Zentrales Landwirtschaftsfest:Bauer sucht Schau

Monster-Mähdrescher, ein Bulle, dessen muskelbepackter Körper jede Kuh zum Dahinschmelzen bringt, und eine Karpfenkönigin: Direkt neben dem Oktoberfest findet das Zentrale Landwirtschaftsfest statt. Manche Geräte hier sind furchterregender als sämtliche Gespenster der Wiesn-Geisterbahnen.

Wolfgang Görl

Der Stadtmensch hat ja eine recht genaue Vorstellung, wie der Bauer so lebt: Am Morgen steht er mit den Hühnern auf, begrüßt nach dem Frühstück seine lila Kühe, ehe er sich auf Großvaters Traktor schwingt, um, je nach Jahreszeit, sein Feld mit Pflug oder Sense zu bearbeiten, und wenn er heiraten will, meldet er sich beim Fernsehen für "Bauer sucht Frau" an.

Aus der Ferne betrachtet, handelt es sich um ein naturbelassenes Leben, und mit den entsprechenden Erwartungen tritt der Stadtmensch vor das Tor des Zentralen Landwirtschaftsfests auf der Theresienwiese, das von einigen hundert Menschen belagert wird. Zu hören sind vorwiegend ober- und niederbayerische Dialekte sowie das spezielle Schwäbisch der Allgäuer.

Die meisten sind mit Bus oder Bahn gekommen, die Männer teils in Tracht, teils in Alltagskluft, und tatsächlich sehen sie so aus, wie sich der Städter den Landmann vorstellt: Von Sonne und Frischluft gegerbte Haut, Hände so groß wie Schaufeln, in den oft bartstoppeligen Gesichtern spiegelt sich der Hang zu selbstgewisser Sturheit ebenso wie eine den sinnlichen Freuden zugetane Jovialität.

Am schönsten bringt diese Lebenshaltung ein Gamsbart-gekrönter Oberländer zur Geltung, der wegen der Warterei am Kassenhäuschen - der Eintritt kostet 13,50 Euro - erst in rustikaler Weise herumgrantelt, dann aber zum versöhnlichen Schluss kommt: "A recht - so behoid ma wenigstens ünsa Geld länger."

So weit entspricht die Szenerie noch ganz den Vorstellungen eines Münchner Stadtneurotikers, doch schon wenige Schritte hinter dem Einlass der erste Schock: Wo sind wir hier eigentlich? Links und rechts stehen gewaltige Monsterfahrzeuge in Position, landwirtschaftliche Hightech-Geräte mit schwarzbereiften Rädern, deren Ausmaße weitaus furchterregender sind als sämtliche Gespenster der Wiesn-Geisterbahnen. Da bauen sich autobahnbreite Mähdrescher-Trommeln auf, bewehrt mit dicht aneinander gereihten Metallstacheln, dort ragen Rohre in die Luft, und die stählernen Arme der Feldspritzen recken sich weit wie Flugzeugflügel.

Es ist, als befände man sich am Drehort für eine neue Episode des "Kriegs der Sterne", und für einige Augenblicke kommt der Gedanke auf, dies sei das militärische Aufgebot für einen Krieg gegen die Natur. Stimmt das? Oder ist dies eine Idee, auf die nur rückwärtsgewandte Graswurzel-Romantiker kommen, die von der modernen Landwirtschaft keine Ahnung haben? Denn wahr ist allem Anschein nach auch: Die Megamaschinen erleichtern die Arbeit und machen sie effizienter.

Und dann natürlich die Traktoren

Wer daran zweifelt, muss nur mal mit Nico Wessling sprechen, dem deutschen Marketing Manager des US-amerikanischen Landmaschinen-Konzerns "John Deere". Dazu steigt man am besten auf die Dachterrasse des John-Deere-Messestands, von wo aus man einen schönen Blick über den Fahrzeugpark des Unternehmens hat.

Wessling, der aus dem Münsterland stammt und auch so spricht, deutet auf den riesigen Mähdrescher, der, das gibt er zu, bei einem Preis von 300.000 Euro vielleicht nicht das Richtige für einen Allgäuer Kleinbauern ist, er schwärmt vom Feldhäcksler, der tollen Rundballenpresse oder der Pflanzenschutzspritze, bei der kein Tropfen zu viel auf die Felder komme.

Und dann natürlich die Traktoren: Wessling geleitet seinen Gast in das Führerhaus eines 409-PS-Schleppers und bittet, Platz zu nehmen. Da sitzt man nun - in einem Ledersessel mit Armlehne, vor sich das große Panoramafenster und im Hinterkopf das Bild des Lanz Bulldogs aus dem Jahr 1930, der aus nicht viel mehr als einem Motor, einem Metallsitz und Rädern besteht, und der auf dem ZLF-Gelände als Denkmal seiner selbst ausgestellt ist.

"Das ist ein Büroarbeitsplatz"

In John Deeres neuestem Luxusschlepper hingegen hat man das Gefühl, in einem Flugzeug-Cockpit zu sitzen: zwei Monitore mit Touch-Screen, eine Konsole mit zahllosen Knöpfen, diverse Schalter und Kontrolllämpchen, dazu Radio, Klimaanlage und Telefon. "Das ist ein Büroarbeitsplatz", sagt Wessling. "Der heutige Landwirt ist nichts anderes als der Manager seines eigenen Unternehmens."

Und tatsächlich: Während das Gefährt übers Feld tuckert, könnte der Bauer im Traktor Büroarbeiten erledigen. Zuvor müsste er nur ein einziges Mal um das Feld herumfahren. Dabei speichert ein GPS-Empfänger die Daten, und von da an weiß der Traktor selbst, was er zu tun hat. Die Maschine bearbeitet von ganz allein die Fläche, zentimetergenau fährt sie das Feld ab. Der Bauer sitzt nur für unvorhergesehene Fälle im Cockpit. So jedenfalls erklärt es Wessling, und zwar so leidenschaftlich, dass man mit dem Gedanken spielt, sich so ein Gerät zuzulegen. Einfach zum Spaß, für die Fahrt ins Büro. Was es kostet? "Rund 130.000 Euro." Nun ja, vielleicht doch nicht.

Wie überschaubar ist dagegen die Welt der Tiere auf dem Landwirtschaftsfest. Eben hat eine Jury den Bullen "Steinadler" zum schönsten Zuchtstier gekürt - "ein Stier der Vollendung in den formalistischen Merkmalen" - und während der stolze Besitzer seinen "Steinadler" im "Großen Ring" an der Nase herumführt, zollt das Publikum Beifall. Abgesehen von einigen Nörglern, die das zweitplatzierte Tier für viel attraktiver halten. Steinadler nimmt bald wieder in der Tierhalle Platz, neben anderen Artgenossen, deren muskelbepackte Körper jede Kuh zum Dahinschmelzen bringen. Nur die Hörner hat man den meisten gekappt.

Kuh Helene hat ebenfalls einen Preis gewonnen, was Züchter Ludwig Prinz aus Friesenried im Ostallgäu als große Ehre betrachtet. Wie aber muss eine Kuh beschaffen sein, um wie die schöne Helene den Sieg in der Sparte "Original Braunvieh" davonzutragen?

"Wichtig ist der Gesamteindruck", sagt Prinz. Unter anderem sollte sie ein "schönes Voreuter" haben sowie ein "ausgeprägtes Fundament". Prinz, der sich auf eine Mistgabel stützt, ist ein aufmerksamer Mann. Er merkt sofort, dass sein Gegenüber Schwierigkeiten hat, sich das Fundament einer Kuh vorzustellen. Und er hilft weiter: "Die Fiaß. Die Füüüße."

Nur Zyniker brauchen jetzt einen Imbiss

Man lernt hier wirklich dazu. Man schließt Bekanntschaft mit der "Grauen gehörnten Heidschnucke", die bis zu vier Kilo Wolle im Jahr liefert, man wundert sich über die vier Hörner, die das "Jakobsschaf", das schon in der Bibel vorkommt, schmücken, man freut sich am Anblick der frisch geschlüpften Küken oder der südamerikanischen Alpakas, die eine Frau zu Recht als "knuffig" bezeichnet.

Und dann die Ferkel, die mit allem, was sie haben, um die besten Plätze an den Zitzen der Muttersau kämpfen. Als die Jungbäuerin eines der Schweinchen zum Streicheln hochhält, schreit es wie am Spieß. Nur Zyniker werden nach dieser Szene in der Lage sein, in der Spanferkel-Bude gegenüber dem ZLF-Eingang einen Imbiss zu nehmen.

Michael Jaider ist mit einigen Spezis aus Kastelruth in Südtirol angereist, wo er eine Landwirtschaft mit Obst, Wein und Vieh sowie einen Gasthof betreibt. Er kommt immer zum Landwirtschaftsfest nach München, vor allem "wegen der Riesenmaschinen, die man sonst nicht sieht".

Royale Schönheiten

Gerade aber hat er einige royale Schönheiten betrachtet, die für die Fotografen posierten: die fränkische Spargelkönigin, die Karpfenkönigin Barbara I., die bayerische Zwiebelkönigin, die Hallertauer Hopfenkönigin, die Gurkenkönigin und andere Majestäten. So ansehnlich die auch Damen sind, was die Frisur betrifft, erwächst ihnen in den Haflinger-Pferden der Pferdefreunde Leitzachtal harte Konkurrenz.

In deren blonden Schweif haben fleißige Hände filigrane Zöpfchen eingearbeitet, "Fischgrätenzöpfe", wie Reiterin Stefanie Kaffl erklärt. Eigentlich ist die junge Frau ja Heilpädagogin, aber jetzt hat sie Urlaub genommen, um beim Quadrillereiten auf dem ZLF dabei zu sein. Kaffl und ihre Pferdefreunde wohnen in einem Container auf dem Festgelände, und auch wenn das nicht sehr komfortabel ist: "Es macht viel Spaß."

Siegfried Leuchtner steht ergriffen vor dem Agroton 7250 TTV der Firma Deutz-Fahr. Auch so ein Großtraktor, den man in Kampfhandlungen auf dem Mars einsetzen könnte. "Gigantisch", sagt er. "A Wahnsinn." Der Rentner aus Indersdorf hält sich als Hobby einen Lanz-Bulldog von 1958 - "der ist ein Spielzeug dagegen". Trotzdem: Den Agroton "werd i mer gwiss ned kaufn". Da ist er ähnlich bockig wie die bayerischen Landwirte in früheren Zeiten, denen die Segnungen der Technik auf dem ZLF mit pädagogischen Tricks eingetrichtert werden mussten.

In einer Festchronik von 1822 heißt es: "Am Festmorgen ( . . .) ließ das Generalkomitee des Landwirtschaftlichen Vereins (. . . ) mit neuen Ackerwerkzeugen auf der Anhöhe der Theresienwiese in Anwesenheit zahlreicher Zuschauer, namentlich aus Kreisen der Landwirte, ein Feld ackern, besäen und zurichten, um durch diesen praktischen Versuch dem Landmann die Vorteile dieser Geräte noch einleuchtender zu machen." Bei den meisten Landmännern ist die Botschaft mittlerweile angekommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: