Wolfratshausen:Alle wollen graben

Wolfratshausen: Hans Schmidt mit dem letzten Mangold. Je nach Wetter kann man bis in den späten Oktober ernten.

Hans Schmidt mit dem letzten Mangold. Je nach Wetter kann man bis in den späten Oktober ernten.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Nicht nur in den Großstädten wollen viele Gemüse wieder selbst anbauen, auch im Landkreis gibt es immer mehr Gemeinschaftsgärten - denn die versprechen nicht nur chemiefreie Produkte, sondern auch Entschleunigung

Von Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Mit den Fingern tief in der Erde zu graben, ist Hans Schmidt am liebsten. Jetzt aber ist Erntezeit, die meisten Beete sind schon abgeräumt, auch auf seiner Parzelle ist nur noch ein wenig Mangold übrig. Die Arbeit des Jahres ist getan, hier im Gemeinschaftsgarten an der Franz-Geiger-Straße. Prüfend schreitet Schmidt von Beet zu Beet, pflückt ein paar Blätter von einem Gewächs am Boden, steckt sie in den Mund und kaut. Mohrrüben seien das, sagt der 63-Jährige und deutet zu anderen grünen Stengeln hinüber: "Liebstöckel, so gut". Elf Parzellen mit etwa 50 Quadratmetern gibt es bisher im Gemeinschaftsgarten, bald aber schon sollen es 25 bis 30 sein. Denn die Nachfrage ist groß.

Früher war man froh, wenn man sich nicht mit Hacke und Schaufel plagen musste. Doch für viele ist das Gärtnern wieder erstrebenswert. In deutschen Großstädten wuchern Gemeinschaftsgärten zwischen Hochhäusern und Straßenbahngleisen, der urbane Gärtner fährt vom Büroglasbau zurück in die Natur.

Auch im Landkreis, wo Kuhweiden vielerorts die Straßen säumen und der nächste Wanderweg nie weit weg ist, gibt es immer mehr Gemeinschaftsgärten. In Gelting führt man für die bisherigen Projekte bereits Wartelisten, weil keine Parzellen mehr frei sind. Auch in Benediktbeuern, Kochel am See, Bad Tölz und Ascholding kann man gemeinsam anbauen, die Gärten vernetzen sich gerade untereinander. In Lenggries, Bad Heilbrunn und Schlehdorf sollen bald Ackerzeilen entstehen.

Wer keinen eigenen Garten hat, der ist für ein paar Quadratmeter Erde dankbar. "Etwa 25 Leute sind wir hier in Wolfratshausen, die meisten von ihnen haben Zuhause keine Möglichkeit zu gärtnern", sagt Hans Schmidt. Früher arbeitete er als Ingenieur, heute ist er im Ruhestand und Sprecher der Grünen im Stadtrat. Er selbst baut zwar auch daheim an, doch der Platz dort reicht ihm nicht - alles, was er täglich verwendet, wie Salat und Gewürze, wächst deshalb vor dem Haus; alles andere im Gemeinschaftsgarten, etwa Kartoffeln oder Zucchini. Gekocht wird je nach Ernte. "Vor zwei, drei Wochen hatten wir so viele Zucchini, da musste alle paar Tage ein anderes Rezept her", sagt Schmidt.

Auch das macht wohl den Erfolg der Gemeinschaftsgärten aus, bundesweit wie im Landkreis: Beim eigenen Anbau weiß jeder, woher sein Gemüse kommt - und das wird vielen immer wichtiger. Das Bewusstsein für regionale und biologische Produkte hat stark zugenommen und lässt selbst die Discounter ihre Regale mit Bio-Produkten befüllen. Im Gemeinschaftsgarten in Wolfratshausen sind chemische Pflanzenschutzmittel, Dünger und Umweltgifte verboten. Viele junge Familien mit kleinen Kindern bauen hier an, aber auch ältere Frauen und Männer. Wenn man sich zufällig an den Beeten trifft, trinkt man ab und an zusammen Tee, isst Kuchen, tauscht sich über die Entwicklung des Saatgutes aus. "Das macht richtig Spaß, weil sowohl blutige Anfänger dabei sind als auch erfahrene Gärtner", sagt Schmidt. Gemeinsames Garteln, das verbindet.

Schon bald wird eine syrische Flüchtlingsfamilie eine Parzelle übernehmen, der Vater war früher Bauer und kann es Schmidt zufolge kaum erwarten, endlich loszulegen. "Manchen sind die 50 Quadratmeter zu viel, er aber war fast schon enttäuscht, dass er nicht mehr bewirtschaften kann", sagt Schmidt. Das Grundstück des Gemeinschaftsgartens gehört Oberbürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW), früher hatte er es an die Walddorfschule vermietet. Doch weil die Schule nach Geretsried gezogen ist, zahlen ihm nun seit dem Frühjahr die Hobbygärtner die symbolischen 100 Euro im Jahr - erst in der zweiten Oktoberwoche haben sie offiziell einen Verein gegründet, gegärtnert aber wird schon seit Monaten.

Manche aus der Gruppe kommen jeden Abend vorbei, um nach ihren Beeten zu schauen. Nach einem langen Arbeitstag legen sie die Hände auf den Erdboden, prüfen, ob die Saat wächst. Ob genügend Wasser die Wurzeln tränkt oder ob die Pflanzen dürsten. Die Arbeit im Garten ist das Gegenteil zum schnelllebigen Alltag, in dem sekündlich neue Nachrichten am Telefon eintreffen und ein Termin den anderen hetzt. Wer pflanzt, muss warten.

Noch ein Grund, warum so viele Leute wieder gerne Zeit im Garten verbringen: "Gärtnern bedeutet Entschleunigung" sagt Hans Schmidt. Jede Stunde am Computerbildschirm sei ihm lästig. Jede Stunde im Garten aber wertvoll.

Die Initiative "Gemeinsam ackern in Lenggries" von Zivilcourage und der Kreisgruppe des Bund Naturschutz trifft sich am Donnerstag, 5. November, um 19.30 im Gasthof Neuwirt. Dabei wird der Film "Der Bauer, der das Gras wachsen hört" gezeigt und es gibt neue Informationen über das Projekt. Der Eintritt ist frei.

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