Veranstaltungsreihe:Hindernisse aus dem Weg räumen

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Christian Ullrich ist Schwimmmeister im Alpenwarmbad Benediktbeuern. Es ist das einzige völlig behindertengerechte Freibad im Landkreis (Foto: Manfred Neubauer)

Bayern soll bis 2023 barrierefrei sein. Eine Veranstaltungsreihe der Behindertenbeauftragten im Planungsverband Oberland soll zeigen, wie das erreicht werden kann. Manche Maßnahmen sind erstaunlich einfach

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Eine junge Frau sitzt draußen am Beckenrand und erhebt sich halb aus dem Rollstuhl. Ein junger Mann, der ebenfalls auf eine solche Mobilitätshilfe angewiesen ist, begibt sich drinnen in die große Dusche, die mit Handläufen und einer niedrigen Sitzbank ausgestattet ist. Nach der Generalsanierung sei das Alpenwarmbad Benediktbeuern "das einzige Freibad im Landkreis, das völlig behindertengerecht ist", sagt Ralph Seifert, Behindertenbeauftragter des Landkreises. "Eine Riesensache." Das demonstrierte er am Donnerstag mit Fotos der beiden Rollstuhlfahrer, die er per Computer auf die Leinwand im Sitzungssaal des Landratsamtes warf.

"Oberland für alle - Barrierefreiheit im öffentlichen Raum" war die Auftaktveranstaltung für eine Veranstaltungsreihe überschrieben, die von den Behindertenbeauftragten im Planungsverband Region Oberland organisiert wird. Sie fußt auf der Regierungserklärung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der 2013 verkündete, dass Bayern bis 2023 barrierefrei sein soll. Was dies bedeutet, stellte Hubert Schmid klar. Gemeint sei nicht, nun jede Nebenstraße und jeden Hinterhof im Freistaat behindertengerecht umzugestalten, sagte der Leitende Baudirektor für Städtebau und Bauordnung der Regierung von Oberbayern. "Dafür würde das Geld nicht reichen." Vielmehr sollten wichtige Punkte in den Kommunen barrierefrei werden.

Der Landkreis macht dabei Fortschritte. Seifert führte dies mit Beispielfotos vor: ein hürdenfreier Weg zum Eingang einer Pension in Eurasburg, eine neue Rampe vom Parkplatz zu einem Supermarkt in Benediktbeuern, rollstuhlgerechte Auffahrten zur Basilika in Benediktbeuern, eine eigene Rampe für eine Schülerin vor der Grundschule Eurasburg. Dennoch mahnte Seifert: "Der demografische Wandel schreitet in großen Schritten voran, alle Kommunen müssen sich mit dem Thema befassen."

Um Barrierefreiheit nicht bloß in ihren Rathäusern, Schulen und Kindergärten, sondern auch auf Straßen und Plätzen zu schaffen, benötigen die Kommunen eine Strategie. Das hob Christine Degenhart hervor, Sprecherin der Beratungsstelle Barrierefreiheit der Bayerischen Architektenkammer. Wichtig seien die Identifizierung, die Analyse und die Verknüpfung relevanter Punkte in einer Gemeinde, damit "nicht immer an irgendwelchen Enden gebastelt wird". Die Architektin erläuterte die Schutzziele aus der sogenannten DIN 18040-3. Diese Grundlage für Planungsaufgaben im öffentlichen Verkehrsraum beschreibt das Was, weniger das Wie von behindertengerechten Umgestaltungen. Beim Bauen im Bestand seien solche nicht immer möglich, sagte Degenhart. Dann müsse man mit organisatorischen Mitteln nach Alternativen suchen. Sie veranschaulichte dies unter anderem am Franz Marc-Museum in Kochel. Das sei innen zwar barrierefrei, draußen aber sei ein behindertengerechter Weg vom Parkplatz steil hinauf zum Eingang nicht anzulegen, erklärte sie. "Eine Bergbahn ist da auch nicht das richtige Mittel." Eine Option sei allerdings, dass Navigationsgeräte in Autos die gehandicapten Menschen gleich zu den Behindertenparkplätzen hinter dem Museum führten. Hubert Schmid erläuterte eine ähnliche Situation am alten Rathaus in Miesbach, wo die schönen Aufgangstreppen nicht einfach abgerissen werden konnten. Auch dort werden Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte zum Hintereingang gelotst. Eine barrierefreie Umgestaltung birgt aber noch andere Probleme. Oftmals kommt es zu Interessenskonflikten: Gastronomen räumen Tische und Stühle ins Freie, versperren damit aber den Weg für behinderte Menschen, ebenso Fahrradfahrer, die ihre Räder kreuz und quer auf dem Gehsteig abstellen. "Zu Radfahrern möchte ich nur eines sagen: Runter mit denen von den Gehwegen", betonte Degenhart.

Auch die Gehandicapten selbst haben unterschiedliche Bedürfnisse. Eine zur Fußgängerzone umgebaute Straße ohne Bordsteine hilft Rollstuhlfahrern, für Blinde und Sehbehinderte, die einen Stock brauchen, bietet sie hingegen keine Orientierung mehr. Die Ziele in einer Stadt müssten für alle auffindbar sein, sagte Degenhart. Ebenso wichtig sei die Durchgängigkeit in einer Kommune, damit behinderte Menschen vom Bahnhof zum Rathaus, von der Schule zum Wohngebiet kommen.

"Barrierefreiheit ist für alle gut, nicht nur für Menschen mit Behinderungen", sagte Irmgard Badura, Behindertenbeauftragte der bayerischen Staatsregierung. Die Kommunen forderte sie auf, Barrieren zu erkennen "und - bitte, bitte - Stück für Stück abzubauen". Auf die Situation von tauben oder schwer hörenden Menschen wies Sabine Schlüß vom Bayerischen Landesverband für die Wohlfahrt Gehörgeschädigter hin. Sie benötigten ein induktive Ausrüstung - sprich Höranlagen - in Bürgerbüros und anderen Servicestellen, optische Informationen, Dolmetscher und ein Leitsystem, das auf dem Drei-Sinne-Prinzip "Hören, Sehen, Tasten" basiert.

Der Weg zu einer behindertengerechten Gemeinde ist mitunter steinig. Wackersberg habe eine schwierige, weil bergige Topografie, sagte Bürgermeister Alois Bauer. Ein Problem sei auch die Absenkung von Bordsteinen - wegen der Wasserläufe am Straßenrand. Bei Starkregen komme es dort zu einem regelrechten Wasserschwall. Außerdem würden Autofahrer dazu verleitet, auf den Gehwegen zu parken, wenn der Randstein niedriger ist.

Landrat Josef Niedermaier (FW) wünscht sich, dass im Landkreis "eine große Bewegung" in puncto Barrierefreiheit entsteht. Das Thema sei in den Planungen immer noch "das Einfachste und Schnellste, was hinten herunter fällt". Ein sehbehinderter Zuhörer monierte die Querung auf der Bundesstraße 472 vor dem Landratsamt. "Was muss man machen, dass die Ampel für Blinde und Sehbehinderte umgerüstet wird?", fragte er. Ganz einfach, erwiderte Michael Kordon, Leiter des Staatlichen Bauamts Weilheim. Die Stadt müsse ihm diesen Bedarf mitteilen - "das Nachrüsten dürfte das Problem nicht sein."

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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