicht-Milieu, der vor einigen Jahren die Landespolitik in Sachsen erschütterte. Die beiden jungen Frauen, die heute auf der Anklagebank sitzen, waren zu Beginn der 90er Jahre in einem Leipziger Kinderbordell zur Prostitution gezwungen worden - Jahre später glaubten sie bei Befragungen, einige hohe sächsische Justizbeamte als ihre einstigen Freier wiederzuerkennen.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf. Doch für die beiden jungen Frauen Mandy K., 36, und Beatrix E.,36, wiegt nicht minder schwer, was die sächsische Justiz ihnen heute zur Last legt: Laut Anklageschrift sollen die beiden Frauen vorsätzlich und "wider besseres Wissen" die Justiz-Repräsentanten durch falsche Behauptungen ehrverletzend verleumdet haben.

Seit Jahren wird öffentlich über die Vorwürfe debattiert, doch der Prozess war immer wieder verschoben worden, denn auch für die sächsische Justiz geht es um prekäre Fragen dabei: Immerhin ist einer der von den beiden Frauen beschuldigten Juristen bis vor einiger Zeit noch Chef des Dresdner Amtsgerichts gewesen. Heute ist Norbert R., 60, Präsident des Chemnitzer Landgerichts, er hat trotz aller Vorwürfe Karriere gemacht, und er tritt scheinbar unberührt in den Zeugenstand: Alles seien doch nur "Hirngespinste" gewesen, erklärt er zur Affäre von einst; an konkrete Einzelheiten kann er sich nicht erinnern.

Lücken in den Akten

Dagegen berichtet der ehemalige Polizist Georg W. später im Zeugenstand umfassend über den Hergang der Geschichte, die um die Jahreswende 1992/1993 begann. Damals waren Mandy K. und Beatrix E. gerade 16 geworden, von zu Hause ausgerissen und in dem Kinderbordell "Jasmin" gestrandet. Dort wurden sie von einem brutalen Zuhälter verprügelt und zum "Anschaffen" gezwungen.

Nachdem das Etablissement Wochen später aufgeflogen war, wurde dem Bordellchef der Prozess gemacht - Vorsitzender Richter war damals der heutige Münchner Anwalt Jürgen N. Dieser bestätigt nun im Zeugenstand, dass er den Angeklagten seinerzeit mit einer recht milden Strafe habe davonkommen lassen - "mit Hängen und Würgen", habe man sich damals auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren geeinigt. Eigentlich wären bei der Schwere der Tat wohl zwölf Jahre angebracht gewesen.

Auch bezüglich der Freier im Kinderbordell, unter denen nachweislich ein Polizist gewesen war, zeigten sich die Ermittler milde - ihnen wurde gar nicht erst nachgegangen. Schließlich, betont auch Jürgen N. heute, "sei dies auch nicht Aufgabe seines Gerichts gewesen". Jahre später, im Sommer 2000, waren dann erneut Ermittlungen aufgenommen worden, angestoßen durch den Polizisten Georg W., der damals das Polizeikommissariat für Organisierte Kriminalität leitete.

Auch gegen Jürgen N. war - wegen Rechtsbeugung - ein Verfahren eröffnet und schnell wieder eingestellt worden. Hintergrund waren offenbar Befragungen von Mandy K., Beatrix E. und anderen ehemaligen Insassinnen des Bordells "Jasmin". Ihnen hatten die Ermittler Lichtbilder vorgelegt von möglichen einstigen Freiern, allerdings waren diese nicht zu den Akten genommen worden - weil die Polizisten offenbar befürchteten, ihnen könnten Nachteile dadurch entstehen.

Auch im aktuellen Verfahren stellen die Verteidiger immer wieder Lücken in den Akten fest. Da fehlen wichtige Dokumente, Zeugenprotokolle sind nur teilweise vorhanden, und die Vernehmungen von 2000 sind offenbar nicht vollständig. Dabei kommt es auf sie besonders an: Wenn sich herausstellen sollte, dass die beiden jungen Frauen schon im Jahr 2000 die Juristen beschuldigten, dürfte man ihnen nicht vorwerfen können, im Jahr 2008 "wider besseres Wissen" gehandelt zu haben. Für den Prozess sind 12 Verhandlungstage angesetzt, 30 Zeugen sollen gehört werden.

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