Asylhilfe-Koordinatorin:"Menschen als Menschen sehen"

Die Asylhilfe-Koordinatorin in Wolfratshausen, Ines Lobenstein, warnt davor, Nationalitäten in den Vordergrund zu stellen. Die Atmosphäre am jüngsten CSU-Stammtisch hat sie sehr erschreckt.

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Asylhilfe-Koordinatorin: Ines Lobenstein mit zwei Flüchtlingskindern auf der ersten Weihnachtsfeier des vor zehn Jahren gegründeten Asylhelferkreises.

Ines Lobenstein mit zwei Flüchtlingskindern auf der ersten Weihnachtsfeier des vor zehn Jahren gegründeten Asylhelferkreises.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Erst aufgrund der Vorfälle in der Silvesternacht in Köln sei es möglich, offen über das Thema Asyl zu sprechen. Das hatte jüngst der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer, in Wolfratshausen gesagt. Doch nicht nur überregionale CSU-Politiker nutzen die propagierte Offenheit, den Ton zu verschärfen. Ein Anwesender des Wolfratshauser CSU-Stammtisches forderte sogar "Abschiebungen live im TV, zur Abschreckung". Doch wer direkt, persönlich und täglich mit Asylbewerbern zu tun hat wie Ines Lobenstein, setzt lieber auf ein Miteinander statt Gegeneinander.

SZ: Frau Lobenstein, Sie waren als Gast zum CSU-Stammtisch eingeladen, wie empfanden Sie die Debatte dort?

Ines Lobenstein: Sagen wir es mal so, es war kein konstruktiver Abend, und was ich da gehört habe, hat mich teilweise sehr erschreckt, weil man bei manchen Wortmeldungen den Eindruck gewinnen konnte, die Vorfälle in Köln werden auch dazu benutzt, Vorurteile zu belegen.

Sprechen Sie mit den Asylbewerbern in Wolfratshausen über das, was in Köln passiert ist?

Natürlich. Sie waren alle sehr betroffen und sagen ganz klar, so etwas geht nicht. Sie wissen, wie die Regeln sind, wenn man als Asylbewerber nach Deutschland kommt, und sie wissen, man muss sich dran halten. Nur mit einigen wenigen kommt man nicht ganz so leicht ins Gespräch darüber, auch weil sie sich schämen für ihre Landsleute. Das kann ich verstehen, wenn ich irgendwo im Ausland wäre und dann verhalten sich Deutsche daneben, dann senke ich auch meinen Kopf und denke, oh Mensch, ich bin nicht so.

Sind Sie schon irgendwann einmal von Asylbewerbern respektlos behandelt worden oder gar drangsaliert, weil Sie eine Frau sind?

Ich habe so etwas wirklich noch nicht erlebt. Ich will nicht sagen, dass es nie passieren wird, aber noch kam so etwas nicht vor und bei den vielen anderen Helfern auch nicht. Und wenn, dann würden wir offensiv mit dem Thema umgehen.

Warum läuft es in Wolfratshausen ruhig?

Wir hatten natürlich das große Glück, dass wir die Asylbewerber sukzessive bekommen haben. Erst 15, dann 30, derzeit 150 in 14 Unterkünften, also dezentral verteilt. Und wir haben einen großen Helferkreis mit unzähligen Angeboten. Das ermöglicht gute Integration.

Bei diesen Zahlen wird es aber nicht bleiben, Wolfratshausen erwartet in den kommenden Wochen ja noch einmal 150 Asylbewerber.

Ja. Ich verstehe auch manche Ängste. Auch ich kenne diejenigen, die kommen werden, noch nicht und kann sie nicht einschätzen. Aber das gleiche Gefühl habe ich, wenn ins Obdachlosenheim Neue kommen. Das mache ich nicht an Nationalitäten fest, sympathische und nicht so sympathische Menschen gibt es überall.

Wie gehen Sie mit Unwägbarkeiten um?

Meine Strategie ist: hingehen, kennenlernen. Ich will wissen, was sind das für Leute, und sehe dann, wie ich handle.

Das braucht Kraft, die sicher auch nicht unerschöpflich ist.

Klar, auch ich habe Grenzen, Ängste und Fragen wie viele andere, etwa, wann endet es? Wie werden wir mit der Masse fertig? Integration funktioniert, wenn wir überschaubare Zahlen haben und wenn man weiß, mit wem man arbeitet. Jetzt kenne ich jeden der Asylbewerber und jeden Helfer, aber bei 700 wird es aufhören.

Die Helferin

Ines Lobenstein wurde in Halle an der Saale geboren und ist Sozialpädagogin. Seit 13 Jahren ist Lobenstein in der Caritas-Außenstelle Wolfratshausen tätig, wo sie die Wohnungslosenhilfe, das Obdachlosenheim und die Wärmestube betreut. Zudem engagiert sich die 49-Jährige seit mehr als drei Jahren ehrenamtlich als Koordinatorin der Flüchtlingshelfer der Asylhilfe Wolfratshausen und als Vorsitzende des Helferkreises Wolfratshausen, der auch das Asylzentrum im Obermarkt 7 betreibt. Lobenstein ist Ehefrau und Mutter dreier Kinder und kam vor 15 Jahren "der Liebe wegen nach Wolfratshausen". cjk

Das klingt nach einer Obergrenze, wie die CSU sie fordert.

Nicht dass wir sie setzen, sondern dass sie sich ergibt, wäre das Optimum. Dass die Weltlage wieder soweit ins Gleichgewicht kommt, dass Menschen erst gar nicht fliehen müssen. Dafür sollte sich die Politik einsetzen: die Ursachen an der Wurzel packen, nicht das Ergebnis verurteilen. Ich möchte keine Abschiebungen im Fernsehen sehen. Und ich glaube auch nicht, dass Leitkulturen gesetzt oder Gesetze verschärft werden müssen, die bestehenden müssen nur eingehalten werden.

Was würden Sie sich von der Politik stattdessen wünschen?

Dass wir einfach überlegen, wie wir es weiterhin gut schaffen können, wie wir alle zusammenhalten können und Menschen als Menschen sehen und nicht als Nationalitäten. Ob es uns passt oder nicht, es kommen viele, und wir müssen gemeinsam Lösungen finden, wie wir damit klarkommen und gemeinsame Anstrengungen unternehmen, dass so etwas wie in Köln nicht mehr passiert.

Mit gemeinsam meinen Sie auch die Asylbewerber?

Die müssen wir mit an Bord nehmen, das Gute bündeln, um die Herausforderungen zu schaffen. Aber wenn wir alle unter Zwangsverdacht nehmen, verlieren wir die Unterstützung von ihrer Seite. Dann sind wir viel schwächer als nötig.

Wie kann das in Wolfratshausen im Alltag funktionieren?

Zum einen durch Aufklärung, und wir binden die Asylbewerber, die jetzt schon da sind, in die Hilfe mit ein. Sie können nicht nur übersetzen, sondern auch sagen, hier läuft es so und so und wir müssen uns an die Regeln halten. Dann funktioniert das Zusammenleben.

www.asylinwor.wordpress.com

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