Wolfratshausen:Unschlagbar

Die "Neue Philharmonie München" und Percussionistin Vivi Vassileva reißen das Publikum zu Beifallsstürmen hin.

Von Sabine Näher

Schon der Orchesteraufbau in der Loisachhalle lässt Großes erwarten. Stühle und Notenpulte in immenser Zahl; wo sich ansonsten die ersten Sitzreihen für das Publikum befinden, ist ein riesiger Schlagwerkapparat aufgebaut - Marimba und Vibraphon, chinesische Gongs, Trommeln und ein üppiges Windspiel: Wer am Dienstagabend den Saal betritt, dem entfährt unweigerlich ein "Oh!". Und die solchermaßen hoch geschraubten Erwartungen werden keineswegs enttäuscht.

Den ungewohnten Aufbau erforderte das Schlagwerkkonzert "The Tears of Nature" des 1957 geborenen chinesischen Komponisten Tan Dun, das dieser 2012 für seinen Freund Martin Grubinger komponiert hat. Wer den jungen Österreicher auf der Bühne erlebt hat, weiß, wie beeindruckend der Totalkörpereinsatz am Schlagwerk, den Grubinger mit Hochleistungssport vergleicht, ist. Noch verblüffender aber, wenn wie hier eine junge, zarte Frau mit voller Kraft auf die Instrumente eindrischt, hin und her wirbelt, so dass dem Zuschauer schwindlig werden mag.

Vivi Vassileva heißt die absolut beeindruckende Percussionistin, die für ihren verstorbenen Lehrer Peter Sadlo, mit dem dieses Konzert der Neuen Philharmonie München ursprünglich geplant war, eingesprungen ist. Und wie schön passt es ins Bild, dass neben ihr als Bändigerin der Orchestermassen ebenfalls eine junge Frau auf dem Podium steht. Oksana Lyniv ist eine schlanke, elegante Erscheinung, die den typischen Dirigierstil der erfreulicherweise zunehmend häufiger anzutreffenden jungen Frauen in dieser (demnächst ehemaligen) Männerdomäne pflegt.

Wolfratshausen: Marimba und chinesische Gongs, Trommeln und Vibraphon, in jeder Hand zwei Schlegel - und zwischendurch mal schnell zur Pauke: Vivi Vassileva hat in diesem Konzert im Wortsinn alle Hände voll zu tun.

Marimba und chinesische Gongs, Trommeln und Vibraphon, in jeder Hand zwei Schlegel - und zwischendurch mal schnell zur Pauke: Vivi Vassileva hat in diesem Konzert im Wortsinn alle Hände voll zu tun.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Lyniv nimmt sich angenehm zurück und stellt sich ganz in den Dienst an der Sache. Was natürlich ebenfalls Ganzkörpereinsatz bedeutet, wenn es die Partitur verlangt. Und da kann sie eine kraftvolle Ausstrahlung entwickeln, die das Riesenorchester souverän im Griff hat. Um sich dessen Ausmaß vorzustellen, muss man wissen, dass je acht Celli und Kontrabässe aufgeboten sind, zwei Harfen und so viele Bläser, dass sie ohne weiteres als eigenes Blasorchester agieren könnten.

Tan Dun lässt seine Solistin, von zarten Harfen-Arpeggi begleitet, im 1. Satz ("Sommer") hinauf ins Orchester steigen und dort an einem Paukenset neben vier weiteren Schlagwerkern unglaubliche Percussionkünste ausführen. Wechselweise mit den Schlegeln und den Händen, was eine kraftvoll archaische Wirkung hervorruft. Eine ekstatische Tutti-Steigerung reißt den Hörer mit. Der 2. Satz ("Herbst") stellt die Marimba in den Mittelpunkt. Zart flirrende Klänge, dazu erst nur Cello-Pizzicato, dann treten die hohen Streicher und einzelne Bläser hinzu. Verhalten, geheimnisvoll. Schließlich wird die Marimba immer selbstbewusster, raumgreifender. Im intensiven Austausch mit einzelnen Orchesterinstrumenten entsteht durchgängige Spannung.

Tan Dun benutzt den riesigen Apparat wie viele seiner zeitgenössischen Kollegen gerne, um daraus sozusagen kammermusikalische Formationen zusammenzustellen, was eine Unzahl an klanglichen Möglichkeiten ergibt, während das Sinfonieorchester im 19. und weithin 20. Jahrhundert primär in seiner Gesamtheit eingesetzt wurde, aus der lediglich einzelne Soli herausklingen - wie später an diesem Abend noch bei Strauss zu hören. Im 3. Satz ("Winter") kommt endlich der ganze Schlagwerkaufbau zum Einsatz. Wirbelnde Virtuosität einer Solistin, die alle Register zieht. Jubel, Trampeln, Johlen im Saal und schier endloser Applaus.

Wolfratshausen: Der Neuen Philharmonie München gelang ein leidenschaftliches "Heldenleben". Der aufwendige Konzertabend wurde von der Osteuropahilfe, dem Lions Club und Sankt Michael unterstützt.

Der Neuen Philharmonie München gelang ein leidenschaftliches "Heldenleben". Der aufwendige Konzertabend wurde von der Osteuropahilfe, dem Lions Club und Sankt Michael unterstützt.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Nach der Pause steht bei Richard Strauss' "Ein Heldenleben" dann das Orchester im Mittelpunkt. Seit nunmehr zwölf Jahren finden sich in der Neuen Philharmonie München begabte junge Musiker aus ganz Europa zusammen, um unter Anleitung versierter Hochschulprofessoren ein anspruchsvolles Programm zu erarbeiten. Der leidenschaftliche Einsatz, die totale Hingabe und Spielfreude sind ein Ereignis für den Zuhörer. Das konnte bei Strauss' leicht egomanischer Tondichtung, mit der er sich selbst ein musikalisches Denkmal setzt, voll ausgekostet werden. Klanggewaltiges, schwelgerisches Tutti zeichnet "den Helden" mit verschwenderischer Fülle.

Wie durcheinandergackernde Hühner malt Strauss darauf ganz böse das Bild seiner Kritiker in "Des Helden Widersacher". Ein Portrait seiner Frau Pauline ist "Des Helden Gefährtin": Die Geige (wunderbares Solo der Konzertmeisterin Sophia Herbig, Kulturpreisträgerin des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen) gibt sich zärtlich, neckisch, aber auch ermahnend vorwurfsvoll vor einem leise grollenden Tutti: Strauss'scher Ehedialog?

Helle Trompetenfanfaren rufen in "Des Helden Wahlstatt" in den Krieg. Beim Schlachtengetümmel schlägt die Stunde des tiefen Blechs. "Des Heldens Friedenswerke" zitiert darauf sehr selbstbewusst aus anderen Kompositionen Strauss', bevor "Des Helden Weltflucht und Vollendung" den ruhigen, beschaulichen Lebensabend mitsamt der Gattin, sprich Violine, schildert.

Großer, jubelnder Beifall, der auch das eingangs zu hörende "Huzuliche Triptychon" des ukrainischen Filmkomponisten Miroslav Skoryk einschloss, ein vom ersten bis zum letzten Takt fesselndes und spannendes Werk, das mit den Rhythmen der huzulischen Volksmusik spielt.

Ein solches Erlebnis mit neu zu entdeckenden musikalischen Werken, umwerfender Solistin und begeisterndem Orchester hat Wolfratshausen nicht alle Tage zu bieten.

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