Zum Tod von Ludwig von Bayern:Prinz und Bürger

In seinem Leben spiegelt sich die Geschichte Bayerns im 20. Jahrhundert: Ludwig von Bayern war Enkel des letzten bayerischen Königs - er starb im Alter von 95 Jahren.

Wolfgang Görl

Die Kinderzeit im Märchenland zu München dauerte nur fünf Jahre. Da waren das Schloss, der Nymphenburger Park, der Kanal, die Teiche, die Brunnen, Büsche, Wiesen und Wäldchen. Und da waren die Prinzengärten, märchenhafte Refugien zum fröhlichen Spiel. Zum Hirschgarten brauchten die Kinder nur ein paar Minuten, das zahme Rotwild fraß aus der Hand.

Zum Tod von Ludwig von Bayern: Ludwig von Bayern, der Enkel des letzten bayerischen Königs Ludwig III., ist am Freitag gestorben.

Ludwig von Bayern, der Enkel des letzten bayerischen Königs Ludwig III., ist am Freitag gestorben.

(Foto: Foto: dpa)

Der Großvater war ein richtiger König: Ludwig III. Der kleine Prinz, geboren am 22. Juni 1913, trug seinen Namen. Er war das älteste der sechs Kinder des Prinzen Franz von Bayern und dessen Gattin Isabella Prinzessin von Croy. Im November 1918 erstürmten Revolutionäre die Kommandozentralen Münchens. Ludwig III. hielt es für ratsam, die Stadt zu verlassen. Vorübergehend, wie er glaubte. Als er erfuhr, dass sein Königreich inzwischen Republik ist und Soldaten ihm nachstellen, floh er nach Österreich und später ins ungarische Exil. Der kleine Prinz suchte mit seiner Familie Zuflucht in Leutstetten. Das Märchenland war nicht mehr.

Dort, in Leutstetten, ist Prinz Ludwig von Bayern am vergangenen Freitag im Alter von 95 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Drei Tage war er im Krankenhaus gelegen, dann wollte er nach Hause, zurück in sein Schloss, wo er mit seiner Frau, Prinzessin Irmingard von Bayern, lebte. 1950 hatten die beiden geheiratet, ein Jahr später kam auf dem wittelsbachischen Landgut, das der Großvater 1875 dem Freiherrn von Walden abgekauft hatte, ihr einziges Kind auf die Welt: Luitpold, heute Chef der Brauerei Kaltenberg.

Vornehmer Mensch statt leichtlebiger Party-Prinz

In Leutstetten kultivierte Ludwig von Bayern auch seine Leidenschaft für Pferde. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte er die Pferde des Wittelsbacher-Gestüts im ungarischen Sárvár auf abenteuerlichem Weg auf den Landsitz gebracht, das waren edle Rösser, die zu Stammvätern und -müttern der vielgerühmten Halbblutrasse "Leutstettener Pferd" wurden.

Der Enkel des letzten bayerischen Königs war keiner der leichtlebigen Party-Prinzen, wie man sie aus den Klatschspalten kennt. Er war, wenn das altmodische Wort erlaubt ist, ein vornehmer Mensch. Als er einmal, 16 Jahre ist das her, den SZ-Reporter auf Schloss Leutstetten empfing, war der Tisch mit Tee und Gebäck schon gedeckt. Nicht irgendwelche Lakaien umschwirrten einen, sondern der Prinz und seine Gattin umsorgten den Gast.

Wie man ihn ansprechen solle, lautete die erste Frage. "Korrekt wäre: Königliche Hoheit. Aber das ist Blödsinn." Das klang keineswegs schroff, sondern beinahe charmant, weil die behäbigen Obertöne seines gepflegten Bayerisch der Stimme eine weiche Melodie verliehen.

Unter "Bayern, Ludwig Prinz von" im Telefonbuch

Selbstverständlich, der alte Herr im Trachtenjanker, dessen Telefonnummer unter "Bayern, Ludwig Prinz von" stand, war ein ganz normaler Bürger - was sonst? Die Monarchie ist abgeschafft. Aber so normal ist es auch wieder nicht, wenn im Entrée zwei Ritterrüstungen stehen, eher rührend als bedrohlich mit ihren brüchigen Ledergurten, dem matt gewordenen Eisen und dem zerschlissenen Zierrat.

Im Gewölbe waren gut ein Dutzend Hirschgeweihe aufgereiht. Die hat Ludwig III. selbst auf der Jagd erbeutet, erzählte sein Enkel. In den Wohnräumen hingen Wandteppiche aus den Beständen des Kurfürsten Max Emanuel, die Möbel hatten die bayerischen Könige hinterlassen. Alles ein wenig ausgebleicht und abgewetzt im täglichen Gebrauch.

Prinz und Bürger

Wer nun aber glaubt, der Mann, der inmitten dieser Überbleibsel einer versunkenen Epoche lebte, sei ein weltverlorener Träumer gewesen, sozusagen ein Geistesverwandter des irrlichternden Märchenkönigs Ludwig II., der irrt gewaltig. Sogar auf das profane Feld der Kommunalpolitik hat er sich begeben: "Nach Kriegsende war ich im vorläufigen Gemeinderat von Leutstetten, bis wieder geregelte Zustände herrschten." Später saß er im Starnberger Kreistag, in der Fraktion der FDP - aber als Parteiloser. Das war ihm wichtig: "Ich werde mich nie einer Partei verschreiben. Damals hab' ich nur kandidiert, weil ich der Meinung war, dass viel Blödsinn gemacht wird."

Revolution aus der Perspektive seiner Familie

Zweifellos war Ludwig von Bayern ein Konservativer, der etwa beklagte, dass heutzutage "niemals eingeschritten wird, wenn man etwas Verbotenes tut". Als Reaktionär, der womöglich der Monarchie nachhing, ist er freilich nicht aufgefallen.

Und war es nicht verständlich, dass er die Revolution, die die mehr als sieben Jahrhunderte währende Herrschaft der Wittelsbacher hinweggefegt hatte, aus der Perspektive seiner Familie schilderte? Wie die Angst in Leutstetten grassierte, als es hieß, der Name des Vaters stehe auf der Todesliste der Revolutionäre. Wie man von Plänen hörte, wonach Prinz Franz von Bayern im Triumphzug nach München gebracht und auf dem Oberwiesenfeld erschossen werden sollte. Und wie das Märchenland verschwand, in das der Fünfjährige hineingewachsen war.

"Neun Zehntel unseres Familienbesitzes sind 1918 konfisziert worden; die rentablen Besitzungen hat der Staat auch später behalten." Ludwig von Bayern erzählte die Geschichte des Niedergangs, ohne dass Bitterkeit in seiner Stimme zu hören gewesen wäre. Über die Gründe der Revolution, das Elend der Menschen im abgewirtschafteten und vom Krieg zerrütteten Königreich, hat er damals nicht gesprochen. Gewiss wusste er darum.

"Ich wollte auf den Kerl nicht freiwillig schwören"

Es ist ihm ja, den Umständen entsprechend, gut gegangen. Das Schloss in Leutstetten mit seinem Park, den Wäldern, durch die sich die Würm schlängelt, war nicht übel, besonders für die Kinder: "Eine Köchin war da, die Bevölkerung war uns freundlich gesonnen." Mit dem beschaulichen Dasein war es vorbei, als die Nazis an die Macht kamen. Die Wittelsbacher hielten Distanz zum NS-Regime, Kronprinz Rupprecht, der Chef des Hauses, pflegte Kontakt zu Oppositionsgruppen.

1939 wurde dessen Lage so prekär, dass er ins Exil fliehen musste. Mehrere Mitglieder der Familie wurden in Konzentrationslager gesperrt, das Gut Leutstetten konfiszierten die Nazis. Ludwig von Bayern hielten die Nationalsozialisten offenbar für nicht ganz so gefährlich, wenngleich auch er während der Militärausbildung Ärger bekommen habe: "Ich wollte auf den Kerl nicht freiwillig schwören."

Der Kerl war Hitler. 1943 habe man ihn wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen. "Danach wurde ich von der Gestapo verhört." Es gab Schikanen, Verleumdungen und dann doch einen Pass nach Ungarn. Dort blieb der Wittelsbacher-Prinz bis Kriegsende. Mit Fuhrwerken und den edlen Pferden kehrte er wieder nach Leutstetten zurück. Dort hatte sich während der NS-Zeit Hitlers "alter Kämpfer" Christian Weber breit gemacht, einer der schlimmsten Tyrannen im nationalsozialistischen München.

Zurück in die Gegenwart: Auf den Seiten der Internet-Enzyklopädie Wikipedia läuft derzeit eine Debatte, ob man den Eintrag über Ludwig von Bayern streichen solle, weil die adelige Abstammung allein nicht ausreiche, um bedeutend zu sein. Das ist töricht. In Ludwigs Leben spiegelt sich die Geschichte Bayerns und Deutschlands des 20. Jahrhunderts. Wer den Beitrag löscht, löscht auch ein Stück Erinnerung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: