"1984":Comeback nach 68 Jahren

Big Brother

Big Brother - Staat à la Orwell.

(Foto: Larry Ellis/Getty Images)

Und plötzlich steht er wieder auf Platz 1 der Bestsellerliste: Wie kommt es, dass George Orwells düsterer Zukunftsroman "1984" im Moment wieder so erfolgreich ist?

Von Martin Zips

George Orwell? Den Namen hatten viele Fernsehzuschauer noch nie gehört. Wer war dieser Mann? Karen Tumulty, Reporterin der Washington Post, erwähnte Orwell als eine der Ersten im Zusammenhang mit dem Ausspruch der US-Präsidentenberaterin, die Regierung habe "alternative Fakten" zu den Zuschauerzahlen bei der Vereidigung. ",Alternative Fakten' ist eine George-Orwell-Phrase", sagte Tumulty am Sonntag bei CNN.

Gut, dass es das Smartphone gibt, denn da konnten gerade die jungen Zuschauer gleich mal "George Orwell" googeln. Ah, britischer Schriftsteller. 1903 bis 1950. "Animal Farm" ist von ihm. War das nicht dieser Zeichentrickfilm, in dem Schweine über Pferde herrschen? Na ja, uralt und nicht in 3D. Nur wenige Stunden später fand sich die aktuelle Paperback-Ausgabe von Orwells Roman "1984" in der US-Bestseller-Liste des Online-Versandhändlers Amazon: Platz eins für ein 68 Jahre altes Buch.

Die düstere Geschichte des Winston Smith, Angestellter in einem totalitären Überwachungsstaat, ist also wiederentdeckt. "Zwiedenken", "Neusprech", die totale Überwachung durch den "Großen Bruder", die vollständige Kontrolle der Vergangenheit, um Macht über Gegenwart und Zukunft zu erhalten. Im Netz schrieb jemand, er habe das Buch schon vor Jahren gelesen, aber jetzt sei es an der Zeit, "Dinge aufzufrischen". Der Ausspruch der Präsidentenberaterin sei ja nur eine Nuance Orwell'scher Vergangenheitsveränderung. Innerhalb von 48 Stunden bewerteten mehr als 500 Kunden seinen Eintrag als "hilfreich".

Auch in Deutschland ist "1984" gefragt wie seit 1984 nicht mehr: Platz drei der Bestsellerliste. Damals diskutierte man ein ganzes "Orwell-Jahr" lang in Schulen, Zeitungen und Unis über Volkszählungen, Strichcodes, Überwachungskameras und andere Dinge, die aus heutiger Sicht schlicht ein Witz sind. "Gerade bereiten wir eine große Neuausgabe vor", sagt Kristine Kress, Cheflektorin beim Ullstein-Verlag. Thomas Le Blanc, Leiter der weltweit größten Sammlung für dystopische Literatur in Wetzlar, überrascht Orwells neuer Erfolg nicht: "Seine Prognose ist eingetroffen, wenn auch mit Verspätung. Der Kampf um die Meinungsführerschaft, die Möglichkeiten der Überwachung - all das ist aktuell und macht sein Buch gerade für junge Leser interessant."

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