4000-Tonnen-Frachter verschollen:Piraten vor Europas Küste?

Mysteriöses Verschwinden: Seit Tagen besteht kein Funkkontakt zur Arctic Sea. Behörden befürchten einen Piratenüberfall in europäischen Gewässern. Russlands Präsident Medwedjew entsendet Suchtrupps.

G. Herrmann

Der unter maltesischer Flagge fahrende Frachter Arctic Sea ist seit zwei Wochen verschwunden, zur russischen Besatzung besteht kein Kontakt mehr. Die britische Küstenwache erklärte am Mittwoch, es könnte sich um den ersten Piratenüberfall in europäischen Gewässern handeln. Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew befahl dem Militär, "alle notwendigen Maßnahmen" zur Suche zu ergreifen.

4000-Tonnen-Frachter verschollen: Vor zwei Woche  bestand der letzte Funkkontakt zur Besatzung des Frachters - seitdem ist das Schiff verschollen.

Vor zwei Woche bestand der letzte Funkkontakt zur Besatzung des Frachters - seitdem ist das Schiff verschollen.

(Foto: Foto: dpa)

Die russische Marine soll im Nordatlantik nach dem verschollenen 4000-Tonnen-Schiff suchen und es notfalls befreien. Der Frachter soll 6000 Kubikmeter finnisches Holz im Wert von 1,16 Millionen Euro geladen haben. Die Familien der 15 Besatzungsmitglieder hatten Ministerpräsident Wladimir Putin in einem offenen Brief um Hilfe gebeten.

Reederei meldete vor zwei Wochen mysteriösen Überfall

Der Frachter, der Ende Juli von Finnland nach Algerien schippern sollte, hatte bereits vor zwei Wochen für Aufsehen gesorgt.

Damals meldete die Reederei einen mysteriösen Überfall vor der schwedischen Insel Gotland, der aber glimpflich ausgegangen sein soll. Nun rätselt die Küstenwache, ob die Sache ernster war, als zunächst angenommen. Die Arctic Sea hat ihren algerischen Zielhafen Bejaia nie erreicht, wo sie am 4. August ihre Ladung hätte löschen sollen.

Sicher ist: Am 27. Juli meldete eine Reederei der finnischen Polizei, dass einer ihrer Frachter in schwedischen Gewässern von Piraten attackiert worden sei. Der Angriff war da schon einige Tage her, die Reederei hatte angeblich versucht, die Sache selbst zu klären.

Die Arctic Sea soll demnach bereits am 24. Juli gekapert worden sein. Die Piraten durchsuchten das Schiff - und verschwanden. Schwedens Polizei ermittelt nun in der Sache. Die Fahnder würden gerne die Besatzung verhören. Doch die Arctic Sea und mit ihr alle Zeugen sind unauffindbar.

Zum letzten Mal wurde der Frachter am 28. Juli vor der Küste Nordfrankreichs gesichtet. Die Küstenwache Dover hatte Funkkontakt zur Besatzung, alles schien in Ordnung zu sein. Die britische Küstenwache wusste zu diesem Zeitpunkt allerdings nichts von dem früheren Überfall in der Ostsee, die Medien berichteten erst zwei Tage später über den Fall.

Da war der Frachter bereits vom Radar verschwunden. Vermutlich wurde das elektronische Identifikationssystem abgeschaltet, das Schiffe dieser Größe an Bord haben müssen. Der spanischen Küstenwache zufolge hat die Arctic Sea auch die Straße von Gibraltar nicht passiert, die sie hätte durchqueren müssen.

Geht es um Drogenschmuggel?

Nun wird spekuliert, dass die Piraten noch an Bord seien und das Schiff entführt hätten. Ein solches Verbrechen in europäischen Gewässern auf einer der am stärksten befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt hat es an dieser Stelle bisher nicht gegeben. Rätselhaft ist, warum die Arctic Sea ihre Fahrt nach dem Überfall vor Gotland fortsetzte und keinen Hafen ansteuerte, zumal die Piraten Geräte an Bord beschädigt und ein Crewmitglied leicht verletzt haben sollen.

Es gibt aber auch die Vermutung, dass die Schiffsbesatzung selbst versucht, den Behörden aus dem Weg zu gehen. Dieser Theorie nach handelt es sich nicht um einen besonders dreisten Fall von Piraterie, sondern um eine Auseinandersetzung im Gangstermilieu, bei der es um Waffen- oder Drogenschmuggel gehen könnte.

Die Seefahrergewerkschaft Nautilus International kritisierte, die Behörden hätten viel zu spät auf den seltsamen Zwischenfall reagiert. "Es ist unfassbar, dass ein Schiff mehr als zwei Wochen herumfahren kann, ohne dass jemand seine genaue Position kennt", sagte ein Sprecher der Gewerkschaft.

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