Lebensmittelskandal in Europa:Das große Fressen

Tiefkühllasagne für 1,45 Euro, das Masthähnchen für 3,29 Euro - möglichst billig sollen Lebensmittel bitteschön sein. Dass dabei Qualität und artgerechte Tierhaltung auf der Strecke bleiben, ist kein Geheimnis. Ernährung sollte wieder mehr werden als reine Nahrungsaufnahme - doch die Verbraucher empören sich nicht genug.

Ein Kommentar von Charlotte Frank

Aus was für Fleisch besteht eigentlich ein Döner? Gelegentlich gibt es darauf ja Hinweise, etwa wenn ein Grill vor der Tür einen Puten-Döner für drei Euro bewirbt; aber direkt darunter wird der "Kinder-Döner" angepriesen, und schon ist wieder offen, was drin ist. Vielleicht ist es auch einfach egal: Döner schmeckt, im weitesten Sinne, nach Fleisch, vor allem aber nach der Soße, die drauf ist. Ähnlich verhält es sich mit Fischstäbchen, in denen eben Fisch ist. Und woraus besteht eigentlich diese Tiefkühl-Lasagne, die es im Discounter für 1,45 Euro gibt? Aus Rind? Schwein? Känguru? Wer schmeckt das schon noch.

Momentan, so viel ist bekannt, wird der Lasagne ja gerne Pferd beigemengt. Schon ist vom "Pferdefleisch-Skandal" die Rede, das Gruseln ist groß, der Aufschrei leidenschaftlich. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nannte die als Kühe deklarierten Pferde sogleich eine "Sauerei", womit sie recht hat. Es steht denn auch nicht in Frage, wie im aktuellen Fall die Verbrauchertäuschung zu bewerten ist: als kriminell, gewaltig und geschmacklos. Schwieriger wird es bei der Frage, wie das Verbraucherverhalten der Deutschen zu bewerten ist. Denn auch das ist oft: gewaltig geschmacklos. Leider haben Verbraucherverhalten und -täuschung viel miteinander zu tun.

Ein durchschnittlicher Deutscher verspeist im Leben mehr als tausend Tiere, jährlich isst er 89 Kilogramm Fleisch. Zwei Drittel davon kauft er abgepackt im Supermarkt - was in Deutschland oft gleichbedeutend ist mit: im Discounter. Dort gibt es heute Masthähnchen für 3,29 Euro und das halbe Kilo gefrorene Jägerklöße zu 1,95 Euro. Natürlich, das mag für manchen immer noch viel Geld sein. Und doch ist es beschämend wenig, wenn man einmal die Überlegung zulässt, wie diese Preise zustande kommen.

Längst ist bekannt: Billig wird Fleisch durch Intensivtierhaltung und problematische Futtermittel. 3,29 Euro kostet ein Huhn, weil es sein 30-tägiges Leben lang verhaltensgestört im eigenen Kot steht. Man muss kein Vegetarier sein, um das grausam zu finden. Und doch ist die industrielle Tierproduktion Alltag - weil ihre Waren Absatz finden. Und das längst nicht nur bei jenen, die keine höherwertigen Lebensmittel bezahlen können.

Wenn Sitten verlottern

"Für einen Bissen Fleisch nehmen wir einem Tier die Sonne und das Licht und das bisschen Leben und Zeit, an dem sich zu erfreuen, seine Bestimmung gewesen wäre", schrieb vor 2000 Jahren der Philosoph Plutarch. So emphatisch und so intolerant gegenüber den Freuden eines guten Steaks will hier keiner daherreden. Menschen müssen sich ernähren, um zu sein. Ob sie das mit Wurst, Tütensuppe oder Keksen tun, ist ihre eigene Sache. Es schadet aber nicht, sich in eigener Sache ab und zu in Erinnerung zu rufen, dass nicht alles, was der Mensch essen kann, ihn auch gut ernährt. Und dass Ernährung mehr ist als Nahrungsaufnahme. Ernährung ist Ritual, Kultur, Sitte. Die Sitten verlottern.

Sie werden stets für einige Tage besser, wenn ein Skandal die Ruhe stört, eine Dioxinspur im Ei, eine wahnsinnige Kuh, ein Pferd in der Lasagne. Dann ist das Gruseln groß, der Aufschrei leidenschaftlich, Verbraucher ändern kurzfristig ihr Verhalten - und kehren, wenn die Berichterstattung nachlässt, meist doch wieder zu alten Mustern zurück. Die Nachfrage nach Bioprodukten steigt zwar, doch der Handel damit bleibt eine Nische: Nur etwa zwei Prozent aller in Deutschland verkauften Lebensmittel sind nach ökologischen Kriterien hergestellt.

Selbstverständlich: Auch jeder, der keine Öko-Produkte kauft, muss sich darauf verlassen können, dass ein Gericht mit Rind wirklich Rind enthält. Selbstverständlich ist auch, dass Lebensmittelskandale nicht unmittelbar vom Verbraucher verursacht werden. Vielmehr bekommt dieser oft genug zu spüren, wie ausgeliefert er der Industrie ist - etwa, wenn er versucht zu erfahren, über welche Wege seine Einkäufe in den Laden geraten sind.

Und doch ist es seltsam: Der Mensch kann die Landwirtschaft revolutionieren. Er kann seine Nahrung gentechnisch ändern und mit Antibiotika stopfen. Aber er kann nicht Handelswege von Fleisch nachvollziehbar machen? Die Klage darüber wirkt heuchlerisch ohne das Eingeständnis, dass der gesellschaftliche Druck dahinter hinreichend gering ist. Selbst ekelhafte Skandale wie der aktuelle erhöhen ihn nur kurz. Man darf annehmen: Würde langfristig in den Nachrichten über die Massentierhaltung berichtet, so würden die Deutschen nicht weniger Fleisch essen. Sondern weniger Nachrichten schauen - bis zum nächsten Lebensmittelskandal. Dass der früher oder später kommt, kann als sicher gelten. Weil wir essen, wie wir essen. Und kaufen, wie wir kaufen.

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