Unterm Dach der SZ:Endlich ohne Amt

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Drei scheidende Bürgermeister: Michael Bromberger, Georg Rauchenberger und Hans Mummert freuen sich auf die Zeit als "Bürger wie die anderen".

Von Alexandra Vecchiato

Eines wird schnell klar: Diese drei Männer an diesem Tag an einen Tisch zu bringen, war ein Glücksfall. Kaum, dass sich Georg Rauchenberger (Benediktbeuern), Michael Bromberger (Eurasburg) und Hans Mummert (Penzberg) begrüßt haben, tauschen die Bürgermeister schon ihre Termine aus. "Ich bin komplett voll", sagt Bromberger. "Ich hab' gar keine Zeit mehr für eine letzte Bürgerversammlung. Das habe ich nicht mehr geschafft", ergänzt Rauchenberger. Und Mummert pflichtet ihm bei: "Nächste Woche schaut's ganz schlecht aus." Bis Ende April sind sie im Amt, lenken die Geschicke ihrer Kommunen. Im Mai beginnt ein neues, ungewohntes Leben für sie. Ein Leben ohne den täglichen Gang ins Rathaus und ohne öffentliche Verpflichtungen.

Rauchenberger, 64 Jahre, trat wie seine Amtskollegen Bromberger, 67 Jahre, und Mummert, ebenfalls 67, nach drei Amtsperioden bei der Kommunalwahl im März nicht mehr an. Jeweils 18 Jahre lang waren sie Bürgermeister. Der parteifreie Georg Rauchenberger ging für die CSU ins Rennen, Michael Bromberger für die Gemeinsame Wählervereinigung, Hans Mummert ist Mitglied der SPD.

Auf die Frage, ob sie ihre Arbeit vermissen werden, kennen die drei nur eine Antwort. "Ich bin froh, dass Schluss ist", sagt der Eurasburger Bürgermeister. Aber natürlich gebe es da auch noch das weinende Auge: "Ich habe keinen Tag bereut. Dieses Amt war eine unglaubliche Bereicherung meines Lebens. Aber jetzt ist die Zeit da, jetzt muss Schluss sein." Er könne sich nur seinem Vorredner anschließen, sagt Mummert. Es sei eine interessante Zeit gewesen, während der er täglich Neues habe dazulernen dürfen. "Nun bin ich froh, dass diese Zeit endet."

Es ist eine muntere Runde an diesem Nachmittag. Kaffee und Kuchen stehen auf dem Tisch. Mummert gibt den Gastgeber. Zu erzählen haben die drei viel. Von Wehmut ist nichts zu spüren. Nachdenklich, ja, das werden die scheidenden Bürgermeister das ein oder andere Mal.

Was danach komme, nach all den Jahren im Amt? Wieder etwas Neues, erwidert Bromberger. Er lasse dieses Neue auf sich zukommen. Aber viel wichtiger sei: "Ich möchte zuerst erleben, wie das ist, wenn man nicht mehr muss." Kein Leben nach dem Terminkalender mehr führen, darauf freue er sich und ist sich sicher: "Trotzdem werden meine Tage ausgefüllt sein."

Anders als Mummert und Rauchenberger hat sich Bromberger nicht mehr für den Kreistag aufstellen lassen. "Das war für mich eine ganz klare und wichtige Entscheidung", betont er. "Was jetzt kommt, muss gewollt sein und keine Pflicht. Ich wollte komplett mit der Politik abschließen." Ursprünglich sei dies auch sein Plan gewesen, sagt Rauchenberger. Er habe dem Drängen nachgegeben und sitze künftig wieder für die CSU im Tölzer Kreistag. "Weil sonst niemand mehr aus dem Benediktbeurer Raum in dem Gremium sitzen würde", sagt er. Kreisrat zu sein sei nach nicht so belastend. Auch er sei froh, seine privaten Termine künftig nicht mehr zwischen gemeindliche Verpflichtungen quetschen zu müssen. Endlich könne man einen Urlaub "normal" planen.

Langweilig werde ihm sicher nicht, sagt auch Mummert. Er wird weiterhin als Kreisrat im Landkreis Weilheim-Schongau unterwegs sein, um die SPD zu unterstützen. Aber eben nicht mehr an vorderster Front. Konkrete Pläne habe er nicht. "Ich mach' keine Weltreise, nicht Halligalli. Wenn ich in meinen Terminkalender vom Monat Mai an schaue, dann sind da nur weiße Seiten." Na ja, fast. "Vielleicht noch das Volksfest."

Rauchenberger und Bromberger lachen. Ja, das "Privatier sein" will gelernt sein. Davon legen die folgenden Anekdoten Zeugnis ab: Mummert plant, mit seiner Frau Evi im Juli das Konzert von Udo Lindenberg in Düsseldorf zu besuchen - und noch ein paar Tage in der Stadt zu bleiben: "Da hab' ich erst in meinen Terminkalender geschaut, ob's überhaupt geht. Und bin erst dann darauf gekommen, dass ich ja frei habe." Ähnlich sei es ihm ergangen, erzählt Rauchenberger. Er wolle am 24. Mai nach Passau zur Bischofsweihe von Stefan Oster fahren und mit seiner Frau ein "bisserl dort Urlaub machen". Auch seine erste Reaktion sei gewesen, in den Kalender zu schauen. "Man wird schon geprägt von dieser Arbeit", sagt Bromberger dazu. Die vergangenen Jahre seien anstrengend gewesen. Die vielen Abendtermine, Stadtratssitzungen, Fraktionssitzungen, sagt Mummert: "Vielleicht habe ich es auch damit übertrieben."

Ruheständlern wird nachgesagt, sie suchten sich Hobbys, um sich weiterhin zu beschäftigen. Bürgermeister haben naturgemäß im Laufe ihrer Amtszeit das ein oder andere Ehrenamt mehr oder weniger freiwillig übernommen. Wie sieht es damit aus? Mummert kann sich vorstellen, ehrenamtlich bei der Bürgerstiftung Energiewende Oberland mitzuarbeiten. Etwa als Stiftungsrat. Seiner Frau, die das Kleinkunstfestival "Tollhub" in Penzberg organisiert, will er bei ihrer Arbeit helfen. In jungen Jahren habe er selbst Kabarett gespielt. "Kleinkunst, das macht mir Spaß. Das ist ja mehr Freizeit."

Er habe in den ersten Jahren seiner Amtszeit viele Vereinsposten abgegeben, sagt Rauchenberger. Eines möchte er jedoch weiterhin tun: Die freundschaftlichen Beziehungen Benediktbeuerns nach Italien zu den Zimbern pflegen, das habe er mit seinem Nachfolger schon ausgemacht.

Ein wenig diffiziler gestaltet sich die Sache mit dem Ehrenamt bei Bromberger. 40 Jahre ist er im Vorstand der Gebirgsschützenkompanie Beuerberg-Herrnhausen. Das Amt des Vorsitzenden würde er gerne abgeben. Bleiben möchte er hingegen Gauhauptmann der Gebirgsschützen. Rauchenbergers Kommentar: "Ein anderer schaut ned her. Das bleibt dir noch." Und mehr Zeit haben für sein großes Hobby, die Jagd, möchte Bromberger. "Als freier Mann draußen im Revier", sagt er das. Aber man müsse vorsichtig sein, diese Erfahrung habe er gemacht, erzählt der Eurasburger Bürgermeister weiter. Sonst komme man zu neuen Ämtern, was man ja eigentlich habe vermeiden wollen. So sei es ihm vor etwa 14 Tagen ergangen. Der Kreisjugendring habe ihn eingeladen, circa zweimal im Jahr zu seinen Sitzungen zu kommen. "Habt's keinen älteren Esel, hab' ich sie gefragt", sagt Bromberger. Hingegangen sei er trotzdem - und nun sitze er als Vertreter des Kreisjugendrings im Jugendhilfeausschuss des Kreistags. Zwar nur als Stellvertreter, aber immerhin. "Da habe ich mir gedacht: Mann, gib Obacht." Mummert und Rauchenberger bestätigen, dass auch ihnen schon das ein oder andere Ehrenamt angetragen worden sei. Sie scherzen darüber, wie man diesen neuen Posten entgehen könnte.

Ernster werden die drei bei der Frage nach den Veränderungen während ihrer Amtszeit. Allein schon durch die modernen Kommunikationsformen sei alles hektischer geworden, berichtet Rauchenberger. Als er vor 41 Jahren in der Gemeindeverwaltung Benediktbeuern zu arbeiten begonnen habe, seien noch Briefe geschickt worden, später mal ein Fax. Heutzutage schmeiße man den Computer an, habe jede Menge E-Mails im Postfach - und jeder dieser Schreiber erwarte prompt eine Antwort noch am Vormittag.

Früher sei der Bürgermeister eine Respektsperson gewesen, sagt Mummert. Was er gesagt habe, sei gemacht worden. Er bedauere es nicht, dass diese Hierarchien abgebaut worden seien und Bürgermeister, Verwaltung und Bürger auf gleicher Ebene kommunizierten. Doch so sehr er Bürgerbeteiligung schätze, so sehr habe er als Bürgermeister deren Grenzen erkennen müssen. "Auch wenn man alle Informationen nach außen gibt, schreien immer ein paar, dass sie nichts davon gewusst hätten, wenn es um schwierige Projekte geht." Bei vielen Bürgern herrsche Desinteresse an der Kommunalpolitik. Erst wenn sie selbst von einer Entscheidung betroffen seien, würden sie aktiv. Das könne dazu führen, dass in Zukunft Minderheiten das Leben aller bestimmen würden. Auch habe er in den vergangenen Jahren erlebt, dass man ihm als Politiker grundsätzlich Misstrauen entgegenbrachte. "Damit kann ich gar nichts anfangen", sagt Mummert. Und zudem gebe es eine große schweigende Mehrheit. "Da braucht man sich doch nur die Wahlbeteiligung anschauen. Dann weiß man, was los ist", sagt Rauchenberger. Die habe in Benediktbeuern bei 67 Prozent gelegen. "Damit bin ich nicht zufrieden, wenn ein Drittel daheim bleibt." Sehr erschüttert sei er gewesen, sagt Mummert zur Wahlbeteiligung.

Aber nicht, dass jetzt das Bild entstünde, hier säßen drei frustrierte Bürgermeister, sagt Bromberger lachend. Ihre Nachfolger werden an all dem nicht verzweifeln. "Es ist ja auch eine ganz andere Ausgangsposition, wenn ich 40 bin oder wie wir zwischen 64 und 67. Deshalb ist es ja auch gut, dass wir aufhören", betont er. Schon allein, wenn er an die sozialen Medien denke, sei er froh, künftig nicht mehr Bürgermeister zu sein. "Da schauen wir gar nicht rein, gell, Michi", witzelt Rauchenberger. Auch Mummert hat mit Facebook nichts am Hut. "Das ist die Stärke unserer Generation", sagt dazu Bromberger. Sie hätten sich nicht mit dieser Art von Öffentlichkeit auseinandersetzen müssen, im Gegensatz zur neuen Generation von Bürgermeistern. "Die müssen damit umgehen lernen und sich mit vielem beschmeißen lassen." Rauchenberger ist sich sicher, dass künftig kein Bürgermeister mehr eine Wahl ohne aktiven Wahlkampf via soziale Medien gewinnen könne. "Es reicht nicht mehr, in Vereinen Mitglied zu sein, Wahlveranstaltungen zu machen und Flyer zu verteilen."

"Dann ist es ja doch Zeit für uns geworden", sagt Mummert abschließend. Vielleicht auch Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Ob sie Entscheidungen bereuen? Nein, lautet die einhellige Antwort der drei scheidenden Bürgermeister. Auch wenn die politische Auseinandersetzung ihre Spuren hinterlassen habe. Es habe in seiner Amtszeit Sitzungen gegeben, vor denen er sehr nervös gewesen sei, erzählt Bromberger. Wenn man nicht einschätzen konnte, wie eine Abstimmung ausgehen werde. "Aber das ist Demokratie", sagt Mummert. Ihm habe die Erfahrung zugesetzt, dass Bürger ihn persönlich angegangen hätten. Wenn die Leute ihn nicht mehr angeschaut hätten. "Das war sehr belastend", sagt der Penzberger Bürgermeister. "Man will ja Gutes tun, kann es aber nicht jedem recht machen." Wenn er seinen Kollegen so zuhöre, dann sei doch eines wesentlich, schließt Bromberger: "Wir sind uns einig, dass es gar nicht so weit gefehlt hat. Dass wir wohl alle nichts rückgängig machen würden. Also, mir fällt nichts ein."

Worüber würden sie sich in zehn Jahren freuen? "Wenn die Leute sagen würden: Es ist nach dir genauso gut weitergegangen. Das wäre mir das Wichtigste." Und für Rauchenberger: "Wenn man zum Bäcker geht und die Kinder grüßen einen noch. Wenn man noch ab und zu gebraucht wird." Sein Wunsch sei, dass Penzberg sich weiterentwickle, sagt Mummert. "Und dass ich ein Bürger bin wie die anderen, ein Bier mit den Penzbergern trinken und mit ihnen ratschen kann.

© SZ vom 26.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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