Nach Amoklauf von Winnenden:War Tim K. in Therapie?

War der Amokläufer in Therapie? Die Eltern wehren sich und dementieren derartige Berichte. Polizei und Staatsanwaltschaft sehen es anders.

Wenige Tage nach dem Amoklauf von Winnenden gibt eine Frage Rätsel auf: War der 17-jährige Tim K., der am Mittwoch 16 Menschen umgebracht hat, in psychologischer Behandlung?

Nach Amoklauf von Winnenden: Mehr als 1000 Trauernde gedachten in einem Gottesdienst der Opfer des Amoklaufs von Winnenden.

Mehr als 1000 Trauernde gedachten in einem Gottesdienst der Opfer des Amoklaufs von Winnenden.

(Foto: Foto: Getty)

Kurz nach der schrecklichen Tat in Baden-Württemberg hatten die Behörden mitgeteilt, Tim K. sei wegen Depressionen in Therapie gewesen.

Am Samstag meldeten sich nun die Eltern des Todesschützen zu Wort - und dementierten diese Berichte. Über ihren Anwalt ließen sie im Nachrichtenmagazin Focus erklären, dass ihr Sohn nie in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Ebenso wenig sei der 17-Jährige wegen psychischer Probleme in einer Klinik behandelt worden.

Staatsanwaltschaft: Tim war mehrfach in Behandlung

Wenig später stellten sich Polizei und Staatsanwaltschaft gegen das Dementi der Eltern: Nach ihren Ermittlungen sei Tim K. sehr wohl mehrfach in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, hieß es am Samstagmittag. Demnach wurde der 17-Jährige "vom April 2008 bis September 2008 im Klinikum am Weissenhof in Weinsberg mehrmals vorstellig", erklärten Staatsanwaltschaft Stuttgart und Polizei Waiblingen und reagierten damit ausdrücklich auf die Darstellung der Eltern im Focus.

Das Klinikum am Weissenhof in Weinsberg in der Nähe von Heilbronn ist nach eigenen Angaben ein Krankenhaus mit sieben eigenständigen Kliniken für Allgemeine Psychiatrie, Gerontopsychiatrie, Suchttherapie, Forensische Psychiatrie, Neurologie, Kinder- und Jugend-Psychiatrie und Psychosomatische Medizin. Der Leiter des Krankenhauses, Matthias Michel, hatte am Donnerstag dem SWR gesagt, Tim K. sei im Jahr 2008 "auf ambulanter Basis" behandelt worden. "Das heißt, er hat insgesamt fünf Termine hier bei uns gehabt und zwar dem Alter entsprechend in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der dortigen Ambulanz."

Auch weiterhin sind die Motive für die Tat völlig unklar. Der 17-jährige Tim K. sei ein "ganz normaler, ruhiger Junge" gewesen, sagte Tims Oma Ruth K. in der Bild-Zeitung. "Wir können es immer noch nicht fassen", wird die 82-Jährige zitiert. "Er war doch so ein lieber Kerl." Noch am vergangenen Sonntag sei Tim mit seinen Eltern zu Besuch gewesen. Er sei ruhig gewesen, aber nicht ruhiger als sonst. "Er hat mit der Katze auf dem Boden gelegen und geschmust. Das hat er immer gerne gemacht", sagte der Großvater des Amokläufers, Wilhelm K..

Schützen sollen Munition bei Polizei lagern

Unterdessen ist auch die Diskussion um das Waffenrecht in Deutschland neu entbrannt. Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen, fordert, Sportschützen sollten ihre Munition bei der Polizei abliefern. In einem Gespräch mit den Lübecker Nachrichten sagte Jansen: "Eine Waffe ohne Munition taugt nicht viel." Ihm sträubten sich die Haare, wenn er höre, dass 5000 Schuss Munition in einem Privathaushalt herumlägen. Großkalibrige Waffen wie die Beretta, die der Amokschütze Tim K. verwendet hatte, gehörten nicht in die Hand von Bürgern, sagte Jansen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Altbundespräsident Roman Herzog vor einem Überwachungsstaat warnt.

"Kinder haben zu leichten Zugang zu Waffen"

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer sprach sich sogar dafür aus, Privatpersonen die Aufbewahrung von Schusswaffen weitgehend zu verbieten. Waffen, die für Freizeit-, Sport-, und Brauchtumszwecke verwendet werden, sollen ausnahmslos nur noch in den Schützenvereinen aufbewahrt werden, forderte Scheer, in dessen Wahlkreis Winnenden liegt.

Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, verlangt in der Rhein-Neckar-Zeitung, Waffen sollten zentral im Schützenvereinsheim deponiert und verschlossen werden. Der Abgeordnete sagte: "Tatsache ist nun einmal, dass Kinder, deren Vater eine Waffe hat, einfach zu leichten Zugang haben."

Ein schärferes Waffenrecht birgt nach Einschätzung von Altbundespräsident Roman Herzog allerdings auch Gefahren: Die Folge wäre, dass in jedem Haus herumgeschnüffelt und unangemeldet Stichproben gemacht werden müssten, sagte er am Samstag dem Sender MDR Info. "Dann wird die ganze deutsche Medienwelt wieder vom Überwachungsstaat reden."

1100 Menschen trauern bei Gottesdienst

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dringt indes auf den Einsatz moderner Blockiersysteme für Waffen und Waffenschränke. "Modernste Sicherheitstechnik für Waffen ist der richtige Ansatz, um das Risiko unbefugter Zugriffe auf unverschlossene Gewehre und Pistolen von Sportschützen oder Jägern zu minimieren", sagte GdP-Chef Konrad Freiberg der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Nach seinen Angaben ist es schon heute möglich, Waffen elektronisch zu sperren oder mechanisch zu blockieren. Mittelfristig wäre es denkbar, dass sich Waffen nur noch durch den eigenen Fingerabdruck freischalten ließen.

Am Freitagabend hatten unterdessen 1100 Menschen im Heimatdorf des Amokläufers und mehrere seiner Opfer der Toten gedacht. "Der Tod ist viel zu nahe gerückt. Das Grundvertrauen in einen Ort ist zerbrochen", sagte der evangelische Dekan Eberhard Gröner bei der ökumenischen Feier in Leutenbach, einem Nachbarort von Winnenden. "An Vergebung wagen wir nicht zu denken, die müssen wir Gott überlassen."

Die Gemeindehalle konnte nicht alle Besucher fassen, so dass der Gottesdienst auf einen angrenzenden Schulhof übertragen wurde. Viele Menschen nahmen sich in die Arme.

Bundespräsident Horst Köhler verlangte indes ein neues Nachdenken über den Zusammenhalt in der Gesellschaft. "Diese Tat mahnt uns auch, darüber nachzudenken, ob wir unseren Mitmenschen immer die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen", sagte Köhler den Ruhr Nachrichten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: