Vorpremiere "Das doppelte Lottchen":Die erste Leinwand-Liebe

Kultur-Journalist Karl-Otto Saur verbindet mit der Kästner-Verfilmung Erinnerungen an seine Kindheit in Pullach. Jetzt zeigt er die Neuauflage vor der ARD als Preview in Ebenhausen

Interview von Stephanie Schwaderer

Der erste Film, den Karl-Otto Saur 1950 im damals nagelneuen Kino in Pullach gesehen hat, war "Das doppelte Lottchen". Nun wurde Erich Kästners Klassiker neu verfilmt und läuft am Ostersonntag im Programm der ARD. Sechs Tage vorher lädt Saur, der 17 Jahre bei der Süddeutschen Zeitung war, die Fernseh-Redaktion leitete und danach das Kultur-Ressort beim Spiegel verantwortete, zur Vorpremiere in der Reihe "Kultur im Keller" in sein Haus nach Ebenhausen ein. Mit dabei sind die Produzentin Uschi Reich und Klaus Doldinger, der die Filmmusik komponiert hat.

SZ: Luise oder Lotte - wer war Ihre erste Leinwand-Liebe?

Karl-Otto Saur: Natürlich Lotte. Luise hat mir gefallen, weil sie frech und turbulent war, aber sie war unerreichbar. Mit Lotte konnte ich mich solidarisieren: schüchtern, immer ein bisschen überflüssig.

Sie haben sich als Sechsjähriger überflüssig gefühlt?

Eher: nicht dazugehörig. Ich war fünf, als meine Mutter mit uns Kindern von Düsseldorf nach Pullach gezogen ist. Mein Vater hatte dort ein Grundstück gekauft, auf dem er eigentlich ein Haus für uns hatte bauen wollen. Als wir ankamen, gab es nur ein Spielhaus, das für uns Kinder gedacht gewesen war. Drei Zimmer für neun Leute.

Ihr Vater war ein enger Vertrauter Adolf Hitlers. Sie haben ihn erst mit fünf Jahren kennengelernt. Warum so spät?

Er war Gefangener der Amerikaner. Im Rahmen des Krupp-Prozesses, bei dem es um die Beschäftigung von Zwangsarbeitern ging, wurde ihm das Angebot gemacht, als Belastungszeuge auszusagen. Er ist darauf eingegangen und hat - durchaus etwas charakterlos - Krupp Sachen zugeschoben, für die eigentlich er verantwortlich gewesen war. Er ist dann frei gekommen, aber die gesamte deutsche Industrie hat fortan dafür gesorgt, dass er nie wieder einen Job bekam.

Das doppelte Lottchen

Karl-Otto Saur präsentiert die Neuverfilmung des Doppelten Lottchens mit Delphine und Mia Lohmann in Ebenhausen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Ist Ihr Vater mit Ihnen ins Kino gegangen?

Nein, er war nie im Kino. Nur einmal wurde in einer Wirtschaft in Buchenhain der "Brandner Kaspar" gezeigt, den hat er sich angeschaut und ist begeistert zurückgekommen. Ins Pullacher Kino bin ich mit meiner großen Schwester gegangen. Es hieß "Kapitol" und stand dort, wo heute die Buchhandlung Isartal ist. Sonntagnachmittag war Kindervorstellung, der Eintritt kostete 50 Pfennig, viel Geld damals.

Erinnern Sie sich, was Sie am "Doppelten Lottchen" am meisten beeindruckt hat?

Es hat mich berührt, dass die Schwestern getrennt wurden und sich nun durch Zufall wiederfanden. Aber noch viel wichtiger war für mich, dass sie in einem Ferienheim waren, an einem See, wo sie spielten und badeten, wo das Essen auf dem Tisch stand - das kannte ich alles nicht, das waren Wunschvorstellungen für mich. Ich bin 1944 geboren, mit der Not groß geworden.

Sie haben sich Ihr Leben lang professionell mit Filmen befasst. War Lotte dafür ausschlaggebend?

Vielleicht ist dieser Gedanke nicht ganz falsch. Mit zwölf Jahren, da hatte ich gerade "Danny, bitte schreiben Sie" gesehen - typischen Fünfzigerjahre-Kitsch, war ich noch fest davon überzeugt, dass es gar keine schlechten Filme geben könne. Allein, weil sie der Realität etwas entgegenhielten. Es hat lange gedauert, bis ich einen Film missraten fand. Ausschlaggebend für meinen beruflichen Werdegang war aber eher, dass meine Mutter den Lesezirkel abonniert hatte. Jeden Dienstag bekamen wir sieben Zeitschriften ins Haus, den Stern, die Quick, die Bunte, etwas abgegriffen und vier Wochen alt. Ich habe immer alle gelesen, aber am interessantesten fand ich Film und Frau, ein Heft, in dem jeweils vier Filme in Bildern nacherzählt wurden. Das hat in mir den Wunsch geweckt, Journalist zu werden.

Vorpremiere "Das doppelte Lottchen": Isa und Jutta Günther waren das doppelte Lottchen in der Verfilmung 1950. "Luise hat mir gefallen, weil sie frech und turbulent war, aber sie war unerreichbar", sagt Karl-Otto Saur.

Isa und Jutta Günther waren das doppelte Lottchen in der Verfilmung 1950. "Luise hat mir gefallen, weil sie frech und turbulent war, aber sie war unerreichbar", sagt Karl-Otto Saur.

(Foto: INTERFOTO)

Verliert der Film an Glanz, wenn man weiß, was hinter den Kulissen passiert?

Nein, gar nicht. In einem guten Film kann man immer schwelgen. Und hinter den Kulissen lernt man viele interessante Leute kennen, man verliebt sich, manchmal entstehen Freundschaften. Als junger SZ-Redakteur habe ich zum Beispiel Friedrich von Thun kennengelernt, einen wunderbaren Menschen. Ich bin froh, dass er seit 30 Jahren in meinem Leben ein Rolle spielt.

Viele Schauspieler und Regisseure haben Sie in den vergangenen 19 Jahren nach Ebenhausen geholt, darunter Volker Schlöndorff, Mathias Brandt, Senta Berger. Wie bekommt man solche Leute und deren Filme in seinen Keller?

Da spielen natürlich persönliche Verbindungen eine Rolle. Aber es hat sich in der Branche auch herumgesprochen, dass diese Abende etwas Außergewöhnliches sind. Weil hier alles immer so eng und improvisiert ist, entsteht ein besonderer Kontakt. Wann hat man als Schauspieler oder Regisseur schon die Gelegenheit, völlig absichtslos mit Zuschauern ins Gespräch zu kommen? Bei uns muss keiner was verkaufen.

Gab es auch Niederlagen?

Ja. Drei Absagen - Loriot, Sepp Bierbichler und Katja Rieman - und zwei missratene Abende. In beiden Fällen ging es um BR-Produktionen, die ich mir vorher nicht angeschaut hatte. Das eine war eine sterbenslangweilige China-Dokumentation, in der nur Wandteppiche abgefilmt wurden; das andere ein Zweiteiler mit Heiner Lauterbach: "Eine Liebe in Afrika". Am Abend vor der Vorführung habe ich kurz reingeschaut und wusste bei der ersten Szene: Das ist Mist. Lauterbach spielte einen südafrikanischen Bischof - so konstruiert! Sekunden später hat sich meine Frau zu mir umgedreht und gefragt: "Diesen Mist willst du zeigen?" In meiner Not habe ich Friedrich von Thun angerufen, der eine kleine Nebenrolle spielte, und gesagt: "Rette mich! Wenn du kommst, sind wenigstens die Frauen zufrieden." Seine Antwort: "Der Film ist Mist, da komme ich nicht." Er ist dann aber doch gekommen.

Vorpremiere "Das doppelte Lottchen": Karl-Otto Saur präsentiert "Kultur im Keller".

Karl-Otto Saur präsentiert "Kultur im Keller".

(Foto: Hartmut Pöstges)

Was ist aus dem Film geworden?

Riesenerfolg. Sechs Millionen Zuschauer.

Das ist deutsches Fernsehen!

Das kann man so nicht sagen. Als Zuschauer habe ich jeden Abend die Wahl, Mist anzuschauen oder etwas Gutes. Für den Mist entscheiden sich mehr.

Am Montag zeigen Sie eine brandneue Version vom "Doppelten Lottchen" in Ebenhausen. Ein Dutzend Varianten gibt es bereits. Braucht man da noch eine weitere Neuverfilmung?

Ja, vor allem wenn sie fürs Fernsehen gemacht wird. So schön die Originalfassung ist, vor allem für ältere Leute, die damit eigene Erinnerungen verbinden, so notwendig ist es, eine Geschichte für nachfolgende Generationen neu aufzubereiten. Uschi Reich ist Kästner-Expertin, sie hat auch schon "Pünktchen und Anton" produziert.

Und es stört Sie nicht, dass Lotte keine Briefe mehr schreibt, sondern ins Smartphone tippt?

Es stört mich immer, wenn Kinder ein Smartphone in der Hand haben. Das stört mich auch bei Erwachsenen. Nein, im Ernst: Lotte braucht ein Smartphone, das gehört heute einfach dazu.

Zur Vorpremiere am Montag, 10. April, 19 Uhr, im "Mariandl" (Rodelweg 10, Ebenhausen) sind auch Kinder eingeladen; Anmeldung unter saur@kontor.de oder Tel. 08178/930811

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: