Zweimal Oskar Maria Graf:Die zärtliche Lederhose

"Ich duschte mich und zog meine bayrische Tracht an: weißes Leinenhemd, kurze Lederhosen, Janker, Kniestrümpfe und das Hütel mit den Federn. Gleich darauf stieg ich die breiten Treppen hinunter. Der ganze Betrieb kam einigermaßen ins Stocken. Es war, als erschiene ein Geist."

Egbert Tholl

Der Geist war keineswegs untot, sondern voll Ironie breit grinsend lebendig. Und fühlte sich in Tracht pudelwohl, im Hotel Metropol zu Moskau, wohin er 1934 gereist war zu einem proletarisch wertvollen Schriftstellerkongress.

Allein der Umstand der Einladung erheiterte Oskar Maria Graf. Doch erst das Wiedersehen mit alten, ebenfalls vor der Nazibarbarei geflohenen Freunden machte den Aufenthalt vollends zur Gaudi.

Diese Geschichte ist ein Exkurs. Auf der eben erschienenen CD des Hörverlages "Made in Bavaria" findet sich nichts von Grafs russischen Reiseerinnerungen, die ungemein erhellend, zärtlich klar das Gefüge und die Befindlichkeiten der noch hoffnungsfrohen Sowjetunion beschreiben.

Doch sie sind das Verbindungsstück zwischen dem bayerischen und dem amerikanischen Graf. Und um die beiden geht es auf jener Doppel-CD. In den späten 50er und frühen 60er Jahren, als Graf wiederholt auf Tournee in Deutschland war, las er für den Rundfunk einige seiner Geschichten und erzählte aus seinem Leben. Auch sein berühmt gewordener Aufruf "Verbrennt mich!" findet sich darunter.

Am 12. Mai 1933 erschien in der Arbeiter-Zeitung in Wien, wo Graf gerade auf Lesereise weilte, jene Entrüstung, die Graf den Nazis entgegen warf, weil sie ihn bei der Bücherverbrennung vergessen hatten. Manchem Blut- und Bodennazi galt er als kommoder Heimatdichter - dieses Missverständnis klärte er vehement auf. Und lebte fürderhin nie mehr in Deutschland.

Heimat war für Oskar Maria Graf neben seiner alten Mutter, die er in Berg am Starnberger See zurückließ, als er sich mit jugendlichem Überschwang ins Münchner Boheme-Leben stürzte, stets Sprache. Also Dialekt.

Deshalb sprach er auch, in Moskau wie in New York, Bayerisch. Auf der CD erzählt er dazu von einer Zugfahrt nach Detroit, wo er den Schaffner, der eine Nachzahlung verlangt, mit der enervierenden Wiederholung des einzigen englischen Satzes, den er von sich zu geben gewillt war, "I paid in New York", in die Verzweiflung treibt.

Irgendwann gibt dieser auf, am "crazy man" verzweifelt er. Je länger man diesem so wunderlichen Verrückten zuhört, etwa wenn er von der Begegnung mit einem bayerisch sprechenden Neger (O-Ton Graf) beim Heurigen in Wien erzählt, den er als Nachfahren jener afrikanischen Familien identifiziert, die Ludwig I. einst als Aktmodelle an die Kunstakademie geholt hat, je länger man dieser leuchtenden Sprache zuhört, in der das Hochdeutsche ein wenig verquer herumsteht, diesem amüsiertem, kindlichem Stolz, desto vertrauter wird sie einem.

Auch weil man an einen Schauspieler denkt, der ein paar Kilometer von Grafs Geburtsort lebt, in Ambach am Starnberger See: Sepp Bierbichler. Den kann man jetzt quasi als Oskar Maria Graf erleben, in der Sprachoper "Unser Oskar", die im Rahmen von Festspiel+ am 30. und 31. Juli im Cuvilliés-Theater (wo Graf in den 50er Jahren übrigens für einen Skandal sorgte, weil seine Lederhose die ihn Feiernden arg irritierte) zu sehen ist (jeweils 20.30 Uhr).

Zum Abschluss der Festspiele kommt das Rahmenprogramm ganz zu sich. "Gegen.Welten" heißt es, den unzeitgemäßen, aufrechten Querdenker Graf feiert es nun. Zuständig dafür ist Andreas Ammer, der dort lebt, wo Graf geboren wurde. Mit teils elektrobrachialen Hörstücken wurde Ammer einst zu einer Ikone des alten Marstall-Theaters; nun widmet er sich zusammen mit dem Cellisten Sebastian Hess (gebürtig aus Berg) dem großen Zwiespalt in Grafs Leben: der Liebe zur Heimat einerseits, dem Widerwillen gegen falsch verstandenes Bayerntum andererseits.

Ein handgemachtes, dokumentarisches "Künstlerdrama einer real existiert habenden Person" (Ammer) wird es werden, mit Bierbichler, Michael Tregor und der Bachhauser Blasmusik (in Tracht).

Die Musiker aus Berg überforderten die Theaterverwaltung ein wenig, weil sie pro Abend zwei, drei Kästen Bier als Betriebsstoff benötigen. Da befinden sie sich in guter Tradition. Als Graf beim Münchner Fasching von Kathi Kobus ob seines brachialen Saufens jede Chance zum Berühmtwerden abgesprochen wurde, meinte die nebensitzende Ricarda Huch: "Aber das gehört doch zu ihm. Er ist doch ein Bär. Und Berühmtsein ist doch so fad. Das ganze Privatleben geht dabei flöten." Dazu Graf auf obiger CD: "Goldene Worte, wahrhaftig. Goldene Worte!"

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