Versorgungsengpass:Die Tafel muss Arme abweisen

Zu wenig Nahrungsmittel, zu viele Bedürftige: Die Organisation erwägt einen Aufnahmestopp in Wolfratshausen. In Lenggries gibt es den bereits. In Geretsried könnte er folgen, wenn bald Hunderte Flüchtlinge dazukommen.

Von Felicitas Amler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Was in Lenggries schon vor einem Vierteljahr geschah, steht nun für Wolfratshausen bevor: Die Tafel erwägt einen Aufnahmestopp. Zu eng, zu wenig, zu belastend: Mit diesen drei Begriffen umreißt Peter Grooten, Vorsitzender der Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel, die prekäre Situation.

Die Ausgabestelle in Wolfratshausen, das Jugendhaus La Vida, sei für die große Zahl an Empfängern zu klein. Etwa 240 Menschen aus Wolfratshausen und der Umgebung kommen mehr oder weniger regelmäßig dorthin, um Lebensmittel zu holen, die sonst weggeworfen würden. Da sie teils auch Angehörige versorgen, seien es insgesamt an die 450 Empfänger, sagt Grooten - das ist die Hälfte aller Menschen, die insgesamt in Geretsried und Wolfratshausen bedacht werden. Auf so engem Raum mit so vielen Leuten zu arbeiten sei für die ehrenamtlichen Helfer "eine ungeheure Belastung", sagt der Tafel-Chef. Da alle drei Faktoren immer ineinander griffen, sehe er auch keine Lösung.

Grootens Vorschlag, was nun zu tun ist, liest sich auf der Tagesordnung der Tafel-Versammlung so : "Steuerung des Zulaufs zur Tafel in Wolfratshausen und Geretsried." Konkret denkt er an einen Aufnahmestopp in Wolfratshausen, über den aktuell beschlossen werden soll, und an eine erste Diskussion, wie es in Geretsried weitergehen kann, wenn dort die nächsten Flüchtlingsunterkünfte - auf der Böhmwiese und beim Schulzentrum - bezogen sein werden. Denn in Geretsried sind zwar die Räumlichkeiten an der Ausgabestelle Jeschkenstraße viel größer als die in der Nachbarstadt und es gibt dort zwei Ausgabetage. Aber wenn Hunderte Flüchtlinge dazukämen, so Grooten, "ist es absehbar, dass wir nicht alle aufnehmen können". Daher soll auch in Geretsried umgesetzt werden, was die Tafel in Wolfratshausen schon praktiziert: eine Aufteilung der Empfänger, so dass diese jeweils nur alle 14 Tage kommen.

Asylbewerber abzulehnen, das werde von niemandem unter den Tafel-Verantwortlichen gefordert, sagt der Vorsitzende. "Wir behandeln alle gleich." Man müsse bedenken, dass Flüchtlinge noch weniger bekämen als Hartz IV-Bezieher - und schon die brauchten ja die Tafeln.

Grooten betont aber auch, die Tafel habe im vergangenen Jahr sowohl Geld als auch Lebensmittel "sehr, sehr gut gespendet bekommen". Aber ein gut mit haltbaren Waren gefülltes Lager sei nicht das Entscheidende: "Wir leben zu mehr als achtzig Prozent von dem, was wir regelmäßig bei den Geschäften abholen." Auf die Frage, ob er sich über die Politik ärgere, die dazu führt, dass Menschen auf die Tafeln angewiesen sind, sagt Grooten, er hätte sich, was die Flüchtlinge angeht, eine koordinierte Vorgehensweise mit Konzept gewünscht: "Die Probleme wurden entweder zwischen den Parteien hin- und hergeschoben oder man hat zugewartet ohne Idee, wie man dem begegnen kann." Als Tafel-Vorsitzender halte er sich mit solchen Überlegungen aber nicht auf. Die Tafeln leisteten das, was sie eben könnten. "Wir können nicht alle satt machen, aber wir können vielen helfen."

Das tut die Lenggrieser Tafel auch. Sprecherin Brigitta Opitz sagt, die Zahl derjenigen, die regelmäßig kommen, liege immer schon um die vierzig. Als aber der Flüchtlingscontainer eingerichtet wurde, hätte die Tafel auf einen Schlag etwa 150 Menschen zusätzlich versorgen müssen. Das sei nicht möglich "mit Ware, die jetzt übrig bleibt und für 40 Menschen reicht". Opitz betont das "übrig bleiben", denn zukaufen dürften die Tafeln laut eigener Satzung nicht. Sinn und Zweck sei es ja, jene Lebensmittel zu verwenden, die sonst im Müll landen würden.

Auch in Lenggries ist das Tafel-Lager gut bestückt, aber die kontinuierliche Abgabe frischer Waren von etwa 15 Bäckern, Metzgern, Supermärkten und kleinen Läden lässt sich nicht beliebig erweitern. "Wir werden großartig bedacht", sagt Opitz, "es geht sich mit der Menge seit acht Jahren aus." Dies aber nur, weil gar nicht alle Berechtigten zur Tafel kämen. Von der Bedarfserhebung vor Beginn der Tafel wisse sie, dass es in Lenggries 200 Sozialcard-Besitzer gebe. Durch ihre persönlichen Kontakte wiederum weiß sie aber auch, dass viele Menschen die Hilfe der Tafel aus Scham gar nicht beanspruchen. Die einen fürchteten Hänseleien der Kinder, die anderen die Blicke der Nachbarn. Und viele Ältere, die den Zweiten Weltkrieg durchgestanden hätten, sagten ihr: "Ich habe mir geschworen, nie mehr um Brot zu betteln."

Für die Asylbewerber hat die Lenggrieser Tafel eine kleine Lösung gefunden: Wann immer aus den wöchentlichen Lieferungen etwas übrig bleibe, biete sie es den Menschen im Container an, sagt Opitz. Und zu den Kleiderkammer-Terminen der Flüchtlinge, zweimal im Monat, fülle sie dort immer ein Regal mit Konserven, Nudeln und Ähnlichem auf.

Die einzige Tafel im Landkreis, die offenbar noch keine Versorgungsengpässe hat, ist die Tölzer. Ihr Sprecher Wolfgang Emmerich sagt, bei 20 bis 22 Zuliefer-Betrieben und 200 Menschen, die an die Tafel kämen, herrsche noch "normaler Betrieb". Die Zahl der Empfänger sei zwar im vergangenen Jahr um 30 bis 40 Prozent gestiegen, aber es gebe nun eben pro Person etwas weniger.

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