Wolfratshauser Kinderchor:Riesenspaß beim Kuh-Jodeln

Wolfratshauser Kinderchor: Von Affengeräuschen übers Ziegenmeckern bis zum Kuh-Jodeln reichen die Einsing-Übungen des Wolfratshauser Kinderchors.

Von Affengeräuschen übers Ziegenmeckern bis zum Kuh-Jodeln reichen die Einsing-Übungen des Wolfratshauser Kinderchors.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Yoshihisa Kinoshita leitet seit 26 Jahren den Wolfratshauser Kinderchor. Dabei setzt er auf gegenseitige Motivation und verzichtet auf Auslese. Mit großem Erfolg, wie ein Probenbesuch zeigt.

Von Sabine Näher

Was für ein Gewusel und Gebrabbel! In wenigen Minuten beginnt die Probe der Dritt- und Viertklässler des Wolfratshauser Kinderchores. 25 Mädchen und Buben im Alter zwischen acht und zehn Jahren reden, lachen und laufen durcheinander. "Aufmerksamkeit bei mir bitte!", ruft Yoshihisa Kinoshita. Augenblicklich ist es mucksmäuschenstill. Der deutsch-japanische Musiker wirkt locker und strahlt gleichwohl eine natürliche, angenehme Autorität aus. Noch ehe ein Ton gesungen ist, wird deutlich, worin sein Geheimnis liegt: Er nimmt die Kinder ernst, pflegt einen Umgang auf Augenhöhe. Und er geht quasi improvisatorisch auf alles ein, was ihm entgegengebracht wird.

Zum Beispiel bei einer Einsingübung. Ein Mädchen sagt zu ihm: "Du klingst wie ein Affe!" "Tini hat's erfasst", kontert der Musiker - und lässt alle Kinder Affengeräusche imitieren. "Und ich kann eine Ziege!", tönt es darauf. Alle meckern. Dann sind die Hunde dran. Auf Kinoshitas Handzeichen erklingen nun Hunde- und Ziegenlaute, und zwar Soli und Tutti im Wechsel. Im Nu setzen die Kinder die Zeichen um. Katzen, Pferde, Kühe folgen. Den Höhepunkt erreicht das Vergnügen beim Kuh-Jodeln. So macht Einsingen Spaß. Und Routine, der Feind lebendigen Musizierens, kann gar nicht erst aufkommen.

Rund 200 Kinder singen derzeit im Wolfratshauser Kinderchor. Jeweils die erste und zweite, die dritte und vierte, die fünfte und sechste sowie die siebte bis zehnte Klasse proben gemeinsam. Als Kinoshita den Vorgängerchor 1989 übernahm, hatte er um die 20 Sänger. Sein oberstes Prinzip lautet: "Keine Auslese." Das heißt, jeder, der mitsingen möchte, darf kommen. In der ersten und zweiten Klasse gehe es schon noch kreuz und quer, sagt er. Den meisten Kindern fehle die Übung: "Zu hören und über das Gehör zu steuern, was man von sich gibt, das muss von vielen erst einmal erlernt werden", erklärt der Chorleiter, der selber Flöte und Gesang studiert hat, nicht aber Chorleitung. Diese Kenntnisse hat er sich weitgehend autodidaktisch angeeignet. Vielleicht setzt er gerade deshalb in seiner Probenarbeit auf das Prinzip des Zuhörens und Nachahmens. Und zwar innerhalb der Kindergruppe selbst: Durch die gemischte Klassenverteilung hat immer die Hälfte der Kinder einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung, von dem die jeweils Jüngeren profitieren.

In dieser Probe läuft das so ab: Die Viertklässler tragen ein Lied vor, das sie im vorigen Schuljahr erlernt haben. Die Drittklässler hören zu. "Und wenn ihr es verstanden habt, singt einfach mit!" Es ist beeindruckend, wie sich die Älteren bemühen, deutlich akzentuiert zu singen, und wie die Kleineren begierig aufschnappen, was sie hören. Nach kurzer Zeit schon singen wirklich alle. "Wer kann's schon?", fragt Kinoshita in die Runde. Und tatsächlich tragen einzelne Kinder mit Freude und Stolz solistisch das Lied vor, das sie gerade gelernt haben. Klappt etwas noch nicht ganz, korrigiert der Chorleiter nicht selbst, sondern lässt es eines der Kinder vormachen. "Das war gut. Ihr seid toll! Wisst ihr das?" singt er nun auf die Melodie des gerade gelernten Liedes.

"Entscheidend für das Gelingen ist die Motivation", erklärt Kinoshita. Wenn ein Kind gerne singen wolle, werde es so lange individuell gefördert, bis ihm das auch gelinge. Nur wenige stiegen wieder aus. Dass er es meisterlich versteht, die Freude am Singen zu wecken, beweist auch die Tatsache, dass sich immer wieder Gesangsensembles aus dem Chor heraus gebildet haben. Zu den erfolgreichsten gehörte Sound Affaire, in dem auch zwei seiner eigenen Kinder mitgesungen haben. "Leider hat es die Mitglieder nun studienbedingt in alle Winde zerstreut", sagt er.

Die Arbeit mit Kindern liegt ihm, das hatte er schon entdeckt, als er selbst noch die Deutsche Schule in Tokio besuchte: "Dort sind alle vom Kindergartenalter bis zum Abitur zusammen", erzählt er. "Da habe ich festgestellt, dass ich einen guten Zugang zu den Jüngeren habe." Nach dem Studium in Tokio und Köln/Aachen arbeitete er als Stimmbildner beim Tölzer Knabenchor. Dabei wurde ihm klar, dass er gerne einen eigenen Weg entwickeln wollte. In Wolfratshausen wurde ihm diese Möglichkeit gegeben.

"Singen ist eine Form des Ausdrucks, die ohne Empathie nicht funktioniert", sagt er. In unserer Gesellschaft liege dies im Argen. Überall gebe es einen Verdrängungswettbewerb: in der Schule, im Studium, im Beruf. Dabei sei der Mensch als mitfühlendes Wesen angelegt. "Miteinander zu singen bedeutet eine intuitive Kontaktaufnahme. Das entfaltet menschliche Stärken." Den Umgang mit Kindern empfindet er wie einen Blick in den Spiegel: "Man bekommt immer eine unmittelbare, unverstellte Rückmeldung." Deshalb hat er sich auf die Arbeit mit Kindern spezialisiert und eine Ausbildung zum Musiktherapeuten gemacht. Diese Fähigkeiten lässt er in die normale Chorarbeit einfließen.

Zum Ende der Probe spielt er auf dem Klavier: Zu lauter, hämmernder Musik entfalten die Kinder wilde Bewegungsspiele. Bricht die Musik ab, erstarren sie - eine Übung, die als "Freezing" auch aus dem Impro-Theater bekannt ist. Zu zarter, leiser Musik bewegen sich die kleinen Sänger dann in Zeitlupe ganz vorsichtig durch den Raum. Dann ist die Stunde um. Große Verabschiedung! Dass alle hier zur nächsten Probe mit Freude wiederkommen, ist gewiss.

Kinderchor Wolfratshausen, Sonntag, 4. Dezember, 16 Uhr, "Sternstunden"-Konzert, Loisachhalle; weitere Mitwirkende sind die Münsinger Sängerinnen, der Dreigesang Eveline Gerd Gottfried, das Deininger Harfentrio, die Münsinger Turmbläser und der Wolfratshauser Schützenchor

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