Wolfratshausen:Vom magischen Zauber des Gesangs

Wolfratshausen: Dirigent Daniel, gespielt von Matthias Grundig (Mitte), mag es unkonventionell. Mit ungewöhnlichen Übungen versucht er aus seinen Chormitgliedern das Beste an Stimme herauszuholen.

Dirigent Daniel, gespielt von Matthias Grundig (Mitte), mag es unkonventionell. Mit ungewöhnlichen Übungen versucht er aus seinen Chormitgliedern das Beste an Stimme herauszuholen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das Münchner Metropoltheater gastiert mit "Wie im Himmel" in der Wolfratshauser Loisachhalle. Das Stück über die verschlungenen Wege des Zueinanderfindens über die Musik begeistert das Publikum

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

Wer den Film gesehen hat, vielleicht sogar mehrfach, braucht eine Weile, um sich auf die Theaterfassung einlassen zu können. Die Bühne ist ein schwarzer Raum mit einem schwarzen Konzertflügel. Sonst völlig leer. Auf dem Flügel steht der Dirigent Daniel (Matthias Grundig) eingangs, dem Publikum zugewandt, und dirigiert ein imaginäres Orchester. "Nein, nein! Liebe!", ruft er. "Wenn Mozart A-Dur komponiert, ist es Liebe! Was ihr da spielt, ist Scheiße . . ." Er steigert sich in eine wahnsinnige Erregung hinein, während im Bühnenhintergrund ein Chor Daniels Geschichte erzählt: Den Aufstieg vom einsamen, gemobbten Kind zum Weltstar und dessen Absturz. Von Herzinfarkt und Warnschuss ist die Rede. Dann mutiert der Flügel zum Taxi, mit dem Daniel aufs Land hinaus fährt und sich in einem alten Schulhaus einmietet. Damit beginnt die eigentliche Geschichte. Denn das Dorf hat einen Chor, dem der Kantor fehlt.

In der ersten Szene mit dem Chor passt das Bühnenarrangement plötzlich, vermutlich weil karge Räume mit einsamen Flügeln die angestammten Örtlichkeiten für die Chorarbeit sind. Von nun an zieht es den Zuschauer in die Geschichte hinein. Natürlich übernimmt Daniel nach anfänglichem Sträuben den verwaisten Chor. Und er verwirrt dessen Sänger mit neuen Methoden: "Alles beginnt mit Zuhören! Stellt euch vor, dass alle Musik schon da ist - und wir können sie holen", ruft er begeistert aus. "Jeder Mensch hat seinen eigenen Ton. Und den suchen wir jetzt!" Dass sich alle auf den Boden legen, den Kopf jeweils auf dem Bauch eines Mitsängers, oder sich im Kreis an den Händen fassen und gemeinsam Urlaute ausstoßen, verstört den engstirnigen Pfarrer Stig (Marc-Philipp Kochendörfer) ebenso, wie es seine frustrierte Ehefrau Inger (Lilly Forgách), die im Chor mitsingt, entzückt. Veritable Ehekrise im Pastorenhaus!

Doch auch Daniel lernt dazu. Als seine Sänger mitten in der Probenarbeit aufspringen, um Kaffeepause zu machen, rastet er aus: "Es geht um unser Leben! Ohne Konzentration ist das sinnlos!" Lena (Vanessa Eckart), aufgrund ihres lockeren Lebenswandels nicht unumstritten im Dorf, aber immer bereit, sich um andere zu kümmern, nimmt ihn beiseite: "Das ist alles noch neu für uns. Und: Kaffeepause ist auch ganz wichtig." Daniel sieht es ein - und entwickelt aus dem "Hmmm" beim Biss in den Keks gleich eine neue, lustige Stimmübung. Doch nicht nur der Pfarrer, sondern auch der gewalttätige Conny (Hubert Schedlbauer) sieht rot: Seine von ihm unterdrückte und misshandelte Frau Gabriella (Judith Toth) gewinnt durch das Singen Selbstvertrauen - und schließlich sogar den Mut, ihn zu verlassen. Da sorgt der Pfarrer für die Entlassung des Kantors mit der Begründung, er habe sein Amt missbraucht. Das bringt wiederum Lena in Wallung, die sich leidenschaftlich in Daniel verliebt hat: "Hast du mit einer von uns geschlafen?", verlangt sie in der Chorprobe von ihm zu wissen.

Natürlich findet Kraft der Musik dieses Paar ebenso zueinander wie die beiden Chorältesten: Nach mehr als 50 Jahren hat Erik (Dirk Bender) endlich den Mut, Olga (Astrid Polak) seine Liebe zu gestehen. Obwohl die Magie des (Chor-)Gesangs tatsächlich vieles bewirken und in Gang setzen kann, eine solch umfassende Gruppen-Therapie-Veranstaltung wie in Kay Pollaks "Wie im Himmel" ist die Chorarbeit in der Realität denn doch nicht. Aber dieses Stück ist eine wunderschöne Utopie, in der man sich gerne verliert. So wird der geistig behinderte Tore (Jakob Tögel) liebevoll in den Chor integriert, der umtriebige Arne (Paul Kaiser) erkennt, dass Liebe und Zusammenhalt mehr zählen als Erfolg, die eifersüchtige Siv (Nathalie Schott) lernt, gönnen zu können - und Daniel verliert seine Bindungsangst durch Lenas Kraft. Der erfolgreiche Auftritt beim Wettbewerb in Salzburg lässt den Traum der Chorsänger wahr werden. Und während sie singen, stirbt Daniel. Er hat alles erreicht.

Mit Beifall, Trampeln und Johlen dankt das Publikum in der nicht ganz ausverkauften Loisachhalle der Münchner Truppe für diesen zauberhaften Theaterabend.

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