Ein Nachruf zu Lebzeiten:Adieu, BB

Was tun, wenn eine Göttin plötzlich unmenschlich wird? Kopfschütteln. Trauern.

Von Julia Encke

SZ am Wochenende vom 19.6.2004 - Vor einer Woche druckten wir an dieser Stelle eine Liebeserklärung unseres Erotikredakteurs an die verführerische französische Frau, wie sagt man? - par excellence. Eigentlich sollte diese Woche wieder eine hier stehen, dieses Mal adressiert an die Schriftstellerin George Sand, die Romantikerin, die gerne Hosen trug und diesen Sommer 100 geworden wäre. Das geht nun leider nicht mehr.

Denn: In regelmäßigen Abständen werden aus Frankreich erzürnte Verlautbarungen kolportiert, aus dem einst so hinreißenden Schmollmund einer Göttin, die wir bisher stoisch zur Kenntnis nahmen. Doch wenn in der vergangenen Woche unser Kollege noch dem verwirrenden Zauber der französischen Frau erlag, so müssen wir ihm heute leider die traurige Mitteilung machen: Selbst französische Göttinnen sterben. Sie versinken gelegentlich sogar im Schlamm. Und zwar für immer.

Brigitte Bardot. Soeben wurde sie in Frankreich wegen Anstiftung zum Rassenhass verurteilt. Zum mittlerweile dritten Mal innerhalb von acht Jahren. Bardot, deren Schwäche für den rechtsextremen Jean-Marie Le Pen lange bekannt und die in vierter Ehe mit Le Pens Berater Bernard d'Ormale verheiratet ist, scheint das allerdings nicht weiter zu beeindrucken. Sie erschien erst gar nicht zur Verhandlung, wird die Geldbuße über 5000 Euro sicher bereitwillig zahlen und so weiter machen wie bisher.

Madame Bardot nimmt nur ungern ein Blatt vor den Mund: In ihrem jüngsten Buch "Ein Ruf aus der Stille", gegen das die "Bewegung gegen Rassismus" Anzeige erstattete, sieht sie Frankreich von der "Islamisierung" bedroht, wettert gegen "illegale Einwanderer, die Kirchen entweihen und besetzen, um sie in menschliche Schweineställe zu verwandeln, wenn sie hinter den Altar kacken und ihren widerlichen Geruch im Chorraum verbreiten".

Arbeitslose hält sie für Schmarotzer, eine Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums für "zum Totlachen", zeitgenössische Literatur für "entartet", und sie bedauert, dass "die sympathischen Damen vom horizontalen Gewerbe durch Mädchen aus dem Osten, Nigerianerinnen, Transvestiten und Jungs mit Aids" ersetzt wurden. Ein unglaublich armseliges Programm. BB schafft es, noch deutlicher zu werden als Le Pen selbst, was bemerkenswert ist.

Adieu, BB

Es gibt nun Menschen, die an diesem Rundumschlag Gefallen finden, weil er - wie erst neulich der Kritiker einer großen deutschen Tageszeitung behauptete - "mit der niemals zu ruinierenden, charmanten, geistvollen Frechheit des französischen Chansons vorgetragen wird". Wir werden diesem Kritiker demnächst mal ein paar Chanson-CDs schicken! Andere kümmern sich nicht weiter drum, halten das Ganze für die wirren Verirrungen eines alt gewordenen Stars, denen man doch bitte nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken dürfe. Also bloß nicht aufregen.

Hm, aber so geht es nicht. Es geht vielmehr ja auch nicht um irgendwen. Brigitte Bardot war, zusammen mit der nicht weniger tollen Jeanne Moreau, die wegbereitende Revolutionsikone aus "Viva Maria" und, 25 Jahre später, selbst noch für uns Fackelträgerin. Sie hat uns erzogen, auch wenn das, wie bei jedem Erziehungsprogramm, zuletzt nicht richtig geklappt hat. Niemand konnte - zum großen Erstaunen von Jean Gabin in Autant-Laras "Mit den Waffen einer Frau" - mitsamt ihren Kleidern so eben mal den Muff ganzer Jahrzehnte abstreifen. Niemand konnte so gleichgültig, perfekt gelangweilt und trotzig in bildungsbürgerlichen Kunstbänden blättern wie sie mit ihrem breiten dunklen Haarband und dem geringelten T-Shirt als Camille Javal in Godards "Verachtung".

"Ich mag nicht, wenn Du ordinäre Worte sagst", empörte sich der etwas zu selbstgerecht in der Badewanne sitzende Michel Piccoli bei Godard. Und sie, in ihr knallrotes Badehandtuch gehüllt und an die weiße Wand gelehnt, legte los: "Arschloch, Pottsau, Miststück, verfluchte Scheiße, mieser Hund, nuttiges Flittchen . . . Findest Du noch immer, dass das nicht zu mir passt?" Das war, so wie sie das sagte - nicht laut, sondern eher beiläufig, ganz so, wie man die Einkaufsliste für das Abendessen aufzählt - sehr toll. Klar, dass wir auch so ein knallrotes Badetuch brauchten. Naja.

Sogar Simone de Beauvoir würdigte BBs zügellosen Freiheitsdrang, und das bestimmt nicht ohne heimlichen Neid. Denn Brigitte Bardot war nicht nur kein unterwürfiges Weibchen. Sie hatte eben auch nichts von der intellektuellen Sprödigkeit der Feministinnen, die Beauvoir Zeit ihres Lebens leider nicht ablegen konnte. Sie machte was, und sie liebte, wen sie wollte: "Wenn ihr ein Mann ins Auge fällt", wusste Marguerite Duras, "geht die Bardot ohne Umschweife auf ihn zu. Nichts hält sie auf. Ob er sich in einem Café befindet, zu Hause oder bei Freunden, spielt keine Rolle. Sie verschwindet mit ihm auf der Stelle, ohne ihren Begleiter, den sie verlässt, auch nur noch eines Blickes zu würdigen."

Verzückt von dieser Mir-gehört-die-Welt-Geste schenkte ihr Serge Gainsbourg eines morgens "Je t'aime, moi non plus", das die beiden sogar im Studio aufnahmen. Aus Rücksicht auf Gunter Sachs, mit dem BB damals verheiratet war, verzichtete er allerdings darauf, die Platte auch tatsächlich herauszugeben. Leider - wie sie feststellen musste. Als Gainsbourg kurze Zeit später die junge Jane Birkin kennen lernte und sie "ihr Lied" von beiden gestöhnt im Radio hörte, glaubte sie, "sterben zu müssen".

Für uns ist sie gestorben. Nicht damals, aber, nach jahrelanger Agonie, spätestens jetzt. All das, wofür sie stand, hat sie mutwillig verkauft und verraten, also auch uns. Das geht doch nicht.

Aus dem Schmollmund der einst blonden Sphinx dringt jetzt nur noch dumpfes Klartext-Gebrüll. Gelegentlich fragt man sich, was in der Haute Volée Frankreichs eigentlich los ist: Alain Delon jagt bekanntlich ähnlichen Hirngespinsten nach wie sie, was natürlich noch lange nicht heißt, dass die beiden gemeinsame Sache machen: "Gewiss, Alain ist schön", hat Bardot einmal gesagt. "Aber die Kommode im Stil Ludwig XVI., die in meinem Salon steht, ist auch schön. Und ich spreche mit Alain kein Wort mehr als mit meiner Kommode!" So. Das war das letzte Mal, dass wir über einen Kommentar von BB gelacht haben.

Im September wird sie 70 Jahre alt. Wir hätten ihr gerne gratuliert.

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