Zeitzeugen:Verbarrikadierte Räume, zugenagelte Türen

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Franz Wanner stammt aus Dietramszell. Dort tat sich der Gemeinderat noch im Jahr 2014 schwer, Hitler die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Krawalle an der Münchner Kunstakademie waren halb ernst, halb Spiel - ein Film von Franz Wanner lässt die Protagonisten von damals zu Wort kommen

Von Gerhard Fischer, München

Am 5. Februar 1969 haben Studenten an der Kunstakademie einen "Tag des Zweirads" veranstaltet. Sie fuhren mit Rollschuhen, Rädern und Mopeds durch die Gänge - aber auch mit einigen schweren Maschinen. In einem Film des Künstlers und Filmemachers Franz Wanner, 43, sieht man Studenten mit Startnummern, Motorradbrillen und Siegerkranz. Eine Band spielt, viele tanzen, es ist eine große Session. Vorausgegangen waren monatelange Tumulte, und gut zwei Wochen nach der Rad-Aktion ließ Kultusminister Ludwig Huber die Akademie zum ersten Mal schließen.

Die Studenten ließen sich das nicht gefallen. Sie versuchten die Akademie gewaltsam zu öffnen, 123 junge Leute kamen auch tatsächlich in das Gebäude - und wurden dort festgenommen. Die Polizei schaffte sie aufs Präsidium in der Ettstraße und machte von ihnen Fotos wie man sie aus Verbrecherkarteien kennt. "Wir bekamen eine Strafanzeige wegen Vandalismus und sollten 20 000 Mark zahlen", erzählt Frank von Sicard 40 Jahre später in Wanners Film. "Das war irreal, das war für mich wie heute 200 000 und 300 000 Mark, das konnte ich nicht zahlen, ich lebte von 300 Mark im Monat." Das Ganze sei dann später gottlob "unter die Amnestie bei Willy Brandt" gefallen.

Die Studenten haben andere nur selten bedroht, ihnen auch nichts getan. Dem Direktor Paolo Nestler haben sie einen Knopf vom Sakko gerissen, Hermann Kaspar haben sie die Tür zugenagelt, Räume haben sie mit Baumstämmen, Plastiken und einem Klavier verbarrikadiert.

"Die haben das überschätzt", sagt der damalige Professor Thomas Zacharias 40 Jahre später im Film über die Reaktion von Behörden und Polizei. "Der Protest war nicht nicht-ernst - aber er hatte auch eine ästhetische Komponente und eine Spielkomponente. Es war etwas dazwischen. Da konnte der Staat gar nicht damit umgehen - er konnte mit dieser Ambivalenz nichts anfangen."

In der historischen Literatur werden weitere Details zu den Protesten in der Münchner Kunstakademie überliefert: Politiker der CSU und der SPD kamen im Juli 1969 in die Münchner Kunstakademie, um sich über "die Verhältnisse" dort zu informieren. "Das Bild, das sich ihnen (...) bot, kann nur als erschütternd, beschämend und beklagenswert bezeichnet werden", berichtete der CSU-Abgeordnete Hans Merkt dem Landtag. Die Hallen und die Wandelgänge seien "mit Wandschmierereien des obszönsten, perversesten und gotteslästerlichen Inhalts bedeckt".

Man kann sich vorstellen, wie sich Merkt aufregte. Vielleicht hatte er einen roten Kopf, als er fortfuhr: "Die Wiedergabe dieser Obszönitäten und Perversitäten wollte ich mir ursprünglich mit Rücksicht auf den menschlichen Anstand in diesem Hohen Hause versagen." Er sei aber von Kollegen gebeten worden, diese zu nennen - zur Darstellung und Verdeutlichung des Sachverhalts. "Es steht an den Wänden", sagte Merkt und machte laut stenografischem Sitzungs-Bericht eine Pause, "verzeihen Sie mir, wenn ich das wiedergebe: ,Leute, fickt eure Kinder'." Er forderte die "sofortige Schließung" der Akademie, weil dort "skandalöse und anarchistische Zustände" herrschten. Der Antrag wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Bloß acht SPD-Politiker und zwei CSU-Mitglieder stimmten dagegen.

So weit also historische Quellen dazu. Franz Wanner setzt sich in seinem erhellenden Film über die Akademie in der 68er-Zeit auch aus künstlerischer Perspektive mit den Krawallen auseinander. Im Jahr 2008 wurde sein Film erstmals gezeigt. Wanner sagt, ihn habe gereizt, dass Bilder "neu kontextualisiert" werden können.

Der Hausmeister hatte damals für die Polizei die Wandmalereien fotografiert. Er wollte die Sachbeschädigung dokumentieren. "Über diese Bedeutung der Bilder legt der Film eine andere - sie sind nicht mehr eine Denunziation der 68er, sondern eine Dokumentation ihrer Haltungen", sagt Wanner.

Thomas Zacharias, der damals Professor an der Kunstakademie war, sagt in Wanners Film, es sei auch "ein dadaistischer Akt" gewesen, dass die Akademie in einer großen Aktion bemalt worden sei, eine "Mischung aus Pornografie und politischen Beleidigungen". Die Studenten griffen in ihren Wandsprüchen auch den Bundeskanzler an ("Nazi Kiesinger muss weg!") und sie positionierten sich natürlich links ("Die rote Uni lebt!").

Franz Wanner, ein schmächtiger Mann mit Bart und runder Brille, sitzt in seinem Atelier im Kreativquartier an der Dachauer Straße. Die Vorarbeit für seinen Film hätten Kunstakademie-Studenten in einem Workshop geleistet, sagt er. Sie hatten Studenten, Professoren und Politiker der damaligen Zeit befragt.

Die Fotografien des Hausmeisters von den Wandmalereien und politischen Parolen der Studenten hat Wanner gegengeschnitten mit Interviews der damals Beteiligten und Fernsehaufnahmen in Schwarz-Weiß aus den Jahren vor der Revolte. Das Ganze ist mit Musik unterlegt, die den Konflikt zwischen vorher und nachher noch verstärkt.

Es ging um Freiheit, Provokation und die Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen; es ging aber auch speziell um die Zustände an der Akademie, um das autoritäre Gehabe von Professoren, um ihr Desinteresse an den Studenten. In Wanners Film erzählen die Münchner Künstlerinnen Alrun Prünster und Rita Mühlbauer, wie sie damals als Studentinnen nach London fuhren, wo die Dozenten den ganzen Tag mit den Klassen arbeiteten und redeten. In München, sagen sie, hätten sich die meisten Professoren mit den Studenten eher selten abgegeben.

Und natürlich ging es, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit. An der Kunstakademie fokussierte sich die Wut auf den Professor Hermann Kaspar, der als "Nazi-Dekorateur" galt. Kaspar war Innenausstatter von Hitlers Reichskanzlei, Günstling des Architekten und Rüstungsministers Albert Speer und Gestalter von Propaganda-Umzügen der Nationalsozialisten. Dafür wurde er von den meisten Studenten heftig angegriffen. Horst Sauerbruch dagegen ging in Kaspars Seminar und sagte im Film dazu: "Ich war unpolitisch - mir ging's nur darum, endlich malen zu können."

Ein angemessener Umgang mit Zeitgeschichte ist Franz Wanner wichtig. Da wirkt er grundsätzlich moralisch sehr streng. Das hat vielleicht auch damit zu tun, wo er herkommt, nämlich aus Dietramszell, einem Ort im Süden von München, in dem der Gemeinderat Adolf Hitler die Ehrenbürgerwürde nicht aberkennen wollte. Das war nicht 1947. Auch nicht 1961. Es war 2014. "Das Dorf ist katholisch, reaktionär und feudalistisch geprägt", sagt Wanner, der Dietramszell gleich nach dem Abitur verließ.

Impulse holte er sich aus Filmen, aus Büchern, im Hören und Spielen von Musik. In der Schule in Bad Tölz machte er in einem Theaterstück mit, das eine "feinteilige 68er-Collage" gewesen sei. "Die 68er waren für mich als Jugendlicher ein erster wichtiger Bezugspunkt in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit", sagt er. "Gleichzeitig zeigten sich bald auch Gründe, die 68er als nervige und oft auch indifferente Massenbewegung wahrzunehmen."

Beim Protest an der Kunstakademie hat ihm allerdings einiges gefallen. "Es gab eine Öffnung der Disziplinen, Bezüge zur Situationistischen Internationalen ( linke europäische Künstler und Intellektuelle, Anm. d. Red.), zur Philosophie und Soziologie, zur Musik, zum Aktions-Theater und zum Film." Das seien Einflüsse, die kombiniert wurden, um Konventionen zu beschädigen, sagt Wanner. Und was ihm noch gefallen hat: "Die Studenten an der Kunstakademie haben aus ihrem Protest einen Spaß gemacht."

Auch Hans-Jochen Vogel, der damalige Münchner Oberbürgermeister, kommt im Film zu Wort. "Es gab ja eine Phase, wo viele Demonstranten gesagt haben: Gewalt gegen Menschen nein, Gewalt gegen Sachen ja", sagt er - und stößt dann versehentlich das Mikrofon um. "Nichts passiert", sagt Hans-Jochen Vogel.

Franz Wanners Film "Ein Dia-Abend von der Revolution. Die 68er Bewegung an der Münchner Kunstakademie" wird am Freitag, 25. Mai, um 19 Uhr in der Städtischen Kunsthalle Lothringer 13_Florida in der Lothringer Straße 13 gezeigt.

Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Beitrags wurde die Episode über den Besuch von SPD- und CSU-Politikern in der Münchner Kunstakademie fälschlich dem Inhalt des Filmes von Franz Wanner zugeordnet. Diese Informationen entstammten aber ebenso wie der zitierte Bericht des CSU-Abgeordneten Hans Merkt im bayerischen Landtag der Geschichtsliteratur über jene 68er-Krawalle.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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