Wurstsalat:Das Paradies in Scheiben

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Was gehört in den Wurstsalat? Nimmt man rote oder weiße Zwiebeln, und haben Essiggurken darin überhaupt etwas verloren? Collage: Dennis Schmidt, Fotos: imago (Foto: collage: dennis schmidt, Fotos: imago)
  • Der Wurstsalat hat viele Fans: Papst Benedikt, Richard Wagner und, nicht zu vergessen, den Tiger Willi.
  • Eigentlich eine schlichte Zwei-Komponenten-Mahlzeit, möchte man meinen - doch an der Zubereitung scheiden sich die Geister.

Von Stephan Handel, München

Unsere Vorstellung nährt sich aus der Erinnerung. Ein Bild steht auf aus einem Ton, einem Duft, einem Andenken: Der verliebte Spaziergang, bei dem es nach Flieder roch. Der zweite Satz der Symphonie, bei dem die eine Hand in die andere kam. Der Stein in Herzform, gefunden am Strand und überreicht als Versprechen für etwas, das heute auch schon lange vergangen ist.

Und damit zum Wurstsalat. Der Schriftsteller Max Goldt propagiert in einem seiner Texte die Zwei-Komponenten-Mahlzeiten, also Gerichte, die nur aus zwei Ingredienzien bestehen, zum Beispiel das Butterbrot. Betrachtet man Essig, Öl, Salz, Pfeffer nicht als Zutaten, sondern als Gewürze, dann besteht auch der Wurstsalat nur aus diesem und aus jenem: Wurst und Zwiebel, mehr braucht es nicht. Wenn es doch nur so einfach wäre.

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Denn in Wirklichkeit trägt jeder, zumindest jeder schon länger in Bayern ansässige, seine Vorstellung vom Wurstsalat mit sich herum. "Man hat die Grundidee des Wurstsalats im Kopf", sagt Gerhard Polt. "Den Geruch, wie er ausschaut, die Bestandteile, die Konsistenz. Ich weiß genau, wie ein Wurstsalat ausschaut, wenn er aus Regensburgern gemacht wird, ich weiß, wie er auf dem Teller liegt. Da fangen schon die Geschmackspapillen an; alles, was im Mund ist, weiß, auf was es wartet." Diese Erwartung ist ausschließlich und ausschließend: Wenn der Wurstsalat nicht so schmeckt, wie er soll, wie ihn die Mutter gemacht hat oder der Lieblingswirt, dann schmeckt er nicht. Dann ist der ganze Teller eine Enttäuschung.

Das ist das Problem - dass es so viele Variationen des Wurstsalates gibt wie Biergärten, Haushalte und Hobbyköche in Bayern zusammengenommen, und dass ein jeder von ihnen seine je eigene Variante als die natürlich allein gültige annimmt. Der Esser aber will keine Diversität. Wenn er sich im Biergarten Wurstsalat holt, dann gleicht er ihn ab mit seiner Vorstellung, mit seiner Erinnerung, mit seinem Idealbild. Und das in jedem Fall, bei jedem Esser zu erreichen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Das kann doch nicht so schwer sein - oder?

Aber es sind doch nur zwei Komponenten, da kann es doch nicht so schwierig sein mit der Kombinatorik? Weit gefehlt. Gerhard Polt zum Beispiel besteht darauf, dass sein Wurstsalat aus einer Regensburger Wurst gemacht ist, jener Oberpfälzer Variante der Knackwurst. Andere sind da deutlich toleranter - auch wenn sie eigentlich von Amts wegen auf der reinen Lehre bestehen müssten. Werner Muggenthaler ist so einer: Chef der Regensburger Metzgerinnung, aber trotzdem kein fanatischer Verfechter der einzig wahren Wurst: Man kann, sagt Muggenthaler, auch durchaus eine Lyoner nehmen oder eine Stadtwurst, "aber dann ist es halt kein Regensburger Wurstsalat mehr". Sowieso erklärt er, seien die Unterschiede nicht so groß, bei der Original Regensburger würden nur qualitativ hochwertigere Ausgangsprodukte verwendet als bei der gemeinen Knacker, "die ist nicht so exklusiv".

Ist also jede beliebige Gemengelage aus Wurstscheiben und anderem Zeug gleich ein Wurstsalat? Schmückt sich nicht mit falschen Federn, wer, wie jüngst auf einer Veranstaltung in München, einen "Wurstsalat-Lolli" serviert, die Radl auf einen Spieß gesteckt zur besseren händischen Verzehrbarkeit? Darf noch Wurstsalat heißen, was mit einer Orangen-Ingwer-Marinade angemacht ist?

Gibt es nicht schon genügend Variationen des traditionellen Rezept, muss das alles noch mal durch neumodisches Zeug erweitert werden? Die Glaubensfragen erschöpfen sich ja bei der Wurst noch lange nicht. Soll die Zwiebel rot sein oder weiß? Eine milde, fast schon süße Metzgerzwiebel oder eine richtig raße, scharfe Frucht, die dem Schneider wie dem Esser die Schleimhäute durchputzt? Würfel oder Ringe?

Schuhbeck rät zum Messer

Alfons Schuhbeck besteht darauf, auch bei größeren Mengen die Zwiebeln mit dem Messer zu schneiden und sie nicht maschinell zu zerkleinern - da werden die Stückerl zu fein, zu viele der ätherischen Öle kommen frei, und die Zwiebel wird bitter. Dutzende Fragen, dutzende Variationsmöglichkeiten also schon bei den Hauptzutaten - über den richtigen Essig, das richtige Öl, Senf ja oder nein, wurde noch kein Wort verloren. Aber schon die Verwendung steirischen Kernöls kann auf Internetseiten wie chefkoch.de zu erbitterten Diskussionen führen - erst recht die Frage, was an Nahrungsergänzungsmitteln sonst noch erlaubt ist: Essiggurken? Noch am ehesten. Paprika-Stückerl? Der eine mag's, der andere nicht. Radieserl?

Da hört der Spaß langsam auf, denn wenn der Salat dann zu lange steht, geben die ihre rote Farbe ab, und wer möchte schon roten Wurstsalat essen? Das sei aber kein Problem, antworten darauf die Radieserl-Befürworter, weil diese bei ihnen überhaupt keine Gelegenheit bekämen, rotfärberisch tätig zu werden, so schnell sei alles aufgegessen. Wenn dann allerdings jemand einwirft, er würde gerne mal Mango-Essig versuchen - oder wenn einer von den ganz modernen Köchen das Traditionsgericht neu benamst und plötzlich ein "Wurstradl-Carpaccio" verkauft -, dann ist die Front klar und die kulinarische Exkommunikation nicht mehr weit.

Der Papst und die Ode an den Wurstsalat

Apropos Kirche: Als im vergangenen Jahr zwei Schweizergardisten ein Buch über die Küche im Vatikan zusammenstellten und darin auch verrieten, was denn ihre Chefs, also die Päpste, sich gerne servieren ließen, war zu erfahren, dass Benedikt XVI. in Rom den bayerischen Spezialitäten treu blieb und gerne mal einen Wurstsalat zum Abendessen nahm, aus Regensburgern, versteht sich. Auch Richard Wagner war den sauren Stückerln nicht abgeneigt, wie bei dem Dirigenten Christian Thielemann zu erfahren ist - Wagners Laune beim Komponieren hat das aber offenbar nicht gehoben, jedenfalls nicht so weit, dass er dem "Ring" ein weniger zerstörerisches Ende gegönnt hätte.

Der Tiger Willi, Metzgerssohn und Liedermacher vom Wörthsee, kann zwar Richard Wagner kompositorisch nicht das Wasser reichen, hat diesem aber eines voraus: Er hat eine Ode an den Wurstsalat geschrieben, vielmehr darüber, wie dieser in der Lage ist, alle anderen körperlichen Gelüste auszustechen. Der Tiger, so geht das Lied, kommt bei einer nächtlichen Überlandfahrt zu einem Haus, wo ihm zwei "lüsterne Schwestern" im Negligé die Tür öffnen - alles, so tun sie kund, alles könne er haben von ihnen. Und was wünscht sich der Tiger Willi?

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Die Sonne kommt wieder raus, die Abende werden wärmer. Endlich Biergarten-Wetter. Also raus und hin. Wo die SZ-Redakteurinnen und -Redakteure gerne einkehren.

"Mach ma an Wurstsalat, gib mir a Coca Cola, a Mousse au chocolat, give me a kiss. Sugar baby love, machma La Ola, lass ma d'Sau raus, spuima Paradies." Das ist kulinarisch, wie man in Bayern so sagt, gewiss kein Zammastand - schon allein Cola mit Schokoladenpudding ist höchst fragwürdig. In einem aber hat der Tiger ganz gewiss recht: Ohne Wurstsalat ist das Paradies schlicht nicht vorstellbar.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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