Zeckenzone Bayern:Blutsauger im Wald

Zecken auf dem Vormarsch: Mit Viren und Bakterien verseuchte Blutsauger stellen fast überall in Bayern eine Bedrohung dar - wer sich infiziert, hat oft jahrelang mit den Folgen zu kämpfen.

Ines Alwardt

Die Nymphe, die im Juni 2006 an Evelyn Bachmanns nackter Wade saugt, ist nicht größer als ein Sandkorn. Es ist ein schöner, warmer Sommertag. Die Hotelbetreiberin hat sich eine Pause gegönnt. Mit ihrem Hund ist sie durch den Wald gejoggt, durch das feuchte warme Gras, in T-Shirt und kurzer Hose. Auf dem Weg nach Hause ins unterfränkische Bürgstadt (Landkreis Miltenberg) kribbelt etwas an ihrem Bein, ein winziger schwarzer Punkt sitzt da an ihrem Unterschenkel. Bachmann wischt ihn einfach weg. "Die Zecke hatte sich noch nicht mal festgebissen", erzählt die 49-Jährige. Aber der kurze Kontakt mit dem Tier genügt: Drei Wochen später liegt Bachmann auf der Intensivstation, sie kann nicht mehr sprechen, weder denken noch laufen, ihr Körper kämpft gegen die Fieberschübe. "Wenn mein Immunsystem nicht stark genug gewesen wäre, wäre ich jetzt tot", sagt sie heute.

Zeckenzahl erneut gestiegen - Hitze macht ihnen aber zu schaffen

Wer sich bei warmem Wetter im Freien aufhält, sollte auf der Hut sein. Zecken lauern meist in Hecken oder hohem Gras und sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen.

(Foto: dpa)

Evelyn Bachmann ist eine von etwa 250 bis 400 Menschen jährlich, die sich in Deutschland mit der gefährlichen Hirnhautentzündung, der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), infizieren - oft unbemerkt, durch den winzigen Stich einer Zecke. Bei etwa einem Drittel der Erkrankten entzündet sich die Hirnhaut, in ganz schweren Fällen das Gehirn oder Rückenmark, ein bis zwei Prozent der Patienten sterben.

"Ixodes ricinus" oder auch "gemeiner Holzbock" heißt das Spinnentier, das das lebensbedrohliche Virus mit seinem Speichel auf den Menschen überträgt. In Bayern ist das Infektionsrisiko besonders hoch: Der Freistaat gilt als Hochburg für die mit FSME infizierten Blutsauger, ebenso Baden-Württemberg; beide Bundesländer hat das Robert-Koch-Institut (RKI) deshalb flächendeckend zu Risikogebieten erklärt. Seit 2001 ist die Erkrankung bundesweit meldepflichtig, das RKI dokumentiert jeden einzelnen Fall.

Von den 260 Neuerkrankungen, die die deutschen Gesundheitsämter dem Forschungsinstitut im vergangenen Jahr mitteilten, kamen 104 aus Bayern. In diesem Jahr hat das RKI deutschlandweit 137 Kreise als Risikogebiete deklariert - 78 davon liegen im Freistaat; als Zentren für Neuinfektionen gelten aktuell die oberpfälzischen Landkreise Amberg-Sulzbach und Schwandorf, der fränkische Landkreis Main-Spessart sowie Freyung-Grafenau in Niederbayern. Aber die Parasiten machen vor Landkreisgrenzen nicht halt.

Auch das Münchner Umland ist inzwischen betroffen: Seit 2007 gehören die Landkreise Ebersberg, Freising und Erding zu den ausgewiesenen FSME-Gefahrengebieten - obwohl sich dort in den vorhergehenden Jahren kaum ein Mensch mit FSME infiziert hatte. Erst ihre Lage macht sie zur Risikoquelle. Direkt grenzen sie an die Kreise Pfaffenhofen, Landshut, Rosenheim und Mühldorf am Inn, wo in den vergangenen fünf Jahren immer wieder Neuerkrankungen gemeldet wurden. "Eine strikte Trennung der Landkreise ist deshalb nicht sinnvoll", erklärt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut. Selbst wenn in einem Landkreis keine Fäll bekannt seien, "er erbt das Risiko seines Nachbarn", sagt sie.

Eine Vorsichtsmaßnahme. Deshalb änderte das RKI vor vier Jahren seine Definition: Ein Kreis gilt seither als Gefahrengebiet, wenn die Zahl der Neuerkrankungen dort oder aber in der gesamten vom RKI bestimmten Kreisregion, also auch in den umliegenden Kreisen, den festgelegten Grenzwert übersteigt, erklärt Glasmacher. Der liege bei einer FSME-Erkrankung pro 100000 Einwohner; für die Einstufung nimmt das RKI die Zeiträume von 2002 bis 2010 unter die Lupe, jeweils in Fünf-Jahres-Intervallen. Unterschreitet die Zahl der Neuerkrankungen den Grenzwert, bleibt der Kreis fünf weitere Jahre als Gefahrenzone deklariert. So lange kontrollieren die Experten anschließend noch die Entwicklung.

Der Landkreis Miltenberg, in dem sich Evelyn Bachmann infizierte, zählte bereits vor fünf Jahren zu den Risikogebieten. An Impfschutz dachte die damals 44-Jährige dennoch nicht. "Ich habe das einfach verdrängt", sagt Bachmann.

Kein Schutz vor Borreliose

Einer, der sich hat impfen lassen, ist der Freisinger Förster Hans Helmut Holzner. Mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt er im Wald, gegen FSME ist er geschützt. "Aber Borrelien", sagt er, "die sind für uns das größere Problem." Die von den Zecken übertragenen Bakterien nisten sich etwa sechs Wochen nach dem Stich des Blutsaugers im Körper ein; Arthritis, Lähmungen oder chronische Nervenschmerzen quälen die Betroffenen häufig noch Jahre später. Nach Angaben des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien in München erkranken deutschlandweit zwischen 60 000 bis 100 000 Menschen jährlich an der Borreliose. Obwohl sie als die am häufigsten durch Zecken übertragene Infektionskrankheit in Europa gilt, gibt es keine bundesweite Meldepflicht; bisher auch keinen Impfschutz, lediglich im Frühstadium können Ärzte die Infektion mit Antibiotika stoppen.

Marianne und Michael werben für Zecken-Impfung

Ein prall gefüllter Blutsauger: Inzwischen wurde fast der gesamte Freistaat zum Risikogebiet erklärt.

(Foto: dpa)

Täglich muss Holzner sich deshalb mit einer aufwendigen Prozedur schützen: Arm-und Fußgelenke sprüht er jeden Morgen mit Zeckenabwehrmittel ein. Auch bei 30 Grad im Hochsommer trägt er lange beschichtete Hosen mit Gummizug, am Abend zu Hause führt ihn der erste Weg unter die Dusche. Aber auch diese Vorsichtsmaßnahmen helfen nicht immer. "Ich hatte schon mehrere Infektionen", sagt der Förster. Er litt unter den typischen Symptomen: starke Muskelbeschwerden und Wanderröte, eine Hautrötung, die sich in Kreisform meist direkt um die Einstichstelle ausbreitet. "Nur mit einer langen und extrem starken Kur von Antibiotika ist das wieder verschwunden." Ein Kollege hatte weniger Glück, erzählt Holzner. Mit 50 Jahren sei der Förster durch die Erkrankung dienstunfähig geworden, seine Pension: gering. "Man konnte ihm nicht nachweisen, dass er sich während der Arbeitszeit infiziert hatte." Holzner lässt deshalb jeden Zeckenstich von einem Arzt dokumentieren.

Evelyn Bachmann hat in den vergangenen fünf Jahren wieder laufen und sprechen gelernt. Sie arbeitet wieder im Hotel, aber die ständige Müdigkeit und die Konzentrationsstörungen sind geblieben. "Die Aufklärung der Ärzte reicht nicht aus", sagt sie. "Zecken sind keine harmlosen Tiere." Dann denkt sie wieder an ihren Ausflug in den Wald, im Juni 2006. "In diesem Monat feiere ich quasi meinen fünften Geburtstag."

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