Zum Unicef-Bericht über Kinderarmut:"Dieses Gefühl von Erniedrigung"

Vier Kinder und pro Woche 70 Euro für das Essen: Drei erschreckende Beispiele aus der reichen Stadt München.

Elisa Antz

"Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal zur Münchner Tafel ging, um mir kostenlos Lebensmittel zu holen, habe ich geheult vor Scham, aber es hilft ja nichts." Sabine Eichner erzählt eine Geschichte von der Armut in der reichen Stadt - und besonders der Kinderarmut. Die vierfache Mutter ist alleinerziehend und arbeitslos. Etwa 450 Euro Arbeitslosengeld bekommt sie monatlich, 640 Euro Kindergeld, insgesamt etwa 600 Euro Unterhaltszahlungen von den Vätern sowie 120 Euro Pflegegeld für Mico.

Zum Unicef-Bericht über Kinderarmut: Helga Fröhlich und ihre beiden Söhne Jan und Timo müssen ständig sparen - 720 Euro bleiben der Familie monatlich.

Helga Fröhlich und ihre beiden Söhne Jan und Timo müssen ständig sparen - 720 Euro bleiben der Familie monatlich.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Ihr Sohn Mico ist schwerstbehindert und wohnt alle vierzehn Tage übers Wochenende hier. Für die Übernachtungen braucht er ein 5000 Euro teures Spezialbett. Zwei Mal wurde der Antrag vom Sozialamt abgelehnt. "Ich habe aber nicht aufgegeben, bis er bewilligt wurde", berichtet Eichner. Die Kosten für Micos Heimaufenthalt unter der Woche zahle der Bezirk Oberbayern.

Kriterien, die häufig zur Kinderarmut führen

Sabine Eichners Kinder erfüllen gleich zwei Kriterien, die nach dem Unicef-Bericht, den Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen am Montag in Berlin vorstellte, besonders häufig zu Kinderarmut führen. Die Familie gilt als kinderreich, die Mutter ist alleinerziehend. Ihr Alltag bleibt beschwerlich und nervenaufreibend. "Ich kann wöchentlich 70 Euro für Essen für die ganze Familie ausgeben. Wenn ich das Limit strikt einhalte, dann bleiben uns etwa 600 Euro monatlich."

"Dieses Gefühl von Erniedrigung"

Ihr ältester Sohn André will sich nicht beschweren. Ab September wird der Sechzehnjährige in seiner Ausbildung als Verkäufer 603 Euro verdienen. Bisher bekommt er monatlich 40 Euro Taschengeld und verdient sich etwa 60 Euro durch dass Austragen von Zeitungen dazu: "Das war schon okay, wirklich gefehlt hat mir eigentlich nie etwas."

Ein eigenes Zimmer ist Luxus

Seine Mutter sieht ihre finanzielle Lage weitaus kritischer: "Meine Kinder kommen immer an erster Stelle. Aber ich muss ständig kämpfen, damit wir über die Runden kommen." Andrés eigenes Zimmer ist ein Luxus, der seinen drei Geschwistern nicht zuteil wird. Die dreizehnjährige Marina und die achtjährige Celina teilen sich ein Schlafzimmer. Auch Mico schläft alle zwei Wochen im selben Zimmer.

Für Klassenfahrten oder Unterrichtsmaterialien zum Beispiel schicke ich jedes Mal einen Antrag zum Sozialamt. Aber die Möbel hier, die Kinderbetten und die Wohnzimmerschränke, die hätten wir uns ohne eine Spende nicht leisten können. Dank eines Spendenaufrufs im Adventskalender der Süddeutschen Zeitung konnten wir wenigstens diese notwendigen Sachen finanzieren."

Ein Drachen ist zu teuer

Auch Helga Fröhlich kennt die schwierige Lebenssituation einer alleinerziehenden Mutter. Ihr Söhne Jan und Timo sind neun und zehn Jahre alt. "Die beiden sind zu groß für ihre alten Fahrräder, aber neue sind natürlich nicht drin. Auch ein Ausflug in die Berge oder so etwas, das können wir uns einfach nicht leisten."

Wenn sie ihre Miete bezahlt hat, bleiben ihr von Arbeitslosengeld und Kindergeld etwa 720 Euro monatlich, nicht viel in der teuren Stadt. "Ab Herbst gehen die beiden Jungs auch in den Hort, das kostet 100 Euro im Jahr. Ich hoffe, dass das Jugendamt diese Kosten übernimmt, sonst müssen wir beim Essen noch mehr sparen", schildert sie ihre Situation.

"Dieses Gefühl von Erniedrigung"

Dass jede Einkaufsliste ganz genau berechnet sein will, das weiß auch schon ihr Jüngster. "Wenn wir Einkaufen waren, dann müssen wir danach immer den Zettel aufbewahren und gucken, was wie viel gekostet hat", so beschreibt Jan seine alltägliche Situation. Wenn er nicht aufs Geld schauen müsste, dann würde er sich Pokémonkarten, einen Drachen oder ein ferngesteuertes Spielzeugauto wünschen. "Das geht natürlich nicht", sagt seine Mutter. "Davor müssen wir erstmal schauen, dass wir genug für Kleidung und solche Sachen sparen.

Wie eine Narbe in der Seele

Auch Mustafa, der Sohn der Familie Mahmat (Name geändert), hat ein paar unerfüllte Wünsche, vor allem ein Mikroskop hätte er gerne. Doch sein Vater, ein studierter Bauingenieur aus Ägypten, kann solche extravaganten Sehnsüchte nicht erfüllen. Seit seine erste Frau vor etwa zwei Jahren plötzlich an einer Gehirnblutung starb, muss er sich alleine um seine drei Kinder kümmern.

Mustafa hat noch eine siebenjährige Schwester und einen zweijährigen Bruder. "Meine Lebenssituation hat sich jetzt geändert", berichtet Mahmat "seit zwei Monaten bin ich verheiratet. Meine Frau muss noch deutsch lernen. Dann, in ein paar Monaten, wird sie sich um die Kinder kümmern, und ich kann Arbeit suchen." Er wolle nicht arm sein oder sich arm fühlen, dieses Gefühl der Scham sei wie eine Narbe in seiner Seele.

Deshalb müsse er auch mit den 1350 Euro Arbeitslosengeld, die er und seine zweite Frau empfangen, sowie den 450 Euro Kindergeld zurechtkommen. Davon muss er die Miete und auch alle Abgaben bezahlen. "Ich habe gelernt, mit der Situation zu leben", sagt er. "Manchmal frage ich Freunde um Geld, wenn wir etwas sehr nötig brauchen. Aber ich möchte meinen Kindern das Gefühl von Erniedrigung ersparen."

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