Bürgermeisterin stirbt in Mexikos Drogenkrieg:Chronik eines angekündigten Todes

Auftragskiller beschossen María Santos Gorrostieta wegen ihres Engagements gegen die Drogenkriminalität. Anstatt sich dadurch einschüchtern zu lassen, veröffentlichte die Bürgermeisterin einer mexikanischen Kleinstadt Bilder der Wunden. Nun ist die Mutter von drei Kindern entführt und ermordet worden.

Peter Burghardt

Als sie das zweite und letzte Mal dem Tod entkommen war, rief María Santos Gorrostieta einen Fotografen. Die damalige Bürgermeisterin der mexikanischen Kleinstadt Tiquicheo ließ die Schusswunden fotografieren, die ihr Auftragskiller der Drogenmafia zugefügt hatten.

Auf den Bildern waren Einschüsse an der Brust zu sehen, an Rücken, Bauch, Beinen. Nicht mal ihren künstlichen Darmausgang, ebenfalls eine Folge dieses Angriffs, verbarg die attraktive Frau von Mitte dreißig. "Ich wollte euch meinen verletzten, entstellten, gequälten Körper zeigen, weil ich mich nicht für ihn schäme, weil es das Ergebnis großer Unglücke ist, die mein Leben gezeichnet haben", schrieb sie in einem offenen Brief. Sie bleibe Bürgermeisterin, "ich kann nicht einknicken, ich muss bei der Erziehung meiner drei Kinder ein Vorbild sein." Das war im Januar 2011.

Wer die Täter waren? Solche Fragen werden in Mexiko selten beantwortet, 98 Prozent der Verbrechen bleiben ungesühnt. Und in Regionen wie dem Bundesstaat Michoacán wird besonders ungern über die Namen möglicher Killer gesprochen. 2009 hatte María Santos Gorrostieta bereits ein anderes Attentat knapp überlebt, kurz nach ihrem Amtsantritt. Bewaffnete Männer beschossen das Fahrzeug, in dem sie mit ihrem Mann José Sánchez saß. José Sánchez, ihre große Liebe, war vor ihren Augen gestorben. Im Januar 2011 hatte die junge Witwe also bereits den zweiten Angriff hinter sich, laut anderer Chroniken dieses angekündigten Todes war es sogar der vierte. "Eine innere Kraft hat mich dazu bewegt, mich noch sterbend zu erheben", teilte sie mit. "Ich werde so oft aufstehen, wie Gott es mir erlaubt."

Es war wie eine schaurige Parabel auf die Verhältnisse in diesem einerseits so schönen und fortschrittlichen und andererseits so grausigen und rückständigen Land. Manche Details über ihre tragische Biografie werden erst jetzt bekannt, Tage nach der finalen Katastrophe.

Vom Dealer zum Lokalpolitiker

María Santos Gorrostieta wurde 1975 in dieser armen Gegend im mittleren Westen Mexikos geboren. Sie war frühreif, sah gut aus und lernte bereits als 13-Jährige ihren späteren Gatten José Sánchez kennen, berichtete die Zeitung El Universal. Der ältere Sánchez hatte offenbar Erfahrung mit den besten Geschäften in Tierra Caliente, der heißen Erde, wie dieser Teil von Michoacán nicht nur wegen der Hitze genannt wird.

Der Schmuggel mit Marihuana blüht dort seit Jahrzehnten. Später kamen Kokain aus Südamerika dazu und Amphetamine aus Asien. Die Märkte teilten sich wenige Kartelle untereinander auf; Politiker, Polizisten und Juristen assistieren bis heute. Plata o Plomo, Geld oder Kugel. Auch die Bewunderung von Mädchen für die Narcos, die Drogenhändler, ist in einschlägigen Revieren nicht außergewöhnlich. Gerade wurden in Sinaloa bei einer Schießerei zwischen Armee und Gangstern eine Schönheitskönigin und ihr Freund getötet.

Das Paar Sánchez/Santos Gorrostieta jedoch schien die Kurve noch zu kriegen. Sie studierte in der Regionalhauptstadt Morelia und wurde Ärztin. Er engagierte sich nach seiner mutmaßlichen Karriere als Dealer in der Lokalpolitik. Erst eroberte mit Sánchez' Hilfe sein Bruder Gustavo im Auftrag der korruptionsgeschwängerten Revolutionspartei PRI das Rathaus von Tiquicheo. Danach übernahm mit seiner Unterstützung seine Ehefrau María, inzwischen Mutter dreier Kinder, das Bürgermeisteramt.

Die Familie hatte ihre Heimatgemeinde also im Griff, nur war unterdessen der Drogenkrieg ausgebrochen. In Michoacán bekämpfen sich Banden wie La Familia, Tempelritter und die Verbrecherorganisationen Sinaloa und Zetas, letztere entstanden aus einer Eliteeinheit des Militärs. Der konservative Präsident Felipe Calderón schickte 50.000 Soldaten auf die Straßen, in Calderóns Heimat Michoacán begann 2006 der Einsatz. Die Drogen werden seither nicht weniger, doch die Toten wurden immer mehr, mehr als 60.000 sind es in sechs Jahren. Die Kandidatin Santos Gorrostieta versuchte sich 2008 trotzdem als Bürgermeisterin. Erst für die PRI, danach wechselte sie zur Linkspartei PRD.

Leiche mit eingeschlagenem Schädel

Wenige Mutige wie sie böten den Narcos die Stirn, hieß es nach den Anschlägen. In Mexikos Konfliktzonen werden scharenweise Bürgermeister umgebracht, oder sie lassen sich kaufen oder geben auf. María Santos Gorrostieta bekam 2010 acht Leibwächter, danach vier. Dann wurde sie abgewählt, die PRI kehrte zurück. Sie heiratete wieder, bewarb sich um ein Mandat in Mexikos Parlament, sammelte jedoch zu wenig Stimmen. Schließlich war die Bewachung weg, "weil ich niemandem etwas schulde", wie sie sagte. Oder weil der Gouverneur ihre Bodyguards abzog.

Am Morgen des 12. November 2012 fuhr María Santos Gorrostieta, 36, ihre Tochter in die Schule von Morelia, ungeschützt. Angreifer in einem Fahrzeug mit dunklen Scheiben hielten sie auf. Lasst die Kleine in Ruhe, bat sie und wurde in das fremde Autos gezogen. Andere erzählen, sie sei in Gegenwart ihres zweiten Mannes verschleppt worden. Von einer Entführung war die Rede, Kidnapping ist häufig, doch niemand verlangte Lösegeld. Am 15. November wurde eine Leiche mit eingeschlagenem Schädel und weiteren Spuren von Misshandlung gefunden. Gerichtsmediziner identifizierten sie tags darauf als die frühere Bürgermeisterin María Santos Gorrostieta. Das dritte Attentat überlebte sie nicht.

Der Gouverneur von Michoacán sprach den naheliegenden Satz, ihr Tod stehe "im Zusammenhang mit dem möglichen Eingreifen des organisierten Verbrechens".

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