Wie früher:Harte Arbeit, schöne Erinnerungen

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Zeitzeugen berichten, wie sie einst in Benediktbeuern im Stall oder in der Schreinerei tätig waren - und von den Abenteuern, die trotzdem möglich waren

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Sechs Stiere standen einst im Stall des Benediktbeurer Klosters. Der gefürchtetste von allen war Wotan. Und ausgerechnet der büxte aus. Sofort wurden die Kinder in die Wohnungen gerufen. Doch eine mutige Frau steckte sich Brot in die Tasche und fing das wilde Tier ein, ohne dass jemand zu Schaden kam. Am Nasenring führte sie Wotan in den Stall zurück. Noch 60 Jahre später klingt Bewunderung für diese Tat an, als im Erzähl-Café davon berichtet wird. "Als im Maierhof noch Kühe, Ochsen und Pferde lebten", so lautet das Thema, zu dem das Zentrum für Umwelt und Kultur (ZUK) aus Anlass des 300-jährigen Bestehens des Maierhofs eingeladen hat. "Erzählcafé" heißt, es gibt Kaffee und Kuchen, während Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an den früheren Landwirtschaftsbetrieb im Kloster berichten.

Kaspar Kohlhauf

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der pensionierte Postbeamte, 75, lebt in der Jachenau. Von September 1958 bis August 1960 hat er eine Ausbildung in der Landwirtschaft des Klosters absolviert und im Lehrlingsheim gewohnt. Er hat 60 Jahre später noch viele positive Erinnerungen: "Es war eine schöne Zeit! Hier hat man vor allem gelernt, fest zu arbeiten." Im ersten Lehrjahr gab es übrigens 30, im zweiten 45 Mark Lehrgeld.

Franz Bauer

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Zimmerer, 86, stammt aus Ried, wo er bis heute lebt. Im wenige Kilometer entfernten Kloster Benediktbeuern hat er jahrzehntelang Zimmererarbeiten verrichtet. Er kam daher regelmäßig vorbei, hat aber nie auf dem Klosterareal gelebt.

Hans Klett

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Klett, 77, absolvierte in den Jahren 1956 bis 1959 eine Schreinerlehre im Kloster. Während dieser Zeit wohnte er auf dem Klostergelände im Lehrlingsheim. Dort herrschten strenge Sitten; Ausgang wurde auf Anfrage zugestanden oder auch abgelehnt. Dennoch schwärmt Klett von einer "wunderschönen Zeit". Der Kontakt mit den Salesianern sei einfach bereichernd gewesen: "Die waren sehr nett zu uns Lehrlingen." Nach Abschluss der Ausbildung hat er sich als Schreiner im Klosterdorf niedergelassen. Dort lebt er nach wie vor.

Toni Öttl

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(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Fernmeldetechniker, 63, lebt in Hohenpeißenberg. Er ist in Benediktbeuern geboren und im Kloster aufgewachsen. Sein Großvater war für die Pferde des Klosters zuständig, weshalb die ganze Familie dort wohnte. Seine Mutter besorgte den Hühnerhof (und hat todesmutig den ausgebüxten Stier eingefangen). Toni arbeitete in der Molkerei. "Von der fünften bis zur neunten Klasse, jeden Tag!", betont er. Als Lohn gab es eine Mark am Tag. 1979 hat er nach Hohenpeißenberg "weggeheiratet". Seine schönste Erinnerung an die Klosterjahre ist die Brotzeit am Samstag: "Das war ein Privileg! Wir durften uns frische Semmeln beim Bäcker, Wurst beim Metzger und sogar eine Limo beim Pater Cornelius holen. Und dann haben wir uns damit an den Bach gesetzt und die Füße neig'hängt ..." sna/Fotos: Harry Wolfsbauer

Die Besucher strömen in Scharen hinzu. Das zunächst als Versammlungsort ins Auge gefasste gemütliche Stüberl des Zentrums für Umwelt und Kultur (ZUK) wurde bereits im Vorfeld gegen einen größeren Tagungsraum eingetauscht, dennoch übertrifft die Resonanz alle Erwartungen. Erfreut sieht sich ZUK-Bildungsreferent Martin Blösl, der das Gespräch moderieren wird, vor die Aufgabe gestellt, immer wieder neue Stühle zu organisieren. Im Jubiläumsjahr bietet das im Maierhofs beheimatete ZUK eine ganze Reihe von "Erzähl-Cafés" an, um der bewegten Geschichte des imposanten Gebäudes nachzuspüren. Doch das heutige Thema stößt auf besonderes Interesse.

Bis 1979 war der Maierhof Sitz der großen klösterlichen Landwirtschaft. Und so erzählen nicht nur die geladenen Zeitzeugen, sondern es entsteht ein lebhafter Austausch mit Besuchern, die ihre eigenen Erinnerungen beisteuern.

Toni Öttl verlebte seine ganze Kindheit auf dem Hof. Seine Mutter war die mutige Frau, die den Stier bezwang. Wer ihm zuhört, gewinnt den Eindruck, für die Kinder sei der große Landwirtschaftsbetrieb ein einziger, gigantischer Abenteuerspielplatz gewesen. Die Wiesen und Weiden ringsum, der Klosterweiher, die vielen Ställe und Scheunen, in die man zwar nicht hätte gehen dürfen, es aber trotzdem tat. Eine Besucherin steuert eine traumatische Erinnerung bei: Eine Spielgefährtin, gerade 13 Jahre alt, kam bei einem solchen Scheunenabenteuer ums Leben. Sie fiel in eine Häckselmaschine.

Der Maierhof ist 300 Jahre alt. (Foto: privat/oh)

Auch die Tatsache, dass von den Kindern Mitarbeit vor und nach der Schule erwartet wurde, relativiert die Bullerbü-Vorstellung vom wilden, freien Leben. Eine Besucherin erzählt, dass sie 1946 als Flüchtlingskind nach Benediktbeuern kam und in der Früh und am Nachmittag die Kühe hüten musste. "Und es gab keine Zäune!" Als Lohn erhielt sie Brot, Butter und Milch.

Mit Kastaniensammeln konnten sich die Kinder ein wenig Taschengeld verdienen. "Denn zu Hause gab's keins", erzählt Öttl und verrät den Trick der Jungs, die noch grünen Kastanien vom Baum zu schütteln und unten in den Sack zu füllen, obenauf dann die reifen, braunen Früchte zu legen. "Aber wehe, man wurde erwischt!" Öttl hatte zudem eine "Festanstellung" in der Molkerei. Die Milch der gut 100 Klosterkühe wurde erst gefiltert, dann im Erhitzer sterilisiert. Dabei musste man die Temperatur gut im Auge behalten, die 98 Grad nicht übersteigen durfte. Ließ man die Milch unachtsamerweise "anbrennen", gab's eine Watschn. Nach dem Erhitzen musste möglichst schnell runtergekühlt werden, erst mit kaltem Wasser, dann im Kompressor mit Eis auf vier Grad. Sodann wurde die Milch in 40-Liter-Kannen abgefüllt, welche die Burschen in den Verkaufsraum wuchten mussten.

Toni Öttl war als junger Bub auf dem Pferdewagen unterwegs, die Tiere gehörten zum Hof. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Neben den Kühen hielt das Kloster Stiere (die künstliche Besamung wurde in den Sechzigerjahren erst eingeführt) und Ochsen als Arbeitstiere. Kaspar Kohlhauf erinnert sich, wie er mit einigen anderen Lehrlingen der Landwirtschaft einmal eine Kuh nach Häusern bringen sollte. "Wir haben ihr Kalb auf eine Schubkarre gesetzt und vorausgefahren; da lief sie hinterher. Bis ein großer Hund auftauchte ..." Da waren Hund und Kuh über alle Berge.

Das Melken sei anfangs sehr anstrengend gewesen. Bis man in Übung gekommen sei, habe man nur drei bis vier Tiere geschafft, erzählt Kohlhauf. Und vor dem Melken war der Stall auszumisten; erst nach der Stallarbeit gab es Frühstück für die Lehrlinge, deren Tag um sechs Uhr früh mit einer Andacht begann.

Hans Klett schildert einen typischen Tag als Schreinerlehrling: Messe, Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Arbeit, Abendessen, Fachstudium, Abendgebet. "Und dann musste Stillschweigen herrschen bis zur Morgenmesse!" Trotz der strengen Zucht standen die Lehrlinge mit den Salesianer-Patern offenbar auf gutem Fuß. Als Klett für einen erkrankten Pater, für dessen Ofenheizung er Wurzeln - die nicht so gut brennen - hätte sammeln sollen, gutes Brennholz aus einem Stadl klaute und der das erfuhr, meinte er: "Der Herrgott wird's uns verzeihen..."

Als eine Gruppe von Lehrlingen um Erlaubnis fragte, sich "Sissy, die junge Kaiserin" im Kino anzuschauen, ging das den Patres aber doch zu weit. Geschickter Schachzug: Die Nachfrage beim Direktor machte den Ausgang doch noch möglich. Doch um 22 Uhr wurden die Klosterpforten verschlossen. Dauerte das Kino länger, musste der Türwächter mit Stumpen bestochen werden.

Franz Bauer als ältester Zeitzeuge erinnert sich sogar noch an Kriegszeiten: "Da war hier im Maierhof der Arbeitsdienst eingerichtet. Und Gefangene, vor allem Franzosen und Serben, waren im Einsatz." Tagsüber mussten sie auf den umliegenden Bauernhöfen arbeiten. Dazu wurden sie von Soldaten abgeholt und wieder gebracht, um ihre Flucht zu verhindern. Auch an den Absturz eines amerikanischen Flugzeugs, nur 100 Meter vom Kloster entfernt, kann sich Bauer erinnern. Dass das Kloster seine Ochsen den Bauern ringsum kostenlos auslieh, dafür ist er den Salesianern noch heute dankbar. Sein Vater war im Krieg gefallen; der Schulbub musste in der Landwirtschaft mit anpacken. "Wenn ich dann mittags aus der Schule kam, um einen Ochsen zu holen, waren die besten leider schon weg!"

Spektakuläre Erlebnisse wie Blitzeinschläge und Brände sind vielen Anwesenden gleichermaßen im Gedächtnis. Wie auch der große Ausverkauf des landwirtschaftlichen Betriebs 1979, als der ganze Viehbestand versteigert wurde.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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