Zu hohe Erwartungen:Anspruchsvoll auch in der Klinik

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Krankenhauspersonal klagt über Patienten-Forderungen.

Tanja Schwarzenbach

"Araber haben ein ungeheures Vertrauen. Sie denken, sie kommen nach Deutschland und werden auf jeden Fall gesund", erzählt Anne Ferch (Name geändert), Krankenschwester in der Krebsstation eines Münchner Krankenhauses. Die Realität sieht anders aus: Oft sei das Krankheitsbild des Patienten schon so weit fortgeschritten, dass kaum eine Chance auf Heilung bestehe. Doch Deutschland, in den arabischen Ländern als medizinisches Hightech-Zentrum vermarktet, erscheint vielen gerade dann als letzte Hoffnung.

Wenn der Patient schließlich seinen Koffer packt - in Dubai, Libyen oder wo immer er lebt - begleitet ihn nicht selten die ganze Familie. Unterkunft und Verpflegung für eine Großfamilie und dann auch noch die Behandlungskosten - das sind für manch einen Ölscheich finanzielle Kinkerlitzchen. Doch es kommen auch Familien nach München, die am Ende möglicherweise nicht nur einen Toten zu beklagen, sondern auch kein Geld mehr in der Tasche haben.

Letztere, die normal Verdienenden, sind die angenehmeren Patienten, erzählt Ferch. Solche, die sich auch mal ein Glas Wasser selbst holen und keine übertriebenen Ansprüche an das Krankenhauspersonal stellen, das ausschließlich medizinische und pflegerische Aufgaben habe. "Die Patienten aus den Emiraten hingegen sind oft unglaublich reich und müssen daheim wenig selbst machen, weil sie Bedienstete haben." Deshalb hätten sie ein anderes Anspruchsdenken. Wenn die Großfamilie beispielsweise die Patientenküche benutze und ein Essen koche, komme niemandem in den Sinn, die Töpfe zu reinigen oder den Müll wegzubringen, wie es Vorschrift ist. Ein Krankenhaus sei aber kein Hotel.

Insbesondere Männer aus den Emiraten, deren Frauenbild patriarchalisch geprägt ist, ließen sich vom weiblichen Personal ungern zurechtweisen. Es sei auch schon zu geringschätzigen Gesten, sogar zu Übergriffen gekommen, berichtet die Krankenschwester. Ein Krankenhausarzt bestätigt das Anspruchsdenken der wohlhabenden Patienten: "Manche Angehörige erwarten, dass wir Ärzte sie mehrmals täglich über den Gesundheitszustand informieren. Im Klinikalltag ist das kaum machbar."

Die Probleme zwischen Krankenhausmitarbeitern und Patienten beginnen oft schon bei sprachlichen Barrieren. "Manche arabischen Patienten sprechen nicht mal Englisch", klagt Ferch. Hakim Rani Bayadsi, arabischer Dolmetscher, hält dagegen: "Auch viele Krankenschwestern sprechen kein Englisch." Bayadsi ist Mitarbeiter der Firma "Europe Health", einem privaten Dienstleister, der unter anderem arabische Patienten in Deutschland betreut.

Bayadsis Dienste werden von den Patienten gerne genutzt, da wenige Kliniken arabisch sprechendes Personal haben. Als ausgebildeter Zahntechniker kann er den medizinischen Kontext überdies verständlich vermitteln. Ferch berichtet, dass es vielen Dolmetschern genau an diesem Hintergrundwissen mangele. Insbesondere jenen, die das Konsulat der Vereinigten Arabischen Emirate bereitstelle. Hinzu komme, dass "die Übersetzer vom Konsulat nicht ständig im Krankenhaus anwesend sein können, sondern nur dann, wenn man sie ruft", schildert die Krankenschwester die Situation. Gut ein Tag verstreiche, bis der Dolmetscher Zeit habe. Doch was tun, wenn der Patient akute Schmerzen hat?

"Dann zeigen wir unseren Patienten eine Liste mit arabischen Begriffen, für Übelkeit etwa oder Schmerz. Der Patient kann dann darauf deuten und anschließend zum Beispiel auf sein Knie", erklärt Ferch. Dann wisse man aber natürlich noch nicht, wie schlimm der Schmerz sei. Die Kommunikationsmöglichkeiten seien in so einem Fall sehr eingeschränkt.

"Die Situation ist manchmal für alle Beteiligten schwierig", erzählt Ferch. Auf der einen Seite die Krankenschwestern, die gerne mehr auf die Patienten eingehen würden. Auf der anderen die Patienten der Krebsstation: Schwerkrank in einem fremden Land, sei es vor allem für Kinder "schrecklich", nicht zu verstehen, was mit ihnen geschehe, wenn sie zum Beispiel in eine Computertomographie-Röhre geschoben würden.

Hart treffe es auch die Dolmetscher, die hilflos seien, wenn ein Patient sterbe. "Die Ärzte und Krankenschwestern auf unserer Station können mit dem Tod umgehen. Für die Dolmetscher ist es ein Schock, jemanden sterben zu sehen", sagt Ferch. Bayadsi weiß das. Vor wenigen Tagen starb eine junge Frau, die er wochenlang betreut hatte. Sie litt an fortgeschrittenem Brustkrebs. Als sie starb, erzählt Bayadsi, kümmerte sich eine Ärztin um ihn. Eine Stunde lang.

© SZ vom 19.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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