Warum ein Händler aufgibt:Das Spiel ist aus

Ende März muss Harald Auracher sein Geschäft in Geretsried für immer zusperren. Das Weihnachtsgeschäft war schlecht, Lego liefert nicht - und Kunden lassen sich beraten und bestellen dann im Internet

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Es sind Harald Aurachers letzte Tage in der "Spielzeug Insel": Ende März muss der 42-jährige Geretsrieder für immer zusperren. Mehr als sechs Jahre lang hat er am Tresen hinter der Kasse gestanden, mit Blick auf seinen eigenen kleinen Spielzeugladen: Auf den Regalen reihen sich die Brettspiele aneinander, es gibt Fimo zu kaufen, Plüschtiere und Puppen, Wände voller Puzzle-Kartons und Modelltraktoren zum Zusammenbauen. "Fünfzig Prozent auf alles", versprechen leuchtende Plakate, die Auracher ins Schaufenster geklebt hat. Der Abverkauf hat begonnen, die Regale leeren sich. "Ich bin froh, wenn es vorbei ist", sagt Auracher. "Aber nicht froh, dass ich zusperren muss."

Spielzeuginsel Geretsried

Die Regale leeren sich: Bei der "Spielzeug Insel" gibt es 50 Prozent Rabatt auf alles.

(Foto: Manfred Neubauer)

Eine anstrengende Zeit geht für Auracher zu Ende. Bis 2010 hatte er seinen Laden noch am Karl-Lederer-Platz, in jenem Gebäude, in dem heute das Bekleidungsgeschäft Ernsting's Family seinen Sitz hat. Nach nur zwei Jahren am alten Standort musste Auracher ausziehen - das Haus sollte saniert werden, warten kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Also musste er sich einen neuen Laden suchen. Den fand er nur etwa 100 Meter weiter am Südende der Egerlandstraße, eigentlich ein Katzensprung, doch für Auracher ein schwerer Schlag. Die Miete war doppelt so hoch wie in seinem alten Laden, die Laufkundschaft fiel praktisch über Nacht weg. Reich hatte ihn der Laden schon vorher nicht gemacht, sagt Auracher. Doch seit seinem Umzug hatte er mit einem Verlustgeschäft zu kämpfen.

Jedes Jahr sterben Läden

Kleine Spielwarengeschäfte geraten unter Druck. Immer mehr geben auf. "Der Online-Handel wirkt wie ein Brandbeschleuniger", sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern. Nach aktuellen Verbandsschätzungen existieren in ganz Bayern noch mehr als 600 Spielwarengeschäfte. Die Sparte setzt bayernweit knapp 700 Millionen Euro um. Darin ist allerdings der Online-Handel miteingeschlossen. Jedes Jahr geben etwa fünf Prozent aller Fachspielwarengeschäfte in Bayern auf, sagt Ohlmann. Aus seiner Sicht sollten die Inhaber das Internet als Chance sehen, um Kunden anzusprechen. Nach wie vor gehöre ein klassischer Spielwarenladen zum Erscheinungsbild einer attraktiven Altstadt. Das erwarteten auch Touristen in einem Ort.

Ohlmann betont, dass das Geschäft für die Einzelhändler schwieriger geworden sei. Er rät ihnen, den Einkauf zu einem Erlebnis machen, mit Service, Beratung und Qualität zu punkten. Aus seiner Sicht sind das die Trümpfe des stationären Einzelhandels. Zudem gibt es für ihn noch einen Vorteil: Der Kunde kann die Ware gleich mitnehmen. Über das Netz bekomme er diese bis jetzt frühestens am nächsten Tag. In einem Online-Shop sieht Ohlmann aber keine Königslösung für kleine Läden. Diesen aufzubauen und zu betreiben, koste auch viel Geld.

Eine Strategie im Wettbewerb könne sein, sich Nischen zu suchen, zum Beispiel Möbel für das Kinderzimmer anzubieten. Deutschlandweit hat der Spielwarenhandel den Umsatz im Vorjahr um sechs Prozent steigern können. Einerseits würden Spielwaren mit Elektronik und Apps stetig beliebter. Andererseits verkauften sich klassische Spiele wie "Monopoly" oder "Mensch ärgere dich nicht" trotzdem gut. Und noch etwas zeige sich: Ein Viertel der Geschenke zu Weihnachten kauften mittlerweile Erwachsene für Erwachsene. Die Händler müssten sich anpassen, sagt Ohlmann: "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit." Benjamin Engel

Was ihn trotzdem jedes Jahr rettete, war das Weihnachtsgeschäft - nicht jedoch im Winter 2015. Im Vergleich zum Vorjahr machte Auracher nur halb so viel Umsatz wie sonst. "Wenn das Weihnachtsgeschäft normal gelaufen wäre, müsste ich jetzt nicht schließen", sagt Auracher.

Lego habe seit September nicht mehr geliefert, nur ein Bruchteil seiner Bestellungen sei noch berücksichtigt worden. Keine Ware, keine Kunden: Lego sei das Zugpferd unter den Spielzeugen, "und wenn kein Lego da ist, muss man auch nicht in den Laden gehen", sagt Auracher. Ein weiterer Faktor sei der zunehmende Online-Handel, den auch er zu spüren bekommen habe. Manchmal sogar hautnah. Viermal sei es ihm im Dezember 2015 passiert, dass ein Kunde sich von ihm beraten ließ und anschließend sagte, er werde jetzt nach Hause fahren und die Ware im Internet bestellen. Eine dreiste Erklärung, aber nicht so dreist wie die Kunden, die versuchten, im Internet gekauftes Spielzeug bei ihm umzutauschen. "Das hatte ich schon von Anfang an", sagt Auracher. "Das ist gang und gäbe." Dass es nach seinem Umzug in die Egerlandstraße so bergab gehen würde, damit hatte Auracher nicht gerechnet. Den Kredit, den er bei der Eröffnung des Ladens aufgenommen hatte, muss er weiter abzahlen. Die Selbständigkeit endet für ihn mit Schulden.

Kunden rascheln durch den stillen Laden. Eine Mutter legt heruntergesetztes Spielzeug auf den Tisch und fragt bedauernd, ob Auracher denn wenigstens in Geretsried bleiben werde. Er lächelt. Die Jobsuche sei bereits erfolgreich gewesen, und ja, sie werde ihn in Geretsried bleiben lassen. "Man trifft sich", sagt er.

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