Wer es in den Kreistag geschafft hat:"Eine ganz gezielte Persönlichkeitswahl"

Von überraschten Kreisräten, durcheinandergewirbelten Listen, zufriedenen Gewinnern und dem mangelnden Gestaltungswillen der jungen Leute, von denen zu wenige zur Wahl gehen.

Von Felicitas Amler

Kommunalwahl  2014

Kumulieren, panaschieren: Mit einem Scanner werden die Ergebnisse der Wahl erfasst.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Zweimal schon hat Franz Wirtensohn auf Platz 60 - dem letzten Listenplatz - der CSU für den Kreistag kandidiert. Immer hat der Geltinger Landwirt und Geretsrieder Stadtrat seiner Partei damit viele Stimmen gebracht, ohne dass er in den Kreistag gewählt wurde, und genau so wollte er es. Aber diesmal hat es ihn erwischt: Er ist von 60 auf 17 vorgehäufelt worden und damit einer der 23 neuen CSU-Kreisräte. Lachend erzählt Wirtensohn, wie er das erfahren habe: Er saß auf seinem Traktor, da läutete immerzu sein Handy, Parteifreunde begrüßten ihn mit "Grüß Gott, Herr Kreisrat", und er dachte, sie wollten ihn veralbern: "I hab's wirklich net g'laubt." Ob er das Amt annimmt? Natürlich, sagt er, Ehrensache "bei so einem großen Vertrauen".

Insgesamt allerdings ist das Vertrauen der Wähler in die CSU im Landkreis zurückgegangen, sie hat einen Sitz weniger als nach der Wahl vor sechs Jahren. Und das sind nun schon zwölf Sitze weniger als zu ihren besten Zeiten 1978. Der CSU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Martin Bachhuber sagte am Dienstag, die Wahlanalyse mit Vorstand und Ortsverbänden stehe zwar noch aus. Er persönlich glaube aber, dass das schlechte Abschneiden mit den "nicht ganz guten Startbedingungen" zu tun habe. Die CSU hatte ursprünglich den Lenggrieser Bürgermeister Werner Weindl als Landratskandidaten präsentiert, der dann für alle überraschend zurückzog. "Das hat uns in eine Situation gebracht, wo wir uns erst wieder finden mussten", sagt der Kreisvorsitzende. Auf Landratskandidatin Sabine Lorenz, die 23,4 Prozent erzielte, lässt Bachhuber nichts kommen. Sie habe einen "unwahrscheinlich leidenschaftlichen und engagierten Wahlkampf geführt".

Hingegen habe die Affäre des Landrats Kreidl im Nachbar-Landkreis Miesbach Wähler verprellt. Auf die Frage, ob die CSU Lorenz als Landrats-Stellvertreterin vorschlagen wird, sagt Bachhuber, er rechne fest damit, dass "der Name ins Spiel gebracht wird". Als wichtige Themen des nächsten Kreistags nennt er die Erhaltung des Kreispflegeheims in Lenggries und den Schulturnhallenbau in Geretsried.

Die Gewinner der Kreistagswahl sind die Grünen. Deren Strategie, Klaus Koch wieder als Landratskandidaten aufzustellen und damit ein Zugpferd für die Kreistagsliste zu haben, ist aufgegangen: Die Grünen haben sich um drei Sitze auf neun verbessert. Am stärksten nach oben gehäufelt wurde hier der Geretsrieder Volker Witte (von Platz 36 auf 7). Koch, der mit 19 589 Stimmen deutlich vor der zweitbesten Grünen Annelies Wiedenbauer-Schmid (11 071 Stimmen) liegt, ist zufrieden. Seine Partei habe beide Kriterien erfüllt, die er für wahlentscheidend hält: eine intensive, fachliche, auch mal streitige Programmarbeit und vielfachen Dialog mit den Bürgern. Die seien sehr dankbar, sich in bestimmten Themenbereichen auch kommunalpolitisch vertreten zu wissen, sagt er. Die Grünen träten massiv für die Energiewende ein: "Das liegt den Leuten am Herzen." Seine Partei nehme dies als Auftrag mit in die Kreistagsarbeit. Dort werde es darum gehen, den Klimamanager zu installieren und das Ziel einer Energiewende im Landkreis bis 2035 in Jahresabschnitte aufzuteilen. Die Grünen werden, so kündigt er an, jährliche Bilanzen einfordern.

So eilig hat es Franz Hartmann (Freie Unabhängige Wähler, FUW) mit der Energiewende nicht. Der Leiter des Gesundheitsamts im Tölzer Landratsamt hat für die FUW einen zweiten Sitz (zusätzlich zum Münsinger Matthias Richter-Turtur, der wiedergewählt wurde) geholt. Die Energiewende nennt auch er als wichtiges Ziel, aber seiner Ansicht nach "pressiert's nicht", so dass man "vernünftig und mit Augenmaß" vorgehen könne. Hartmann muss, da er Staatsbeamter ist, seine berufliche Stelle im Landratsamt aufgeben, wenn er das Kreistagsmandat annimmt. Darauf ist er vorbereitet. Er sei 63 Jahre alt, sagt er: "Passt schon."

"Wen kenne ich? Wem traue ich?" Dies seien offenbar die Maßstäbe der Wähler, sagt Landrat Josef Niedermaier, Kreisvorsitzender der Freien Wähler (FW). Man sehe dies deutlich daran, wie die Listen teils durcheinandergewirbelt wurden: "Eine ganz gezielte Personalwahl." Die FW, die einen Sitz dazugewonnen haben, können zufrieden sein. Allerdings stellt der Landrat fest, dass hier wie bei den anderen Fraktionen "die Generation 50 plus" vorherrsche. Es fehle an "Jungen, die auch mal provozieren". Deren Sichtweise sei in der Kreistagspolitik genauso nötig wie jene der Senioren. Aber die Jungen gingen nicht so leicht zum Wählen. "Die gratulieren mir am Wahlabend um 20 Uhr zur Wahl - und haben selbst ihre Stimme nicht abgegeben." Er wisse auch nicht, wie man dies ändern könne. Es fehle "eine Systemunzufriedenheit" und der Gestaltungswille. Nach einigem Nachdenken sagt Niedermaier: "Ein Stück Dekadenz ist schon dabei."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: