Weihnachtsfeier:Unterm Christbaum vereint

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Hilla Christians aus Schäftlarn und die Nigerianerin Sarah Eghianruwa feiern zum zweiten Mal gemeinsam Weihnachten - heuer vielleicht sogar zu fünf

Von Cristina Marina, Schäftlarn

Voriges Jahr haben die Frauen zum ersten Mal Heiligabend miteinander verbracht: Hilla Christians aus Niederbayern und Sarah Eghianruwa aus Nigeria. Beide wohnten damals in Pullach; beide sind inzwischen weggezogen. Eine aus freien Stücken, die andere unter Zwang. Trotzdem feiern sie heuer wieder Heiligabend zusammen.

Getroffen haben sich die Frauen im September 2015 - vier Monate zuvor war Eghianruwa in Deutschland angekommen. Im Juli kam ihre Tochter zur Welt. Christians engagierte sich im Pullacher Asylhelferkreis. Als sie die junge Mutter kennenlernte, lud Christians sie zu einer ihrer "Baby-Gruppen" ein. Christians arbeitet als Familientherapeutin, berät Eltern und leitet sogenannte Eltern-Kind-Gruppen an, kleine Runden, in denen frischgebackene Eltern sich in ihrer neuen Rolle miteinander austauschen. Eghianruwa sprach da noch kein Deutsch - neben ihrer Muttersprache Edo spricht die 31-Jährige fließend Englisch und Italienisch -, doch einige Frauen aus Christians Babygruppe waren selbst des Englischen mächtig. Diese trauten sich von Woche zu Woche zunehmend, mit Eghianruwa ins Gespräch zu kommen, sie etwas zu fragen, erzählt Christians. Eghianruwa traute sich mit der Zeit auch immer mehr zu antworten.

Fünf Tage vor Weihnachten zog Christians Mann aus. "Es war alles in Ordnung so", sagt Hilla Christians heute. Ihre mittlerweile großen Kinder wollten erst einmal für sich Weihnachten feiern. "Auch um die neue Situation zu verarbeiten." Christians stellte fest, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit "an Weihnachten frei hatte." Sie dachte an Eghianruwa, der es aus anderen Gründen ähnlich ging.

Sarah Eghianruwa gehört zu den Christen in Nigeria, die mit etwa 45 Prozent die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes ausmachen. Zu Weihnachten gehöre für sie, in die Kirche zu gehen, sagt sie. Doch in Pullach enttäuschte sie das sehr. Denn anders als zu Hause in Nigeria sprach sie in der hiesigen Kirche niemand an. "Als würde mich dort keiner kennen", sagt sie; in ihrer Stimme liegt Verwunderung. Über ihre Flucht spricht Eghianruwa erst einmal nicht. Sie befindet sich im Asylverfahren, wie es auf Beamtendeutsch heißt. Ob sie gute Chancen hat, bleiben zu dürfen? Das weiß Hilla Christians auch nicht. Als sie beim Landratsamt einmal nachfragte, sei sie von dort "zurückgepfiffen" worden, sie möge sich nicht in deren Angelegenheiten einmischen.

Als Sarah Eghianruwa nur wenig Zeit nach ihrer Ankunft in Deutschland ihre Tochter zur Welt brachte, gab sie ihr den Namen Divine - die Göttliche. Divine ist heute zweieinhalb Jahre alt. In der Unterkunft in Gräfelfing, wo die Familie seit einem Jahr lebt, trägt sie einen bunten Norwegerpulli und eine Kinderleggins mit grauem Leomuster; ihr Haar ist in Minizöpfen geflochten. Wenn Hilla Christians sie besuchen kommt, läuft sie ihr in die Arme und die beiden spielen miteinander. "Nonna", so nennt Eghianruwa Christians inzwischen: Das italienische Wort für "Oma".

Mit 54 Jahren gehört Hilla Christians allerdings zum Schlag der jungen Omas. Die Familie Eghianruwa habe sie "adoptiert", erzählt sie. Den Ausschlag gab, dass Sarah Eghianruwa im vergangenen Jahr noch einmal schwanger wurde. Der Vater - derselbe wie beim ersten Kind - durfte aus der Flüchtlingsunterkunft in München noch nicht zu ihr ziehen. Stattdessen musste Sarah Eghianruwa ihre Wohnung in Pullach verlassen, obwohl sie dort Anschluss gefunden hatte und sich gut aufgehoben fühlte. Der Vermieter hatte dennoch eigenen Bedarf gemeldet, also wurde Eghianruwa nach Gräfelfing "versetzt", wie Christians es nennt. Als alleinerziehende Schwangere sei sie dort einsam und auf sich allein gestellt gewesen, "also habe ich sie gefragt, ob sie wollte, dass ich bei der Geburt dabei bin", erzählt Christians. Sarah Eghianruwa wollte es - ihre eigene Mutter ist vor Jahren verstorben. Seitdem trägt Hilla Christians den offiziellen Oma-Status für Divine und ihre sieben Monate alte Schwester Lilian. In der neuen Unterkunft in Gräfelfing fühlt sich Eghianruwa nach einem Jahr nicht angekommen. Auch die Nachbarn haben sie und die Kinder noch nicht integriert, erzählt sie. Die meisten seien muslimischer Herkunft und einige unfreundlich zu ihr, der einzigen christlichen Schwarzen im Haus. Sie sei indessen froh, dass Divine in den Kindergarten geht, "dass sie tagsüber etwas anderes sehen darf, als immer nur dieses kleine Zimmer". Angebote für Eltern wie beispielsweise Deutschkurse seien in Gräfelfing weitaus weniger vorhanden als in Pullach.

Heiligabend im vergangenen Jahr war es "wunderschön", berichtet Eghianruwa. Sie haben bei Christians in der alten Wohnung in Pullach gefeiert. Die Kleine half, den Christbaum zu schmücken, Eghianruwa selbst kochte ein typisches Landesgericht aus Nigeria: Eintopf mit Reis, Zwiebeln, Tomaten und Hühnchen. "Sarah ist eine richtig gute Köchin", berichtet Christians. Weihnachtslieder ertönten, die Frauen drei verschiedener Generationen tanzten zu der Musik, schmückten sich mit der Weihnachtsdekoration. Es sei sehr lustig gewesen, erinnert sich Eghianruwa.

Hilla Christians ist eine lebenslustige, offene, energische Frau mit einem besonderen Sinn für Menschen und ihre Kulturen, was sicher ihrer langjährigen Arbeit als Coach und systemische Beraterin mit zu verdanken ist. Dieses Jahr feiern sie Heiligabend in ihrer "schönen neuen Wohnung" in Schäftlarn. Diesmal allerdings mindestens zu viert, denn nicht nur Baby Lilian ist als neues Familienmitglied hinzugekommen, sondern auch der Vater der Kinder durfte inzwischen zu seiner Familie ziehen. Möglicherweise feiert er heuer mit. Und am ersten Weihnachtstag feiert Christians mit ihren erwachsenen Kindern Weihnachten.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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