Straßenverkehr:Das Ende der Alleen

Alleen im Landkreis

Die Lindenallee, die zum Kloster Benediktbeuern führt.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Fällaktion nach dem Unfall an der B11 in Icking war wohl nur der Anfang. Wenn Bäume den Verkehr gefährden, müssen sie nach einer Richtlinie entweder hinter einer Leitplanke verschwinden oder gleich ganz weichen.

Von Claudia Koestler

Alleen und Baumreihen sind landschaftsprägend, Lebensraum und Kohlendioxidspeicher zugleich. Schriftsteller wie Theodor Fontane setzten ihnen Denkmäler, wenn sie Wanderungen durch schattige Alleen beschreiben, das Wandeln unter alten Linden oder Reisen auf Straßen, gesäumt von Ebereschen. In Bayern gibt es weniger Alleen als in den nördlichen oder östlichen Bundesländern. Dennoch bestimmen große Bäume an den Straßen das Bild der ländlichen Umgebung. Das aber wird sich ändern: Weil Bäume als verkehrsgefährdendes Hindernis entweder hinter Leitplanken verschwinden oder gefällt werden.

Um dem wachsenden Verkehr, breiteren und schnelleren Fahrzeugen und generell der Sicherheit Rechnung zu tragen, sieht das Verkehrssicherheitsprogramm 2020 "Bayern mobil - sicher ans Ziel" an Bundes,- Staats- und Kreisstraßen die Beseitigung von Hindernissen an den Seiten oder die Absicherung vor. Entstehen soll ein "fehlerverzeihender Seitenraum": Ein 7,50 Meter breiter Streifen entlang der Straßen muss frei bleiben oder mit Schutzplanken versehen werden. 2015 hatte die Oberste Baubehörde Hinweise zur "Richtlinie für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhalte-Systeme" herausgegeben. Darin wird empfohlen, vor dem Aufstellen von Leitplanken zu prüfen, ob Hindernisse entfernt werden können. Als Hindernisse gelten unter anderem Bäume.

Angewendet wurde diese Handlungsempfehlung kürzlich in Icking: Nachdem sich am 1. Mai auf der Bundesstraße 11 zwischen Ebenhausen und Icking ein schwerer Unfall ereignet hatte, bei dem ein Auto an einem Baum zerschellte und zwei junge Männer ihr Leben verloren, handelte das Staatliche Bauamt Weilheim danach. In Absprache mit der Unfallkommission des Landkreises ließ die Behörde den Unfallbaum fällen, weil dieser durch den Aufprall seine Standfestigkeit verloren hatte. Darüber hinaus wurden zur Verkehrssicherung drei weitere, benachbarte Bäume umgeschnitten. Stattdessen Leitplanken zu installieren war nach Angaben von Julia Schneider, Gebietsinspektorin im Bauamt Weilheim, nicht möglich. Es gebe an der Strecke zu viele Feldeinfahrten. Durch die Unterbrechungen hätten Leitplanken keine Schutzfunktion geboten.

"Leitplanken oder Baum entfernen, vor dieser Frage stehen wir immer wieder", sagt Michael Kordon, Leiter des Staatlichen Bauamts in Weilheim. Gerade weil Baumfällungen "ein brutal emotionales Thema" seien, wie Kordon weiß, wäge das Amt jeden Fall einzeln und sorgfältig ab: "Wir schicken nicht einfach Trupps mit der Kettensäge los, die pauschal alle Alleen absäbeln", betont er. Dennoch stehe auch für ihn fest, dass sich der Anblick des Straßenbilds bis 2020 deutlich verändern wird. "Diese Richtlinie ist ein konkreter Plan, an den Straßen aufzuräumen mit den Bäumen", befürchtet Friedl Krönauer, Vorsitzender der BN-Kreisgruppe.

Er beobachte schon länger, dass die Landschaft "verkehrsgerecht umgebaut" werde: "An manchen Strecken, etwa der Autobahnauffahrt, ist bereits regelrecht gewütet worden. Es wird, überspitzt gesagt, so lange gesägt, wie Sprit in der Motorsäge ist". Er befürchtet, dass die Umsetzung der Richtlinie das Ende der Alleen und Baumreihen bedeutet, zumal das Ickinger Beispiel nicht alleine stehe: "In Garmisch-Partenkirchen fiel jüngst eine ganze Linden-Allee dieser Richtlinie zum Opfer", sagt Krönauer.

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen beobachte er ähnliche Tendenzen, wenn auch scheibchenweise umgesetzt: So seien vor einiger Zeit alte Eichen zwischen Bad Tölz und Reichersbeuern gefällt worden. Krönauer vermutet denselben Grund. Ihm fehle bei den Bemühungen zur Verkehrssicherung "ernsthafte Absichten, stattdessen das Tempo auf den Straßen zu senken". Solange das nicht Vorrang habe, fordert er eine klare Positionierung der Straßenbauämter: "Leitplanken statt Fällung!" Werde das anders gehandhabt, "werden die Naturschutzverbände entschiedenen Widerstand leisten", kündigt er an.

Das Fällen von Bäumen, die näher an der Straße stehen als 7,5 Meter, sei grundsätzlich das letzte Mittel der Wahl, versichert Kathrin Fändrich, Sprecherin des bayerischen Verkehrsministeriums. Die Richtlinie werde auch nicht proaktiv umgesetzt, sondern dann, wenn bestehende Straßen um- oder ausgebaut oder weitreichend erneuert werden. Oder aber, wenn sich auf einer Strecke Unfälle häufen, bei denen Fahrzeuge von der Fahrbahn abkommen, respektive, wenn sich innerhalb von fünf Jahren Unfälle an Bäumen häufen. Die Unfallkommission prüfe dann, ob eine besondere Gefährdungslage bestehe und wäge ab. Die Baumfällung sei die "ultima ratio", sagt Fändrich. Vorher müssten alle Belange wie Verkehrssicherheit, Allgemeinwohl, Naturschutz- und Waldrecht berücksichtigt werden. Im konkreten Ickinger Fall sei die Strecke durch den tödlichen Unfall eben "zu einer Unfallhäufungsstrecke" mit den Kriterien "Abkommen von der Fahrbahn" und "Baumunfälle" geworden, erklärt die Sprecherin.

Im Landkreis gibt es Kordon zufolge weit mehr einseitige Reihen mit teils großen und alten Bäumen als Bundes,- Staats- und Kreisstraßen, die klassische Alleen sind. Dazu zählt beispielsweise die Eichenallee bei Lochen nahe Dietramszell oder die Kreisstraße Töl 3 in Benediktbeuern. Sie bildet nördlich und südlich des Klosters eine der prominentesten Lindenalleen im Landkreis.

Das Verkehrsministerium hat keine Zahlen dazu vorliegen, wie viele Kilometer Baumreihen aktuell in Bayern und im Landkreis stehen und an welchen Straßen aufgrund der Richtlinie schon Bäume gefällt wurden.

Bauamtschef Kordon wird konkreter: Seit 2012 seien rund 200 Bäume an Straßen im Zuständigkeitsbereich des Bauamts Weilheim gefällt worden. Er schätzt, dass alleine im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen in diesem Zeitraum an die 70 Kilometer Leitplanken neu installiert wurden. Er hofft, dass bis 2020 alle bestehenden Baumreihen mit Schutzplanken versehen werden können statt sie zu beseitigen. "Wo wir aber nicht anders können nach Absprache mit den Unfallkommissionen, da werden Ersatzpflanzungen vorgenommen", verspricht er. Dann aber in entsprechendem Abstand zur Straße. Trotz aller Richtlinien und Umbauten ist Kordon überzeugt: "Es wird auch in Zukunft Bäume an den bayerischen Straßen geben".

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