Landwirtschaftsschule:Abschied ohne Bedauern

Die Landwirtschaftsschule zieht nach mehr als 100 Jahren endgültig aus Wolfratshausen weg. In das Gebäude in der Bahnhofstraße werden vorübergehend minderjährige Flüchtlinge einziehen

Von Thekla Krausseneck, Wolfratshausen

Der Schnee bleibt auf den grauen Decken liegen, die in den beiden offenen Lastwagen auf die Möbel warten, die sie schützen sollen. Noch sind die Ladeflächen fast leer, doch die Umzugshelfer der Firma Schweinsteiger arbeiten zügig daran, das zu ändern. 1900 Umzugskartons mit Akten und Kleinzeug sind seit den Tagen kurz vor Weihnachten bereits nach Holzkirchen gewandert. Grau gekleidete Männer mit gelbem Firmen-Emblem auf den Jacken laufen die Holztreppen des zweistöckigen Gebäudes auf und ab, schleppen Schränke, Kisten, Kleinkram. Johanna Horvat, Stellvertreterin des geschäftsführenden Beamten der Landwirtschaftsschule, klopft bei Regierungsinspektor Christian Neuhierl an. Dessen altes Büro ist leergeräumt, die Schränke stehen verwaist da, nur das Telefon geht noch, und zwar ständig. "Im Wohnzimmer der Mädchen stehen noch ein Fernseher und ein Unterschrank", informiert Horvat Neuhierl zwischen zwei Anrufen. Das kommt unerwartet: Anscheinend wurden die Sachen vergessen.

Auch das Internat des Hauswirtschaftstrakts ist leer. Im Eingangsbereich riecht es nach frischer Wandfarbe, im Treppenhaus türmen sich die Stühle. In der Teeküche ist eine Uhr auf 7.30 Uhr stehen geblieben - "vielleicht als feststand, dass die Schule umzieht", sagt Horvat. Mehr als hundert Jahre bestand die Schule in Wolfratshausen. Im Obergeschoss sind die Türen verschlossen, die Betten dahinter leer. In ihnen sollen bald minderjährige Flüchtlinge schlafen, die es unbegleitet bis nach Deutschland geschafft haben. Die Landwirtschaftsschule sei für ihre Unterbringung genau der richtige Ort, sagt Horvat: "Es ist ja schon alles da."

Das Wohnzimmer der Mädchen, die in der Hauswirtschaftsschule nähen, kochen und waschen lernten, soll den Flüchtlingen als gemütlicher Aufenthaltsraum dienen. Dazu bleiben Sofa, Tisch und Bücherregale erhalten. Der Fernseher kommt nach Holzkirchen, ins neue Wohnzimmer der Schülerinnen. Die haben sich in Wolfratshausen eine kleine Bibliothek aus Fachbüchern und Belletristik zugelegt. Ein zerfleddertes Buch über Nähmaschinen steht neben einem alten Exemplar von Stephen Kings "Es". Die Bücher kommen nicht mit; sie sollten in einem Bücherbasar verkauft werden. Leider, so Horvat, war die Resonanz nicht sehr groß.

Landwirtschaftsschule: Die Mitarbeiter der Umzugsfirma Schweinsteiger haben dieser Tage viel zu schleppen - allein für die Akten brauchte es ganze 1900 Kartons.

Die Mitarbeiter der Umzugsfirma Schweinsteiger haben dieser Tage viel zu schleppen - allein für die Akten brauchte es ganze 1900 Kartons.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Lehrsaal der Hauswirtschaftlerinnen trifft Horvat auf die Köchin Annemarie Strauß. Zusammen mit Petra Hölzl hatte sie den Schülern mehr als 20 Jahre lang täglich etwas Warmes auf den Tisch gestellt. Jetzt gehe für sie eine Ära zu Ende, sagt Strauß - denn eine Küche wie die in Wolfratshausen wird es am neuen Standort nicht geben. Um Abschied zu nehmen, geht Strauß ein letztes Mal durchs Internat. In der Lehrküche liegen Töpfe, Besteck, Kochlöffel und Rührgeräte auf blitzsauberen Anrichten, wie bereit, um abgeholt zu werden. "Es war so ein schönes Arbeiten", sinniert Strauß. "Frisch gekocht auf den Tisch - wo gibt es so etwas heute noch?" Die Küche sei zwar einfach und bürgerlich, die Schülerschaft damit aber sehr zufrieden gewesen, sagt Horvat. In Holzkirchen wird ein Caterer die Versorgung übernehmen. Vorausgesetzt, die Probleme lassen sich regeln, sagt Neuhierl. Denn der Caterer verlangt, dass die Gerichte zwei Wochen im Voraus angemeldet werden - wer krank ist, muss mindestens eine Mahlzeit trotzdem bezahlen. In Wolfratshausen war das anders. "Da ging man morgens um zehn hin und trug sich ein."

Am Nachmittag ist in den Lastwagen vor der Schule kaum noch Platz für eine einzige Topfpflanze. Schränke, Regale und Schreibtische stehen Kante an Kante, halb verschwunden unter den grauen Decken, auf denen sich schon wieder neuer Schnee sammelt. Die Umzugshelfer treffen sich vor dem Haupteingang für eine kleine Pause vor der Fahrt nach Holzkirchen. Für Neuhierl wird der Stress noch eine Weile anhalten. Sein Handy klingelt. Es sind noch mehr Dinge aufgetaucht, die mit ins Grüne Zentrum sollen. Dreiviertel eines Lastwagens voll, sagt ihm durchs Handy der Chef der Umzugsfirma. Der gibt seinen Mitarbeitern an Silvester frei, und der kommende Montag ist bereits für den Umzug des Forstreviers Königsdorf geplant, das in seine Heimatgemeinde zieht. "Da müssen wir schauen", sagt Neuhierl abwägend. Bleibt nur der Freitag. Aus dem Konzept bringen lässt er sich nicht: Bei Umzügen passiere immer etwas Unerwartetes.

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