Zwei besondere Klassen in Bad Tölz:Fürs deutsche Leben lernen

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Die Berufsschule Bad Tölz bereitet junge Asylbewerber darauf vor, eine Ausbildung aufzunehmen. Gelegentlich gehören zum Unterricht auch der FC Bayern und Obatzter

Von Felicitas Amler, Bad Tölz

Das ist nun wirklich kein leichtes Wort, und zum deutschen Grundwortschatz gehört es eigentlich auch nicht. Der junge Mann aus Nigeria versucht es tapfer: "Obaßta?" Nicht ganz. Kleine Korrektur der Lehrerin Sina Guber: "Obatzter." Der gehört zur landestypischen Brotzeit, und die wiederum ist Teil dessen, was Emmanuel aus Nigeria und die anderen in der berufsvorbereitenden Klasse für Asylbewerber an der Berufsschule Bad Tölz gerade lernen. Sie haben sich thematisch von der Antarktis über Amerika und Australien nach Europa vorgearbeitet, sind dann in Deutschland angekommen und befassen sich nun mit den 16 Bundesländern. Fläche und Einwohnerzahl sind jeweils zu lernen, große Städte und Wappen, eine Sehenswürdigkeit und eben ein typisches Essen sollen in kleinen Teams auf Plakate geschrieben werden. Emmanuel weiß aber über Bayern mehr als München, Brezen und Obatzter. Zum Beispiel, dass der FC Bayern 24-mal deutscher Fußballmeister war. Sina Guber lacht und ermuntert die jungen Leute, ruhig aufzuschreiben, was immer ihnen zum Thema einfalle.

Direktor Josef Bichler ist sehr zufrieden mit den beiden berufsvorbereitenden Klassen für Flüchtlinge, die seit vergangenem September an seiner Schule unterrichtet werden. Die Asylbewerber, die in so großer Zahl nach Deutschland kommen - das sei doch "eine riesen-gesellschaftliche Aufgabe", sagt er, und als seinen Anteil daran sieht er die Bildung: "Das ist unser Auftrag." Und den nimmt er ernst. Es gibt ein Team aus Lehrern für die beiden Klassen mit je 18 bis 20 Schülern, die von Mathematik über Holzbearbeitung bis Sport und Kochen alles lernen, was sie reif machen soll, eine Ausbildung zu beginnen. Dieses Team sei in einem intensiven Austausch. Und zusätzlich bemüht sich die Schule um Integrationsprojekte: Im März gab es einen Kennenlerntag unter dem Motto "Unsere Schule ist bunt". Dann hat die Bank-Klasse die Flüchtlingsklassen besucht und sie über deutschen Zahlungsverkehr beraten. In Kürze werden die Elektrotechniker der Schule einen ähnlichen Projekttag gestalten. Bei all dem gehe es darum, Begegnungen zu schaffen, und das habe "echt gut geklappt", sagt Bichler. Längst hätten einheimische Schüler und Asylbewerber private Kontakte geknüpft.

Lugaiyen und Aisha kommen aus Syrien. Inzwischen sprechen sie gut Deutsch und kennen sich sogar mit Besonderheiten einzelner Bundesländer aus. (Foto: Felicitas Amler)

Von einem freundschaftlichen Klima innerhalb der Flüchtlingsklassen berichtet Lehrerin Sina Guber: Vor kurzem hatte Nourhat aus Syrien ihren 18. Geburtstag, da sei der Rest der Klasse zusammen losgezogen, um ihr einen Schminkkoffer zu kaufen. Man sehe, sagt der Direktor, dass "eine gewisse Grundfröhlichkeit" unter den Asylbewerber-Schülern herrsche. "Man kann schon sagen, dass wir da was geleistet haben."

Diese Leistung erbringt die Berufsschule mit ihrem Kooperationspartner, dem Kolping-Bildungswerk München. Dort haben die jungen erwachsenen Flüchtlinge vor allem Deutschunterricht. Das sei die einzige wirkliche Hürde gewesen, erinnert sich Guber. Viele Asylbewerber seien ja zum Beginn im vergangenen September fast ohne Deutschkenntnisse in die Klassen gekommen. Aber bis Weihnachten sei es bei allen soweit gewesen, dass man sie gut auf deutsch unterrichten konnte.

Die Klassen für Flüchtlinge bewähren sich - und sind offenbar dringend nötig. Zum kommenden Schuljahr hat Direktor Bichler die Genehmigung des Kultusministeriums, nicht nur die beiden vorhandenen Klassen aufsteigen zu lassen, sondern zusätzlich zwei weitere mit je 20 Schülern einzurichten. Aus den jungen Asylbewerbern sei "schon was zu machen, wenn die Bildung sich darum kümmert", sagt der Direktor. Jedenfalls haben er und sein Team die Erfahrung, dass sie alle "unheimlich wissbegierig" seien. Sie wollten einfach die Sprache und alles über deutsches Alltagsleben lernen. So sehr, dass Sina Guber beobachtet hat: Während die deutschen Berufsschüler in der Pause die Klassenzimmer verließen, blieben die Flüchtlinge oft drin und arbeiteten weiter. So wie am Dienstag, als sie Plakate über deutsche Bundesländer gestalteten. "Sie wollen gute Noten bekommen, um sich hier zu verwirklichen und ein normales Leben führen zu können", sagt ihre Lehrerin.

Lehrerin Sina Guber mit Imran aus Pakistan und dem fußballbegeisterten Emmanuel aus Nigeria. (Foto: Felicitas Amler)

Welcher Beruf könnte zu einem normalen Leben gehören? Nourhat weiß es: Sie möchte Abitur machen, studieren und Dolmetscherin werden - Arabisch, Kurdisch und Deutsch spreche sie ja. Um herauszubekommen, was ihnen liegt, werden die jungen Leute in der zweiten Klasse Praktika absolvieren, bei Friseuren, in Kindertagesstätten, auf Baustellen, beim Bäcker. Oder in Autowerkstätten. Denn Kfz-Mechatroniker ist das beliebteste Berufsziel der jungen Männer - da sind sich Einheimische und Flüchtlinge sehr nah.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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