Woodkid in München:Verlorene Unschuld

Woodkid Konzert in Berlin

Spielt am Dienstag zum letzten Mal für lange Zeit in München: Yoann Lemoine alias Woodkid.

(Foto: Archiv / picture alliance / dpa)

Woodkid überrollt sein Publikum. Beim Auftritt im Münchner Zenith wirbelt der schüchterne Junge wie ein Rockstar über die Bühne und zeigt sein audiovisuelles Gesamtkunstwerk. Nur mit einem neuen Song tun sich seine Fans schwer.

Von Ingrid Fuchs

Auf einen Schlag ist das Licht weg, im Münchner Zenith herrscht ehrfürchtige Stille. Trompeter stoßen Töne aus, die an Nebelhörner erinnern. Auf der Leinwand erscheint ein waberndes graues Etwas, Scheinwerfer schicken für Sekunden ihr weißes Licht wie gleißende Biltze durch die Halle. Trommeln setzen ein, wie ein gewaltiger Donner. Ein Orchester betritt die Bühne, gefolgt von einem unauffälligen, nicht allzu großen Mann. Der Applaus gilt ihm: Woodkid. Sein Name verspricht bombastischen Sound. Epische Bilder. Martialische Ästhetik. Er selbst verspricht erst mal eine Hörprobe zu einem neuen Stück.

Yoann Lemoine, wie Woodkid eigentlich heißt, betritt am Dienstagabend vorerst zum letzten Mal eine deutsche Bühne, dann geht es für den Franzosen in die Heimat und bald schon weiter nach Südamerika und in die USA. Seit ziemlich genau einem Jahr ist der Dreißigjährige nun auf Tour, man glaubt es kaum, aber sein Debütalbum "The Golden Age" erschien schon am 15. März 2013.

Videos und Musik bilden ein Gesamtkunstwerk

Lemoine hat eigentlich Kunst studiert und sich dann vom Werbefilmer zum bildgewaltigen Videoregisseur hochgearbeitet. Davon zeugen Werke für prominente Kollegen wie Lana Del Rey, Katy Perry, Rihanna oder Moby. Oder die Clips, die durch das Zenith flimmern: So schreitet das Münchner Publikum zum Opener, "Baltimore's Fireflies", zwischen den gigantischen Säulen einer Kathedrale hindurch. Fliegt später über schwarz-weiß-graue Steinwüsten, beobachtet schwarze Tinte, die sich im Wasser zur Kleksen ausbreitet, wähnt sich in einer Maschinenhalle voller Roboterarme. Dazu, exakt getaktet, die Inszenierung der einzelnen Musiker - die kriegerischen Bewegungen der Trommler, der versteinerte Blick des kapuzentragenden Keyboardes. Woodkids Auftritt ist durchkomponiert, vom Regisseur als Gesamtkunstwerk angelegt.

Das Münchner Publikum lässt sich darauf ein. Bei ruhigen Passagen breitet sich fast sakrale Stimmung aus, andächtige Zuschauer verfolgen die aufwändigen Videos auf der Leinwand. Minuten später springt die wogende Menge, der Brustkorb bebt zu den bombastischen Bässen. Dass die Halle abgehängt und trotzdem nicht ganz voll ist, fällt kaum auf. Die Musik entfaltet eine Wucht, die alle mitnimmt.

Lemoines Gesang wird oft mit dem von Rufus Wainwright oder Antony Hegarty verglichen - doch ihm fehlt deren Stimmumfang. Bei manchen Songs ist da eher ein Stimmchen als eine Stimme. Das fällt an einem Abend wie diesem besonders auf, das Zenith wirkt sich bekanntlich nur selten positiv auf den Klang aus.

Wer Woodkid vor knapp einem Jahr in der Muffathalle erlebt hat, dürfte vielleicht sogar ein bisschen wehmütig geworden sein. Aus dem aufgeregten kleinen Jungen von damals ist zwar noch keine ausgewachsene Rampensau geworden, er scheint aber daran zu arbeiten. Wie ein Rockstar springt Lemoine immer wieder auf der Bühne herum, streckt die ausgebreiteten Arme in die Luft, als wäre er ein Messias. "Are you ready to dance?", "Are you ready to jump?" - derlei brüllt Lemoine nicht nur einmal ins Mikrofon. Worte, die er vor zwölf Monaten wohl nur mit Mühe aus sich hätte herauspressen können. Die Unschuld von damals: verloren.

Die Erfahrungen, die er in einem Jahr voller Konzerte gesammelt hat, werden nicht nur in seinem Auftreten spürbar. Lemoine selbst macht sie auch hörbar. Der neue Song "Go" ist während der Tour entstanden, unter dem Einfluss von Alkohol und all jenen schmutzigen Dingen, die man eben so mache, sagt Lemoine.

Der Gesang geht in dem Stück fast unter, an bisherige Songs kann er damit nicht anknüpfen; zumindest nicht mit dieser Version. Der Applaus fällt eher anständig denn überwältigt aus. Dafür braucht Lemoine aber nur wenige Minuten, bis ihm das Publikum wieder gehört. Zur Belohnung gibt es am Ende "Run Boy Run" - und doch noch frenetischen Applaus. Bis die Lichter wieder angehen.

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