Zum Tod der Schauspielerin Doris Schade:Sie konnte das alles

Doris Schade war eine Bühnenabenteurerin mit dem Mut zum Experiment, zum Schrillen und zur Hässlichkeit. Nun ist die Grande Dame der Münchner Kammerspiele im Alter von 88 Jahren gestorben.

Christine Dössel

Sie war eine Dame. Und das schon lange bevor man sie die Grande Dame der Münchner Kammerspiele nannte. Doris Schade hatte dieses Damenhafte in ihrem Auftreten, ihrer eleganten Gestalt, in ihrem einnehmenden, auch im Alter schönen Gesicht mit den klaren Zügen und den strahlenden blauen Augen. Weil sie aber eine Schauspielerin von gewaltiger Naturkraft und Leidenschaft war, auch von großer Intelligenz, hat sie sich auf diesem Damenhaften, auf ihrer Schönheit und Leuchtkunst nie je ausgeruht.

Schauspielerin Doris Schade gestorben

Schauspielerin Doris Schade im Jahr 2006

(Foto: dpa)

Doris Schade war eine Bühnenabenteurerin mit dem Mut zum Experiment, zum Schrillen auch und zur Hässlichkeit. Sie hat es sich nie in Rollen bequem gemacht, sich keine Allüren zugelegt, nichts Divenhaftes. Das war das Grundsympathische an dieser auch im Privatleben an allen möglichen Formen von Kunst und Menschenexemplaren interessierten Frau: Dass sie so geerdet blieb, so bescheiden, herzlich und zugewandt.

Dabei hätte sie sich wahrlich etwas auf sich einbilden können, war sie doch eine Schauspielerin allererster Güte, eine Menschendarstellerin von stupender Wandelbarkeit, die in ihrem langen Berufsleben die vielfältigsten Frauenrollen gespielt hat: Shakespeares Desdemona und Kleists Marthe Rull, Tschechows Arkadina und Ranjewskaja, die Jokaste in "Ödipus" und die Elisabeth in "Maria Stuart", Ibsens Frau Alving und Hauptmanns Frau John, die Titelrolle in Jahnns "Medea" und die Marquise de Merteuil in Heiner Müllers "Quartett". Gleich drei Mal war sie die Viola in Shakespeares "Was ihr wollt", vier Mal die Luise Millerin.

Wer wollte all die Rollen aufzählen, die sie schon in jungen Jahren spielte, nachdem sie 1946 in Osnabrück debütiert hatte und dann nach Nürnberg, Bremen, Frankfurt wechselte.

Stets auch für junge Dramatik aufgeschlossen

Der legendäre Fritz Kortner holte sie 1962 an die Münchner Kammerspiele: als Desdemona in "Othello", mit Rolf Boysen als Titelheld. Es war der Beginn einer wunderbaren Künstlerfreundschaft: mit Kortner, der sie wie kein anderer Regisseur prägte - aber auch mit den Kammerspielen, denen Doris Schade treu geblieben ist. Ihren Abstecher ans Hamburger Schauspielhaus zwischen 1972 und 1977 hat das Münchner Publikum ihr verziehen. Sie kam ja zurück, übernahm tragende Rollen bei Ernst Wendt, war eine gefeierte Hekabe in George Taboris "Troerinnen" (1985/86) und wurde zu einer unverzichtbaren, stets auch für junge Dramatik aufgeschlossenen Protagonistin im Ensemble von Dieter Dorn.

Unvergessen ihre monsterhaft niederträchtige Frau Grollfeuer in Werner Schwabs "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" in der Regie von Christian Stückl (1991). Oder ihre dominante Mutter in Thomas Bernhards "Am Ziel" (1993).

Sie konnte das alles: derbkomisch sein, arrogant, böse, eine Proletarierin und Bürgersfrau - und zutiefst berührend, ergreifend, eine Tragödin. Dabei fiel sie stets als exzellente Spracharbeiterin auf. Geboren am 21. Mai 1924 in Thüringen, wuchs sie in Moskau und Japan auf, der Vater war Ingenieur. Als sie mit acht, neun Jahren nach Deutschland kam, musste sie sich erst daran gewöhnen, dass hier alle nur deutsch reden. Ihrem Sprachgespür hat das gutgetan.

In dem Münchner Wittenbrink-Abend "Denn alle Lust will Ewigkeit" sah man die große alte Dame Doris Schade 2007 als "Friedhofsgängerin", vulgo: Tod. Sie kehrte die Asche auf und sang leise "I can't get no satisfaction". Es war groß.

Man konnte nicht genug bekommen von ihrer Menschenkunst. Aber nun müssen wir sie gehen lassen. Am Montagabend ist Doris Schade im Alter von 88 Jahren in ihrer Wohnung in München gestorben.

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