Zecken-Hysterie:Der Impfstoff ist aus

Die beiden Großhersteller kommen mit der Produktion nicht nach - erst im Herbst wird wieder geliefert. Experten raten zu heller Kleidung und regelmäßiger Körperkontrolle.

Marco Eisenack

Wer sich vor dem Sommerurlaub mit der Zeckenimpfung vor Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) schützen will, hat Pech: In München sind, wie in fast ganz Deutschland, die Impfstoffe der beiden einzigen Anbieter Baxter und Novartis restlos aufgebraucht. Erst im Herbst können die Pharmahersteller wieder ausreichend Schutzstoff liefern.

Zecken-Hysterie; Impfstoff ist aus
(Foto: Foto: dpa)

"Spannende Situation"

"Es ist schlicht kein Impfstoff mehr auf dem Markt", sagt Christian Groffik, Leiter der Abteilung Impfwesen im städtischen Referat für Gesundheit und Umwelt. Man habe eine "spannende Situation", die es so noch nicht gegeben habe. Nach Einschätzung des Experten entstand das Versorgungsdefizit unter anderem durch die vom Robert-Koch-Institut bekannt gegebenen 33 neuen FSME-Risikogebiete in Deutschland. Auch die kontinuierlichen Medienberichte und eine daraus entstandene "Hysterie der Bürger" seien verantwortlich, so Groffik. Da München kein FSME-Risikogebiet ist, vermutet er, dass sich viele Menschen zu voreilig geimpft haben. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Apothekerin Karen-Mareen Bereiter, Vorsitzende des Bezirksverbandes München im Bayerischen Apothekerverband, kennt viele übertriebene FSME-Ängste aus ihrer täglichen Arbeit. Sogar Bewohner von Altenheimen, "die eigentlich nie rauskommen", hätten sich den Impfstoff besorgt. Ein Versagen der Ärzte? Wohl kaum: Von Hausärzten wisse sie, dass viele Patienten massiv Druck gemacht hätten und sich auch gegen ärztlichen Rat impfen ließen. "Sonst gehe ich eben zu einem anderen Arzt", sei ein häufiger Satz gewesen. 150 Ampullen des Wirkstoffs hatte die Apothekerin im Frühjahr bestellt. Fünf Ampullen wurden geliefert. Seit Wochen kommt gar nichts mehr.

"Rekordnachfrage"

Dabei hatten die Hersteller so viel Impfstoff produziert wie nie zuvor. Aufgrund der 2006 bundesweit 546 FSME-Erkrankungen rechnete man mit einer Rekordnachfrage. Bisher wurden knapp neun Millionen Portionen des Impfstoffs produziert. Im gesamten Jahr 2006 waren es nur 5,7 Millionen Dosen, so das Paul-Ehrlich-Institut. In Bayern sei die Zahl der Impfungen laut Hersteller Baxter um gut 100 Prozent gestiegen. Immerhin zeigt die Vorsorge offenbar Wirkung: Die Zahl der FSME-Erkrankungen ist gesunken. Gab es 2006 in Deutschland bis zur 23. Kalenderwoche 43 FSME-Fälle, wurden heuer nur 38 bekannt.

Doch die neun Millionen Dosen reichten bei weitem nicht aus. Selbst wer bereits ein oder zwei der insgesamt drei für einen Impfschutz nötigen Teilimpfungen bekommen hat, wird für die dritte von den Ärzten wieder nach Hause geschickt.

Erst im September könne man die Versorgungslücke wieder schließen, sagen die Hersteller. Dann geht etwa bei Baxter in Wien - wo das Serum für ganz Europa produziert wird - die nächste Lieferung mit dem Kinderimpfstoff raus. Für Erwachsene komme bereits im Juli eine kleine Lieferung, diese werde aber vor allem in Risikogebiete geschickt. "Das wird bei der Nachfrage praktisch sofort verdampfen", meint Baxter-Pressesprechenrin Stephanie Kunert. Die Produktion des Medikaments sei sehr zeitaufwendig. Man müsse es in lebenden Zellen auf Eiern heranzüchten. Bis zu zehn Monate bräuchten die Kulturen, so Kunert.

"Wir müssen uns den Tatsachen einfach stellen", sagt Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, das für die Freigabe von Impfstoffen zuständig ist. Sie empfiehlt Anti-Zecken-Sprays und bei Ausflügen helle, enge Kleidung zu tragen. So können Zecken schnell erkannt werden. Stöcker betont, dass die FSME-Impfung nichts mit der häufigeren Borreliose zu tun habe, die auch durch Zecken übertragen wird. Gegen diese bakterielle Erkrankung gibt es keine Impfung. Schon deswegen sei die Kontrolle nach Zecken immer anzuraten - ob mit oder ohne Impfung.

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