Zündfunk feiert 40. Geburtstag:Das Herz schlägt links

Zündfunk feiert 40. Geburtstag: Mit diesem Plakat startete der BR vor 40 Jahren auf Bayern 2 den Zündfunk.

Mit diesem Plakat startete der BR vor 40 Jahren auf Bayern 2 den Zündfunk.

(Foto: BR-Archiv)

Er ist der alte Kumpel mit der Platte unterm Arm. Der Bands spielt wie Franz Ferdinand, und zwar bevor sie zum Mainstream mutieren. Dabei ist Zündfunk immer auch Zünd-Punk. Und das mittlerweile schon seit 40 Jahren.

40 ist ein prima Alter für eine Midlife-Crisis. Manch einer protzt dann mit frisch angehäuftem Technikkram. Aber die Leute vom 1974 als Jugendsendung gestarteten Zündfunk weinten eher ihrem "tollen Retro-Raumschiff" hinterher, als sie in ein modernes Digital-Studio umziehen mussten. Oder man wanzt sich als Prä-Greis umso mehr an die Jungen an.

Doch als der Bayerische Rundfunk 2006 ein Begehren nach einem Vollzeit-Jugendradio verspürte, kämpfte man zunächst um seine Pfründe: Die oder wir! Fans starteten die Aktion "Zündfunk retten!", sammelten 11 000 Unterschriften, und prominente Unterstützer wie einstige Redaktionsmitglieder von Thomas Gottschalk bis Sandra Maischberger solidarisierten sich, als gelte es, die letzte Riesenschildkröte zu retten.

Platz gab's dann für beide in jeweils eigenen Reservaten: für das junge On3 (heute: Puls) im Internet und Digital-Äther, und für den nicht mehr ganz jungen Zündfunk auf der guten alten Ultrakurzwelle. Bliebe als Hauptsymptom für eine Mitte-des-Lebenskrise die bohrende Frage: Wer bin ich, und wenn ja, warum?

Derlei beleuchtet die Zündfunk-Redaktion ständig. Ohne dabei auszubrennen, obwohl jeder der siebzig Mitarbeiter wohl eine andere Interpretation hat. Jugendradio? Dafür ist man - obwohl man nach "Radiomikro" die zweitjüngste Zielgruppe auf Bayern 2 anspricht - zu alt: Selbst Nachwuchsmoderatoren wie Matthias Hacker oder Ann-Kathrin Mittelstraß sind um die 30 - exakt so viele Jahre ist Sabine Gietzelt im Dienst. Szene-Welle? Das wäre zu eng, zu lokal, zu subversiv.

"Widerstand gegen die Rundfunkgewalt"

Dabei war man schon meist eher Zünd-Punk, Sprachrohr der Hausbesetzer, stand in Wackersdorf auf der linken Seite des Zaunes, steht auch heute noch unermüdlich Flüchtlingen zur Seite und deckt Missstände auf. Widerstand? Klingt gut. "Widerstand gegen die Rundfunkgewalt", sagt Vorzeige-Ex-Mitarbeiterin Sandra Maischberger in ihrer Gratulation.

Alternativ? Alternative-Rock ist längst der Mainstream, den Sender wie Ego-FM oder FM4 (von Wien aus) bedienen, und das 24 Stunden am Tag. "Wir verstehen uns als erwachsenes Feuilleton. In unserer DNA steht: Bewegungsmelder", sagt Michael Bartle, Chef vom Dienst, neben Zündfunk-Leiter Jan Heiermann und Caroline von Lowtzow einer von nur drei Festangestellten.

Auf eines können sich alle einigen: Der Zündfunk ist ein deutschlandweit, ja gar weltweit geachtetes Radioprogramm zu Pop und Politik. Eigentlich sind es mehrere Radioprogramme, die Antwort auf "Wer bin ich?" müsste also heißen: "viele!". Das Flaggschiff ist das Magazin jeden Tag von 19.05 bis 20 Uhr (freitags bis 21 Uhr); um 23 Uhr gibt es den "Nachtmix" mit dem Schwerpunkt Musik, handverlesen von Silberrücken des Pop-Kennertums wie Roderich Fabian, Karl Bruckmaier und Ralf Summer; sonntags deckt und klärt man im monothematisch-essayistischen "Generator" auf (zuletzt etwa untersuchte man "die Beziehung von Filmkunst und Hardcore-Sex").

Die Musik ist das Blut, das durch die Sendung pumpt

Einige Moderatoren erfinden für ihre Sendungen noch Untertitel wie "das Institut für Radiotaktik" oder Formate wie den "Top Ten Talk". In diesem zerpflückt ein Kritiker-Quartett um Thomas Meinecke die Hitparade - die einzige Gelegenheit, bei der formatierte Popstars wie Helene Fischer ("Planstelle als deutsche Madonna") oder der Graf von Unheilig ("die schwarze Helene") im Zündfunk behandelt werden - mit genüsslichem Ekel.

Wenn die Moderatoren das Herz des Zündfunks sind (der mit den Rockstars Hackbrett spielende Tobi Ruhland, der Schlittschuh-laufende Achim Bogdahn bei "Zündfunk on Ice" ), dann ist die Musik das Blut, das durch die Sendung pumpt. Über die größte Transfusionsbank im 16. Stock des Funkhauses - CDs bis unter die Bürodecke - gebietet Michael Bartle, Leiter der Musikredaktion.

Wie früher bei den wegweisenden "Bavarian Open" im Funkhaus, die man 2007 "als Anschubfinanzierung" den Jungen von On3 überließ, hat er gerade ein Festival in zwei Studios auf die Beine gestellt: "40 Jahre Zündfunk: Past - Present - Future". Eine Band, die Glass Animals aus Oxford, hat er im Internet entdeckt und sie dann beim "South by Southwest"-Festival in Texas quasi von der Bühne weg gebucht. Ein Album haben sie noch nicht: ganz "heißer Scheiß" eben, wie man sagt, und ebenso dampfen die Painted Palms oder Sohn, das britische Internet-Mysterium aus Wien.

Dazu die große Neneh Cherry ("7 Seconds"), die nach 17 Jahren Pause gerade ein Album herausgebracht hat, das die Kritiker hecheln lässt; und die Rockabilly-Familie Kitty, Daisy & Lewis, die irgendwie prima zu den Münchner Elektro-Kauzen Joasihno und dem Trachten-Trance von Kofelgschroa passt. Regional und lokal, altmodisch Neues und Neues von Alten - läuft selbstverständlich nebeneinander, live wie auch on Air.

Sven Regener hatte hier seinen ersten Radio-Auftritt

Um in die Sendung zu kommen, erklärt Bartle, müssen Künstler a) "etwas riskieren", b) "die Musik auf ein neues Gleis bringen", c) "Stilist oder Meister eines Genres sein" oder d) "uns mit ihren Texten oder ihrer Haltung zur Welt begeistern". Jeder Musik-Moderator - hier darf er sich zurecht noch Radio-DJ nennen - ist sein eigener Trendscout; Hip-Hop, Techno, Dubstep, die Kunstakademie-Bands wie Franz Ferdinand, Post-Step wie von James Blake und die bald folgenden Verästelungen liefen zuerst, hinreichend musikhistorisch erläutert, im Zündfunk, ehe sie von den Massenradios zum Banalen mutierte.

Um es mit Bela B zu sagen: "Ohne den Zündfunk würde man mich in Bayern nicht kennen." Sven Regener hatte seinen ersten Radio-Auftritt hier, Anfang der Achtziger, und hielt hier später seine berüchtigte Urheberrechte-Wutrede. Nordlicht Thees "Tomte" Uhlmann bewertet jeden Montag bayerische Nachwuchs-Bands im Zündfunk.

Zündfunk ist eben "der alte Kumpel mit der Platte unterm Arm". Dabei ist es den Wort-Moderatoren in den Ansager-Pärchen gestattet, den Musik-Schlaumeiern dazwischenzugrätschen. Neulich spöttelte Franziska Storz wieder mal über Roderich Fabians Neigung zum "Altherrenrock", als der meinte, er könne sich an AC/DC nicht satthören, und jede Band wolle doch einmal so als Gitarrengott gefeiert werden.

In 40 Jahren waren die Zündfunk-Reporter dabei, wenn Epochales passierte

"Das sind diese Typen mit den langen Fingernägeln?" Er: "Nein, was du meinst, sind eher Bluesrocker." Worauf sie abschweifte: Nägel seien gut für den Kompost, habe sie gelesen. . . Das abendliche smarte Kammerspiel - im Gegensatz zum Comedy-Terror der allermeisten Dudel-Stationen.

In 40 Jahren waren die Zündfunk-Reporter dabei, wenn Epochales passierte. Ein Interview-Schatz, der in den Archiven fast verschimmelte. Bis Michael Bartle zum Vierzigsten eigene Lieblings-Kassetten und die der Kollegen zusammenholte. Aus Band-Kilometern hat er eine vierstündige Collage zusammengestellt: "The History of Rock'n'Roll - as told in our Radio Show": Al Green, der vorsingt, wie er vom James-Brown-Imitator zur eigenen Soul-Stimme fand, Lauryn Hill, die Roderich Fabian backstage noch vor ihrem Durchbruch ein Ständchen singt, Townes Van Zandt, der Sabine Gietzelt einen Heiratsantrag hinsäuselt, oder Produzent Reinhold Mack, der erzählt, wie er ELO in den legendären Münchner Musicland-Studios bei Aufnahmen vor der Australien-Tour riet, den dort abfälligen Spitznamen "Bruce" einfach ins bayerische "Grüß" zu ändern. Man wird den Song nie mehr anders hören können: "Don't bring me down - Grussss".

Ein Festival mit Stars, Nerds, Outlaws, komischen Gestalten und vielen Ideen

Wer die History-Sendungen an Ostern verpasst hat, kann alles auf ewig im Internet-Dienst Soundcloud "streamen". Auch auf Spotify hat der Zündfunk eine "App" - als erste Station der ARD. 9000 Abonnenten hören sich im Internet die Song-Empfehlungen der Musik-Experten an, lesen deren Kommentare, folgen Verknüpfungen - Sende-Inhalt weitergedreht.

Im Oktober veranstaltet der Zündfunk seinen zweiten "Netzkongress", wieder ein Festival mit Stars, Nerds, Outlaws, komischen Gestalten und vielen Ideen, aber aus der Welt des Internet. "Da gibt es viele Analogien zur Pop-Kultur", sagt Bartle, "wir wollten zeigen: Das Netz ist keine Bedrohung." Für den Zündfunk ist es ein Teil der Zukunft. Es wird überlegt, vom Hochhaus am Rundfunkplatz zum BR-Fernsehstützpunkt nach Freimann umzuziehen, um "trimedial" zusammenzurücken. Ein Bewegungsmelder muss sich bewegen, um auch in der Zukunft zu bewegen.

40 Jahre Zündfunk - Das Fest, Sa., 26. April, 20 Uhr, BR-Funkhaus, Rundfunkpl., t 21 83 73 00

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