Zweite Stammstrecke:Warten auf den Durchbruch

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In wenigen Wochen will das Eisenbahnbundesamt den westlichen Abschnitt des zweiten S-Bahn-Tunnels genehmigen. Doch ob am Ende das Geld für den Bau überhaupt zur Verfügung steht, ist völlig unklar

Von Marco Völklein

Andreas Barth kann es nicht mehr hören. "Ich weiß gar nicht mehr das wie vielte Politikerversprechen das nun wieder ist", sagt der Mann vom Fahrgastverband Pro Bahn und meint damit die Ankündigung von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der hatte Ende April verkündet, er rechne beim geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung. Tatsächlich könnte sich in nächster Zeit wirklich etwas tun.

Die Genehmigung

Das für die Genehmigung des Projekts zuständige Eisenbahnbundesamt (EBA) will zumindest für den westlichen Abschnitt des Tunnels den Genehmigungsbescheid, also den Planfeststellungsbeschluss, "in wenigen Wochen" vorlegen, wie ein Sprecher sagt. "Die Erarbeitung des Beschlusses" sei "im Übrigen schon weit fortgeschritten". Damit wären bereits zwei der drei Bauabschnitte genehmigt, für den umstrittenen östlichen Teil durch Haidhausen läuft das Verfahren noch.

Mit dem Bescheid für den westlichen Abschnitt ist dennoch ein wichtiger Meilenstein erreicht, von dem viele weitere Schritte abhängen. Die Deutsche Bahn will, sobald der Beschluss vorliegt und damit klar ist, was gebaut werden darf und was nicht, die Baumaßnahmen ausschreiben. Dann können Baufirmen Angebote einreichen. Und dann, so stellt es Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) stets dar, lässt sich auch genau abschätzen, wie viel der Tunnel kosten wird. Denn klar ist schon jetzt: Die bislang kalkulierten zwei Milliarden Euro werden es am Ende keinesfalls sein. Der SPD-Haushälter Ewald Schurer, Bundestagsabgeordneter für Ebersberg und Erding, rechnet locker mit drei Milliarden Euro, die Freien Wähler im Landtag mit noch höheren Summen.

Die Umsteige-Frage

Herrmann hatte bereits für Januar mit dem EBA-Bescheid gerechnet. Dann wurde Februar daraus, nun also dürfte es Sommer werden. Knifflig war vor allem ein Punkt: Jahrelang hatten sich die Planer der Bahn und der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) gezofft, wie die Übergänge von den bestehenden U-Bahnhöfen am Hauptbahnhof zum geplanten S-Bahn-Haltepunkt gestaltet werden sollen. Die MVG wollte nicht, dass zusätzliche Tunnel gegraben und diese direkt auf den U-Bahnsteigen rauskommen. Denn dafür, so argumentierte die MVG, sei schlichtweg kein Platz mehr auf den Perrons, auf denen sich jetzt schon die Fahrgäste drängen - insbesondere im Berufsverkehr und zur Wiesn. Zunächst warteten beide Seiten darauf, dass das EBA entscheidet, welche Lösung realisiert werden darf - die der Bahn oder die der MVG. Dann aber einigte man sich doch. Zwar äußert sich keiner der Beteiligten öffentlich, nach SZ-Informationen wird aber der MVG-Vorschlag in den Bescheid einfließen. Damit werden keine direkten Zugänge von den U-Bahnen zur zweiten Röhre gegraben. Wer künftig etwa von der U 4/5 zu einer S-Bahn im neuen Tunnel umsteigen will, muss dann zunächst nach oben in die Haupthalle des Bahnhofs gehen, diese zur Hälfte durchqueren - und über das geplante Zugangsbauwerk in der Schalterhalle, den "Nukleus", mittels Expressaufzügen und Rolltreppen nach unten rauschen.

Damit aber sind die Fahrgäste vermutlich deutlich länger unterwegs als bislang geplant. Gegner des zweiten Tunnels sehen darin ein Problem. Denn die sogenannten "Fahrzeitgewinne", also das schnelle Umsteigen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern, spielen bei der Kosten-Nutzen-Berechnung für den Tunnel eine wichtige Rolle. Sind die Passagiere länger unterwegs, könnte das den Nutzen-Kosten-Faktor, der bislang ohnehin nur knapp über dem Wert von 1,0 liegt, unter diese Schwelle drücken. Dann aber wäre der Punkt erreicht, an dem der Bundesverkehrsminister sagen müsste: Für dieses Projekt geben wir kein Geld. Denn das Gesetz fordert die Erfüllung diese Bedingung. "Spätestens jetzt", fordert daher Tunnelgegner Berthold Maier vom Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr (AAN), "wäre es geboten, den Nutzen neu berechnen zu lassen."

Mit solchen Fragen indes wollen sich Bahn und Freistaat nicht beschäftigen. Man möchte "der Entscheidung des Eisenbahnbundesamtes in keiner Weise vorgreifen", erklärt ein Bahnsprecher nur. Den Fragenkatalog der SZ dazu lässt er unbeantwortet. Auch Minister Herrmann will sich zu Detailfragen wie Umsteigezeiten nicht äußern. Er lässt lediglich erklären, man werde "zu einem laufenden Planfeststellungsverfahren keine Angaben" machen.

Die Finanzierung

Ähnlich zugeknöpft geben sich alle Beteiligten auch bei der Frage nach der Finanzierung. Nach wie vor ist unklar, woher die drei oder vielleicht sogar noch mehr Milliarden Euro für den Bau kommen sollen. Während der Freistaat und die Stadt ihre Finanzzusagen zumindest einigermaßen zurechtgezurrt haben, gibt der Bund keine definitive Zusage für seinen Anteil. Zumal die Lage in Berlin in den vergangenen Monaten alles anderer als klarer geworden ist. Ganz im Gegenteil: Der Streit ums Geld wird immer verworrener.

Denn im Bundeshaushalt existieren mehrere Geldtöpfe, die für den Schienennahverkehr zur Verfügung stehen. Da gibt es unter anderem das (heillos überzeichnete) "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz", kurz GVFG, aus dem der Bund seinen Anteil für den zweiten Tunnel bezahlen will. Daneben gibt es "Regionalisierungs-" und "Entflechtungsmittel", die zum Großteil in den laufenden Zugbetrieb fließen. Alle diese Geldtöpfe sind zeitlich befristet; die Befristungen laufen bald aus (wie beim GVFG) oder sind es bereits (bei den Regionalisierungsmitteln). Es müsste also dringend geregelt werden, wie viel Geld Bund und Länder aus welchem Topf in den nächsten Jahren nehmen können, um zu wissen, welche Neubauprojekte man bezahlen kann. Und um zu klären, wie viele Züge die Länder auf die Neubau- wie die Bestandsstrecken schicken können.

Doch an einer Klärung dieser Frage scheint in Berlin niemand wirklich interessiert zu sein, beklagen Nahverkehrsfachleute. Sie werfen vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Hinhaltetaktik vor. So wolle der Bund die Frage der Nahverkehrsfinanzierung nicht einzeln nach den jeweiligen Töpfen klären - sondern im Rahmen einer Reform der sogenannten Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Diesen Vorschlag erneuerte am Dienstag erst wieder Schäubles Staatssekretär Werner Gatzer (SPD). Damit sind plötzlich weitere Geldtöpfe in der Diskussion - unter anderem geht es nun auch noch um den Anteil der Länder am Mehrwertsteueraufkommen. Und um den Solidaritätszuschlag, der aus Sicht einiger Politiker 25 Jahre nach der Wiedervereinigung abgeschafft gehört. Wer die Politik in Berlin kennt, der weiß: Das bringt den Streit ums Geld nicht unbedingt einer raschen Lösung näher. Ganz im Gegenteil.

Gatzer erklärte zwar am Dienstag erstmals, der Bund sei grundsätzlich dazu bereit, die diversen Nahverkehrs-Geldtöpfe fortzuführen. Offen ließ er aber, bis wann und in welcher Höhe. Branchenkenner befürchten daher, dass sich eine Einigung noch bis ins nächste Jahr ziehen könnte. Damit wäre auch OB Reiters Ansage Makulatur. Immerhin: Bisher zogen sich die Politiker im Bund und im Freistaat stets auf den Standpunkt zurück, solange die Baugenehmigung für den Tunnel nicht vorliege, könne und müsse man auch die Finanzierung nicht klären. Dieses Argument dürfte nun bald wegfallen. Die EBA-Juristen müssen den Bescheid nur noch abschicken.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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