Vom Schultheater ins Kino:"Lässigkeit vorleben"

In der Kinokomödie "About a Girl" spielt Nikolaus Frei einen Psychotherapeuten für Jugendliche. Die Erfahrungen dafür hat er als Theaterleiter am Max-Rill-Gymnasium gesammelt

Interview von Stephanie Schwaderer

Nikolaus Frei hat sich als Regisseur und Leiter der Max-Rill-Theater-Gruppe in Reichersbeuern einen Namen gemacht. Der 41-Jährige bringt mit Jugendlichen des Privatgymnasiums regelmäßig Stücke auf die Bühne, die das Niveau von Schülervorstellungen bei weitem übersteigen. Nun ist der gebürtige Münchner, der seinen Dr. phil zum Thema "Die Rückkehr der Helden" im deutschen Gegenwartsdrama gemacht hat, selbst in einer ungewohnten Rolle zu sehen: In der Komödie "About a Girl" spielt er einen Psychotherapeuten, der eine 15-Jährige fürs Leben begeistern soll.

SZ: Dr. Frei spielt Dr. Frei, und auch ansonsten scheint Ihnen diese Rolle auf den Leib geschrieben zu sein. Mussten Sie sich überhaupt ein bisschen anstrengen?

Nikolaus Frei: Und ob! Ich habe noch nie eine so große Rolle in einem Kinofilm gespielt, das ist schon etwas ganz anderes als Theater. Man muss sehr präzise sein, sehr reduziert. Dafür habe ich mich angestrengt. Und war auch ziemlich aufgeregt.

Wer hat Sie für diesen Film entdeckt?

Mit Mark Monheim, dem Regisseur, bin ich schon seit Studienzeiten befreundet. Er hat mich immer wieder bei meinen Theaterprojekten in Reichersbeuern unterstützt. Auch Martin Rehbock, der andere Drehbuch-Autor, hat an der Max-Rill-Schule schon Seminare geleitet. Wir drei kannten uns also schon lange, und die beiden trugen seit Jahren diese Filmidee mit sich herum: Ein Mädchen begeht einen ziemlich lächerlichen Selbstmordversuch und muss dann mit den Folgen leben. Dazu gehört auch der Besuch bei einem Psychologen. So halb im Witz habe ich einmal gesagt: Den würde ich gerne spielen! Dass es tatsächlich geklappt hat, empfinde ich als Riesengeschenk.

Vom Schultheater ins Kino: Was sagt man einer 15-Jährigen, die gerade einen Selbstmordversuch hinter sich hat? Nikolaus Frei als Psychotherapeut Dr. Frei in "About a Girl".

Was sagt man einer 15-Jährigen, die gerade einen Selbstmordversuch hinter sich hat? Nikolaus Frei als Psychotherapeut Dr. Frei in "About a Girl".

(Foto: Bastian Fischer/oh)

Die Rolle wurde also tatsächlich für Sie maßgeschneidert?

Die beiden wussten, wie ich mit Schülern arbeite. In einer Theatergruppe spielt Psychologie ja auch eine große Rolle. Ich versuche, die Jugendlichen zu öffnen, Geschichten aus ihrer Vergangenheit nutzbar zu machen, sie an ihre Grenzen zu führen.

Sie zu therapieren?

Nein, das wäre zu viel gesagt. Aber heilsam ist diese Arbeit auf alle Fälle. Ich glaube - ganz im klassischen Sinn - an die Katharsis im Theater, an die reinigende, heilsame Wirkung sowohl für diejenigen, die Theater spielen, als auch für die Zuschauer. Die Jugendlichen im G 8 sind einem großen Druck ausgesetzt, Theater kann ein Ventil sein: ein Ort, an dem man sich austobt und etwas erschafft. An dem man nicht durch eine Mühle gedreht, sondern zu einem kleinen Schöpfer wird. An dem man sich als Mensch erlebt und entdeckt, dass das Leben voller Geheimnisse und Möglichkeiten steckt.

Charleen, die Hauptfigur, in "About a Girl" umgibt sich am liebsten mit Toten und ist zu den Leuten, die sich um sie bemühen, ausnahmslos pampig. Sie reagieren im Film wunderbar gelassen auf sie. Wie viel echter Dr. Frei steckt in diesem Psychologen?

Viel. Sehr viel. Das beginnt beim Namen. Dass ich im Film auch Frei heiße, ist nicht nur eine Gefälligkeit unter Freunden. Frei ist auch ein sprechender Name - so wie meine Gegenspielerin im Film, die Frau vom Jugendamt, Richter heißt. Dieser Dr. Frei lässt Charleen, die wirklich toll von Jasna Fritzi Bauer gespielt wird, tatsächlich viel Freiraum, auch den Raum, ihn anzupampen. Und das ist nahe an meiner Theaterarbeit. Wenn ich bei den Proben auf jede Befindlichkeit Rücksicht nehmen oder fragen würde: "Wie geht es dir denn wirklich?", dann kämen wir niemals voran. Stattdessen lasse ich ganz viele Emotionen einfach zu: Wut, Jähzorn. Durch Ironie oder Ignoranz gebe ich den Jugendlichen zu verstehen, dass diese Befindlichkeiten gerade ganz egal sind.

Und das wirkt?

Ja. Sonst verlieren sich junge Menschen leicht in ihrem Ich-Bezogenheits-Kosmos. Man muss für sie ein Anker zur Wirklichkeit sein. Ihnen auch eine gewisse Lässigkeit vorleben. Andererseits sind es natürlich gerade die Charleens, die einen herausfordern und überraschen - all die Dinge, die man sich als Regisseur wünscht.

Wo braucht man bessere Nerven: beim Film oder in der Schule?

In der Schule braucht man den längeren Atem. Morgen kann alles weg sein, was man heute erarbeitet hat. Beim Film kommt es auf die hohe Konzentration in wenigen Momenten an. Dass man dann ganz bei sich bleibt, obwohl eine Menge Leute mit Geräten in der Hand um einen herumstehen. Das war für mich neu.

„About a Girl“

"About a Girl" ist eine schwarze Familienkomödie von Mark Monheim (Regie, Drehbuch) und Martin Rehbock (Produktion, Drehbuch), in deren Mittelpunkt die 15-jährige Charleen (Jasna Fritzi Bauer) steht. Nach einem missglückten Selbstmordversuch muss sie nicht nur mit einer besorgten Mutter (Heike Makatsch), ihrem Vater (Aurel Manthei) und einer Frau vom Jugendamt auseinandersetzen, sondern auch Therapiestunden bei einem Psychologen (Nikolaus Frei) absitzen. Dabei trifft sie auf den Klassenstreber Linus (Sandro Lohmann), der sich als hinreißender Spinner entpuppt.

"About a Girl" läuft beim Fünfseen-Film-Festival am Donnerstag, 30. Juni, in der Schlossberghalle Starnberg (nach dem Theater "Up", Beginn 19.30 Uhr) und am Sonntag, 2. August, von 16 Uhr an im Kino Breitwand in Seefeld. Offizieller Kino-Start ist am 6. August. Tölzer Schüler bekommen den Film bereits am Mittwoch, 29. Juli, zu sehen: Dort gibt es im Isar-Kinocenter eine Schulvorstellung (11 Uhr), Nikolaus Frei ist mit von der Partie.stsw

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich musste lernen, mich in die Rolle reinfallen zu lassen, damit es nicht affektiert aussieht. Mein erster Impuls war, auf den Putz zu hauen und den durchgeknallten Professor zu geben. Aber Mark Monheim wusste genau, was er wollte, und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ich habe versucht, zu machen, was er mir gesagt hat. Die Figur sollte Weisheit ausstrahlen, Gemütlichket, Entspanntheit. Das hat dann auch ganz gut geklappt.

Als eingefleischter Theatermann: Haben Sie Blut geleckt?

Auf alle Fälle! Mir hat das großen Spaß gemacht, auch die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern, Heike Makatsch, Jasna Fritzi Bauer, Sandro Lohmann, die haben mich alle so fröhlich und freundlich aufgenommen, das war eine tolle Erfahrung. Ich glaube zwar nicht, dass ich ein reiner Schauspieler sein könnte, dazu bin ich zu theoretisch und dazu erzähle ich auch zu gerne selbst ganze Geschichten. Aber ich hätte große Lust, hin und wieder eine schöne Rolle zu übernehmen.

Eine psychologische Frage zum Schluss: Warum heißt eine deutsche Komödie "About a Girl"? Steckt da ein Minderwertigkeitskomplex dahinter?

Ganz und gar nicht. Das hat eher pragmatische Gründe. Zum einen hat sich früh ein internationaler Verleih für den Film interessiert. Zum anderen ist es ein Debut-Film, mit dem man immer viele Festivals abgrast. Seit September 2014 ist er in 30 Städten gelaufen, in Italien, den USA und England, und er hat auch schon einige Preise, darunter drei Publikumspreise, gewonnen. Außerdem ist "About a Girl" auch ein Songtitel von Nirvana - und Kurt Cobain ist einer von Charleens Lieblingstoten.

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