"Zum Steg" in der Maxvorstadt:Null komma null Promille

Gaststätte Zum Steg, alkoholfreie Gaststätte, Dachauer Straße 29

Gut essen ohne Alkohol: Daniel Krszewski kocht in der Küche Zum Steg.

(Foto: Florian Peljak)
  • Die Stadt will das Projekt "Zum Steg" für Suchtkranke nicht mehr bezuschussen. Man sei unzufrieden mit den Kosten und den Ergebnissen.
  • Der Geschäftsführer wehrt sich gegen die Vorwürfe.
  • In der alkoholfreien Gaststätte "Zum Steg" arbeiten vorwiegend Suchtkranke. Betreut von Sozialpädagogen sollen sie ins Berufsleben integriert werden.

Von Philipp Schulte

Es war ein Nachmittag im August. Philipp Anders zitterte am ganzen Körper, er triefte nur so vor Schweiß. Der damals 23-Jährige erinnert sich noch genau, wie er erbrach und dann einfach abhaute aus dem Schnellimbiss, in dem er arbeitete. Er rannte in die Kneipe. Schnell ein Bier auf Ex, dazu einen Schnaps. Es ging ihm nicht gut, er meinte, dass er den Alkohol brauchte: Am Vorabend hatte er nur sechs statt zwölf Bier getrunken.

Jetzt, fünf Jahre später, hat Philipp Anders seit sechs Monaten kein Bier mehr getrunken. Er kellnert in der alkoholfreien Gaststätte Zum Steg an der Dachauer Straße, gleich ums Eck vom Königsplatz. Im Restaurant arbeiten überwiegend suchtkranke Menschen. Sie werden von einem Sozialpädagogen und einem Küchenchef betreut. Das Zum Steg wird betrieben von den "Profis" eines Projekts für die berufliche Integration Suchtkranker, das dem Suchthilfeverein Club 29 untersteht. Es richtet sich an Menschen wie Philipp Anders, teils auch an psychisch Hilfsbedürftige. Sie sollen in der Gaststätte vorbereitet werden, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Früh aufstehen, pünktlich kommen, nüchtern sein. Das Problem ist: Die Stadt will die Förderung zum Jahresende einstellen - sie ist unzufrieden. Der Geschäftsführer der Gaststätte wehrt sich.

Wie es Philipp Anders vor seiner jetzigen Arbeit ging

Das mit der Pünktlichkeit und der Nüchternheit, das hatte Anders bei seinen zehn Jobs zuvor nicht geschafft. Meist war er schnell dabei mit drei Abmahnungen, dann warfen ihn die Arbeitgeber hinaus. "Ich mochte es einfach, jeden Tag einen sitzen zu haben", sagt der gelernte Koch, der vor sieben Jahren von Thüringen nach Bayern gezogen war. Hier, erzählt er, habe seine Sucht so richtig angefangen.

Er verlor Führerschein, Freunde, seine Wohnung. Einmal duschte er eine ganze Woche lang nicht. Er gab jeden Euro für Bier und Ouzo aus, beim Griechen nebenan, irgendwann konnte er seine Handy-Rechnung und seine Miete nicht mehr bezahlen. Erst stellte man ihm den Strom ab, dann landete er ein halbes Jahr im Gefängnis. Als er freikam, zog er in ein Obdachlosenheim. "Ich habe getrunken, um zu vergessen", sagt Anders.

Im Steg ist von diesem dunklen Kapitel in seinem Leben nichts zu spüren. Durch die Gaststätten-Tür strömt frische Herbstluft, durch die Scheiben fällt Sonne ein. "Schnitzel mit Pommes 6,50 Euro" steht auf einer Tafel. Die Tische sind hergerichtet, in der Küche brät Fleisch. Philipp Anders, nach hinten gegelte Haare, freundliches Lächeln, flitzt durch den Raum. Auf dem Arm trägt er drei Teller. Die Tür zur Küche öffnet er mit dem Fuß. Dann nimmt er schon wieder eine Bestellung auf.

Warum die Stadt das Projekt nicht mehr fördern will

Stadt und Jobcenter wollen, dass Philipp Anders in der seit zehn Jahren bestehenden Gaststätte nur noch bis Ende des Jahres arbeitet. "Viele ehemalige Suchtkranke arbeiten im Schnitt nur 80 Tage in der Gaststätte", sagt Günther Weingärtler vom Referat für Arbeit und Wirtschaft. Eigentlich sollten die Mitarbeiter mindestens ein halbes Jahr dort bleiben. Man sei mit dem Ergebnis des Projekts angesichts der Kosten von monatlich rund 1150 Euro pro Mitarbeiter seit ein paar Jahren nicht mehr zufrieden.

Zudem falle der Behörde die Kooperation mit dem Projektträger der Gaststätte, dem Suchthilfeverein Club 29, schwer. Geschäftsführer Georg Grau halte Fristen nicht ein und habe etwa zu einem Anhörungsverfahren nur unzureichend Stellung genommen. Das öffentliche Geld könne woanders effektiver eingesetzt werden. "Es gibt noch 30 andere Projekte für Suchtkranke, die auch aus dem Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm finanziert werden", sagt Weingärtler.

Was der Geschäftsführer dazu sagt

Georg Grau sieht das natürlich anders. Der Geschäftsführer des Suchthilfevereins sitzt an einem Ecktisch im Steg und schüttelt den Kopf. "Mir wird vorgeworfen, ich sei nicht kooperativ. Dabei haben wir noch im Oktober 2014 mit dem Referat beraten, wie man das Projekt erweitern kann", sagt er. Sein Team führe jedes Jahr vier bis sieben Angestellte zurück in den Arbeitsmarkt und vermeide viele Rückfälle.

Gaststätte Zum Steg, alkoholfreie Gaststätte, Dachauer Straße 29

Seit sechs Monaten trocken: Die Arbeit ist für Philipp Anders eine große Hilfe, um es auch zu bleiben.

(Foto: Florian Peljak)

Er würde das auch noch gerne viele weitere Jahre machen. "Die Menschen haben durch die Arbeit hier wieder Spaß am Leben und sammeln Erfahrungen. Und ich muss ihnen jetzt kündigen." Laut Grau geht es um 160 000 Euro im Jahr. Er legte zunächst Widerspruch gegen das Vorhaben der Stadt ein. Doch Mitte September gab er bei einem Treffen mit dem Referat nach. Man einigte sich, dass das Lokal noch bis Ende des Jahres Geld bekommt. Das Projekt endet tatsächlich jedoch noch im September. Der Steg bleibe zwar bestehen, werde aber auf die Funktion einer Kontakt- und Begegnungsstätte reduziert.

Philipp Anders arbeitet nun erst einmal weiter. Solange es geht. Stolz zeigt er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Rettet den Steg". Auch im Eingangsbereich hängt eine Liste mit Unterschriften. "Seitdem ich hier arbeite, geht es bei mir wieder bergauf. Ich fühle mich wieder fit, zahle meine Schulden zurück und wohne in einer therapeutischen Wohngemeinschaft." Trotzdem wurde er rückfällig. Anfang dieses Jahres trank er auf einer privaten Geburtstagsparty. Sein Chef Georg Grau verzieh es ihm. Jetzt ist er seit sechs Monaten trocken. Aber den Job zu verlieren, sagt er, das wäre für ihn wieder ein Grund zu trinken.

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