Zweijährige von S-Bahn angefahren:"Alle stehen unter Schock"

Das zweijährige Mädchen, das von einer S-Bahn angefahren wurde, ist inzwischen außer Lebensgefahr. Es war durch ein Loch im Zaun auf die Gleise gelangt. Nun wird ermittelt, wer die Schuld an dem Unfall trägt.

Tina Baier und Florian Fuchs

Zweijährige von S-Bahn angefahren: Der Bahnhof Perlach. Hier wurde ein Mädchen von einer S-Bahn angefahren.

Der Bahnhof Perlach. Hier wurde ein Mädchen von einer S-Bahn angefahren.

(Foto: Claus Schunk)

Das Mädchen, das am Mittwoch in Perlach von einer S-Bahn angefahren wurde, liegt noch immer mit schweren Kopfverletzungen auf der Intensivstation einer Münchner Klinik, ist aber inzwischen nicht mehr in Lebensgefahr. Der Zustand sei stabil, sagen die Ärzte.

Die Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen der Perlacher Kita "Villa Wunderland", aus der das Mädchen entwischt war, wurden am Donnerstag von einem Kriseninterventionsteam des Arbeiter Samariterbunds betreut. "Alle stehen unter Schock", sagt Doris Rauscher, die beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, zu dem die Kita gehört, für die pädagogische Leitung zuständig ist.

Die Villa Wunderland, in der insgesamt 66 Kinder im Alter von 0 bis sechs Jahren betreut werden, bleibt auch am heutigen Freitag noch geschlossen. Der Unfall ereignete sich, als zwei Betreuerinnen mit 19 Kindern im Freien waren. Die dritte Betreuerin hatte mit einem Kind, das gerade zur Eingewöhnung in der Einrichtung war, ins Haus gehen müssen und deshalb eine Vertretung in den Garten geschickt, die dort aber noch nicht angekommen war.

Um in den Garten zu gelangen, müssen die Betreuerinnen mit den Kindern einen Parkplatz überqueren, der nicht zur Kita gehört. Einige Kinder nutzten den Platz an diesem Tag, um mit ihren Bobbycars zu fahren. "Die Betreuerinnen hatten einen Bereich markiert, in dem sich die Kinder aufhalten durften", sagt Rauscher. Das kleine Mädchen gelangte zusammen mit zwei Buben, die auch zwei Bobbycars mitnahmen, aus diesem Bereich durch eine zehn Meter breite Lücke in einem Maschendrahtzaun auf die 200 Meter entfernten Gleise.

Die Lücke und ein angrenzender Trampelpfad werden offenbar von zahlreichen Fahrgästen der S-Bahn genutzt, um schneller zum Bahnhof Perlach zu kommen. Ein Sprecher der Bahn teilte am Dienstag auf Anfrage der SZ mit, dass der Zaun nicht dem Unternehmen gehöre. Laut ersten Ermittlungen der Polizei ist es ein öffentlicher Zaun und untersteht damit der Verantwortung der Stadt.

"Personalmangel war nicht der Grund für den Unfall"

Der 24 Jahre alte S-Bahnführer der Linie 7 Richtung Wolfratshausen bemerkte die Kinder auf den Gleisen, leitete eine Schnellbremsung ein und löste ein Warnsignal aus. Die zwei Buben schreckte der gellende Pfiff auf, sie liefen von den Gleisen. Das Mädchen blieb stehen: Die Bahn erfasste die Zweijährige und schleuderte sie einige Meter weit durch die Luft. Ein 34 Jahre alter Augenzeuge rannte zu dem Kind, hob die Kleine hoch und trug sie zurück in die Kindertagesstätte. Ein verständigter Kindernotarzt versorgte das Mädchen, im Krankenhaus wurde es wenig später notoperiert.

"Personalmangel war nicht der Grund für den Unfall", sagt Doris Rauscher. Der Personalschlüssel in der Villa Wunderland sei sogar besser als gesetzlich vorgeschrieben. Alle Betreuerinnen seien ausgebildete Fachkräfte. Die Ermittler werden jetzt der Frage nachgehen müssen, ob die Betreuerinnen an diesem Tag ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. "Die Zugangswege zu einer Kindertagesstätte müssen gesichert sein, damit eine Kita eröffnen darf", sagt Eva-Maria Volland aus dem Münchner Bildungsreferat.

Wenn auf den Zugangswegen nach der Eröffnung Sicherheitsrisiken entstünden, seien grundsätzlich alle Bürger, also auch Erzieherinnen und Eltern, im Rahmen ihrer Bürgerpflicht zuständig, diese zu melden und zu beheben. Bei der Stadt müssten die Erzieherinnen zudem im Zuge ihrer Aufsichtspflicht Orte außerhalb der Kita, an denen sie sich mit den Kinder aufhalten, auf ihre Sicherheit hin überprüfen.

Die Ermittlungen der Polizei, wie es überhaupt zu dem Unfall kommen konnte und ob jemand Schuld trägt, stehen erst am Anfang. "Die Untersuchungen dauern an, weil wir die Beteiligten am Mittwoch gar nicht befragen konnten. Sie standen alle unter Schock", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Peter Preuß. Sobald die Aussagen vorliegen und der Unfallhergang detailliert nachzuverfolgen ist, will die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob weitere Schritte nötig sind. Auch der Maschendrahtzaun, von dem aus der Trampelpfad hin zum S-Bahnsteig führt, wird in den Ermittlungen eine Rolle spielen. "Wir werden uns natürlich auch genau anschauen, was es mit der Lücke in dem Zaun auf sich hat", sagt Preuß.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: