Zirkus in München:Circus Roncalli und Zirkus Roberto: Wie ein Nobellokal und eine Currywurstbude

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Die Vorstellungen im Circus Roncalli sind oft ausverkauft. (Foto: Catherina Hess)

Das weltberühmte Unternehmen und der Familienbetrieb in Existenznot sind gerade in München zu Gast. Es tun sich zwei Extreme einer Branche auf.

Von Thomas Jordan

Miguel Frank flüstert seinem Großvater Renée die Nachricht ins Ohr: "Es sieht schlecht aus." Kurz vor elf Uhr ist es an diesem Sonntag auf einer kleinen Grünfläche zwischen adretten, weißen Häuserblöcken in Bogenhausen. Eigentlich soll in ein paar Minuten die Vormittagsvorstellung des Zirkus Roberto beginnen. Zirkusdirektor Renée Frank steht mit seinem Sohn Joschi, dem Artisten, Enkel Miguel, dem Clown, und dessen Freundin Viktoria, der Schlangenfrau, vor dem blau-gelben Zirkuszelt. Das Grüppchen ist in Krisenstimmung. Nur acht Zuschauer sind da. Noch weniger als befürchtet.

Gut zwei Stunden später am Leonrodplatz wächst die Schlange auf dem Gehsteig auf weit über hundert Menschen an. In der Luft hängt der Duft von frischem Popcorn. Kinder zappeln an der Hand ihrer Eltern, sie wollen endlich rein in den Circus Roncalli. Bald beginnt hier die zweite Vorstellung der Jubiläumstournee des Kölner Zirkusunternehmens.

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Der eine hat nur noch drei Tiere, der andere allein 80 Wohn- und Materialanhänger.

Es sind zwei Zirkus-Welten, die zurzeit in München zu erleben sind. Die Welt der kleinen Familienzirkusse, wie dem der Familie Frank, von denen es in Deutschland mehr als 300 gibt und die oft nur noch zusammengehalten werden durch eine Mischung aus trotzigem Schaustellerstolz und eisernem Durchhaltewillen. Und die Welt der Zirkusgiganten, zu denen die Unternehmensgruppe Roncalli gehört. "Ein Unterschied wie zwischen Schuhbeck's und einer Currywurstbude" - so wird Roncalli-Chef Bernhard Paul das nennen.

Aus den Lautsprechern im blau-gelben Zirkuszelt "Roberto" am Bichlhofweg dröhnen seit viertel nach zehn an diesem Sonntagmorgen Polka-Rhythmen. Gerade läuft "Tanzende Finger", ein Evergreen der Animiermusik. Zwei Scheinwerfer-Masten werfen gleißend-helles Licht auf die Manege. Aber auch der eingängige Zwei-Viertel-Takt vom Band nützt nichts. Zwanzig Minuten vor Vorstellungsbeginn hat sogar erst eine Mutter mit ihren zwei Kindern den Weg ins Innere des Zeltes gefunden.

Sägespäne, die sonst in der Manege die Hufe der Tiere schonen, gibt es hier nicht, unter der roten Gummidecke in der Mitte des Zelts lugt es grün hervor. Schließlich haben die Franks außer den drei Lamas keine Tiere mehr. "Es bringt nichts", sagt Zirkusdirektor Renée Frank, 63. Neulich, an einer anderen Spielstätte, seien Kinder auf dem Heimweg von der Schule am Zirkus vorbeigelaufen: "Schon wieder so ein Tierquäler-Zirkus!", hätten sie gerufen. "Da gehen wir nicht hin." Schweren Herzen haben die Franks die Pferde und Kamele abgegeben. Und das, obwohl seine zwei Söhne Joschi und Jeffrey auch am Pferd Alleskönner gewesen seien, sagt Renée Frank. 60 weiße Gartenstühle aus Plastik sind in zwei Reihen um die Manege gruppiert, theoretisch fasst das Zelt bis zu 600 Zuschauer. Auf einem der Stühle sitzt Renée Frank.

Den Zirkus Roberto hat er 1990 gegründet. Fast alle zehn Kinder seines Großvaters Georg Frank, der einst den "Circus Atlas" in München betrieben hatte, gründeten eigene Zirkusse. Eine Artistendynastie. Frank trägt seine große, randlose Brille so tief auf der Nasenspitze, dass man jeden Moment befürchtet, sie falle herunter. Man kann sich den 1,56 Meter großen Mann gut im goldbetressten Livree eines Zirkusdirektors vorstellen. "Das Leben im Zirkus war früher romantisch", sagt er. Wehmütig erzählt er von Münchner Schauspielergrößen, die einst in den Zelten seiner Familie sangen und Filme drehten.

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Wenn Renée Frank über die Gegenwart spricht, klingt das so: "Ich muss tanken für die Heizung, fallen schon mal 50 Euro weg. Fürs Stromaggregat fallen nochmal 50 Euro weg. Und was hab ich?", fragt er rhetorisch. "Gar nix hab ich, wenn ich nur für zehn Leute spiele." Schließlich kostet der Eintritt sonntags nur 10 Euro. Deswegen spiele er erst ab 30 Zuschauern im Zelt. "Meine Kinder haben ja auch Enkelkinder, und die wollen alle was zu essen haben am Montag." Neben den sieben Artisten zählen auch zwei schwer körperbehinderte Söhne zu seiner Familie.

Fragt man Zirkusdirektor Frank, wie das alles überhaupt zu stemmen ist, dann antwortet er: "Wenn's weiter geht, geht's weiter, wenn nicht, nicht. Zirkusleute sind Überlebenskünstler." Einfach aufhören ist in dieser Zirkuswelt keine Option. Und das Geschäft laufe ja nicht immer schlecht, sagt Frank.

Vom Bichlhofweg in Bogenhausen, wo die 14 Wohn- und Materialwägen des Zirkus Roberto Furchen im nassen Gras hinterlassen haben, ist es ein weiter Weg bis zu den schweren roten Teppichen des Zirkus Roncalli. Auch wenn die Entfernung nur acht Kilometer Luftlinie beträgt. Hier am Leonrodplatz polieren die rotlivrierten Requisiteure gerade ein letztes Mal die mehr als zehntausend Glühbirnen rund ums Zelt. "Vor der Aufführung gucken die Mitarbeiter gerne mal nach oben", sagt Roncalli-Mediendirektor Markus Strobl. Denn der Chef und Roncalli-Gründer Bernhard Paul sieht es sofort, wenn nur ein einziges Lämpchen nicht funktioniert.

Paul sitzt an diesem Mittag wie so oft mit Freunden an seinem Stammplatz am Eingang des Caféwagens, der eine getreue Kopie seines Wiener Lieblingscafés "Hawelka" darstellt. Wer in dem Wagen mit seinem Mediendirektor verabredet ist, kommt zuerst am Impresario vorbei. Für ein paar Sätze nimmt er sich Zeit, doch dann wendet Paul sich wieder seinen Freunden zu.

Die hellblau-cremefarbene Roncalli-Wagenburg besteht aus 80 historischen Wohn- und Materialanhängern. Zum Ensemble gehören 34 Künstler aus 13 Nationen, insgesamt umfasst der Roncalli-Tross 150 Personen. Wie ist das Leben in so einem Großunterhaltungsbetrieb? "Bernhard Paul hat seine Traumwelt in die Realität umgesetzt", sagt Pressesprecher Strobl. Und damit Träume Wirklichkeit werden, braucht es minutiöse Planung und akribische Abläufe. Das spürt man nirgendwo so sehr wie hinter dem Vorhang zur Manege. Eben noch ist die Akrobatin vom ungarischen Trio Csàzàr auf die Schulter ihres Partners gesprungen. Zum Aufwärmen. Und Lili Paul, die 19-jährige Tochter des Zirkusdirektors, die für ihre Schlangenfrau-Nummer ein Swarovski-Kostüm mit hunderten Kristallen trägt, ist auf Rollschuhen vorbeigekurvt. Die 1499 Plätze im Zelt sind ausverkauft.

Dann geht es los: Georg Pommer, der Musikchef des Roncalli-Orchesters, dirigiert die Eröffnungsmelodie und auf einen Schlag verwandelt sich der Artistentrubel backstage in ein fein abgestimmtes Unterhaltungsensemble. Das geht so weit, dass die Artistinnen des Circustheaters Bingo, die sich gleich an Bändern in die Luft heben werden, hinter der Bühne weiße Schläppchen über den filigranen Ballettschuhen tragen. "Damit kein Schmutz von draußen in die Manege kommt", sagt Strobl. Während des Auftritts stehen die Schutzschuhe dann fein säuberlich aufgereiht hinter dem Vorhang zur Manege.

Können sich die Künstler hier überhaupt vorstellen, was ihre Kollegen in den Kleinzirkussen tagtäglich umtreibt? Teilweise vielleicht. Auch Roncalli verzichtet ab nächstem Jahr auf Pony- und Haflingernummern, auch hier war das keine leichte Entscheidung. Roncalli findet aber schnell Ersatz, der vom Publikum gutgeheißen wird. Wie zum Beispiel Paolo Casanova, der Autodesigner war und seit zwei Jahren den Clown Carillon mimt. "Das Leben ist nicht einfach", sagt auch er, meint damit aber etwas anderes als die Franks vom Zirkus Roberto. Der Italiener vermisst seine Familie zu Hause. Auch der Zeremonienmeister Gensi, der wenige Minuten vor Vorstellungsbeginn im getigerten Bademantel und mit weißgeschminktem Gesicht vor seiner Garderobe steht und raucht, kennt das Problem. Er kommt aus Barcelona und ist schon seit fast 13 Jahren bei Roncalli. Die Zirkus-Atmosphäre lasse ihn aber immer wieder das Heimweh vergessen. "Das ist wie Arbeiten in einer anderen Welt, einer Welt ohne Kummer."

Beim Zirkus Roberto ist die Vormittagsvorstellung tatsächlich ausgefallen. Jetzt bereitet die Familie Frank gerade alles für die zweite Vorstellung des Tages vor. Bernhard Pauls Wurstbudenvergleich ärgert dort niemanden. Es hänge halt vom Geld ab, welches Programm man bieten könne, sagt Zirkusdirektor Renée Frank lapidar, fügt aber zaghaft hinzu: "Im Grunde sind wir ja Kollegen." Die Sehnsucht nach ein paar glitzernden Stunden ohne Kummer treibt auch ihn und seine Familie immer wieder in die Manege. Beim zweiten Anlauf klappt es: 30 Zuschauer kommen.

Der Zirkus Roberto gastiert bis Sonntag, 15. Oktober in München, Vorstellungen Freitag und Samstag um jeweils 16 Uhr, Sonntag 11 Uhr und 14 Uhr, Tickets ab zehn Euro. Roncalli ist bis 12. November in der Stadt, Vorstellungen Mittwoch bis Freitag 15.30 Uhr und 20 Uhr, Samstag 15 Uhr und 20 Uhr, Sonntag 14 Uhr und 18 Uhr. Karten ab 27,40 Euro.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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