Transsexualität:Wenn der Papa eine Frau ist

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Amanda und Winardi Reiter (rechts) sind seit 2014 verheiratet. (Foto: privat)

Amanda Reiter machte als Mann alles so, wie man es eben macht: Ausbildung, Heiraten, Kinder kriegen. Aber etwas war falsch.

Von Alexandra Vecchiato, Lenggries

Dunkelrot gefärbte Haare, figurbetontes Kleid, hohe Schuhe, das passende Make-up - als mode- und selbstbewusste Frau präsentiert sich Amanda Reiter in ihrem Büro an der Wegscheider Straße. Mehrere Bildschirme stehen auf ihrem Schreibtisch. Reiter ist Unternehmerin, entwickelt Softwarelösungen. Sexy zu sein - ist das für sie wichtig? Sie zögert.

Lange und hart habe sie für ihr neues Leben in einem neuen Körper kämpfen müssen, erwidert sie. Vielleicht sei dieser ihr nun so wichtig, weil er ihr nicht von Geburt an gegeben war. Die Lenggrieserin, Jahrgang 1967, kam nicht als Frau zur Welt, sondern als Hermann Reiter. Das Leben schien dem jungen Mann vorbestimmt: arbeiten im elterlichen Sägewerk, heiraten, eine Familie gründen. Es sollte anders kommen.

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"Ich war so, wie man mir sagte, dass ich zu sein habe"

Rückblickend sagt Amanda Reiter, sie sei wohl zwangsweise zum Mann erzogen worden. Dabei ist sie sich sicher, dass ihre Mutter um die feminine Seite des Sohnes wusste. "Da war was da und es wurde wegerzogen. Mir war das allerdings nicht bewusst. Das lag im Nebel." In der Schule hätten die Lehrer dem jungen Hermann nahegelegt, sich mit den anderen Buben zu raufen, um zu lernen, sich durchzusetzen. Zu sensibel sei er, wurde Hermann gescholten.

Danach folgte die Zeit in der Bundeswehr. "Ich war so, wie man mir sagte, dass ich zu sein habe", berichtet Amanda Reiter. Fragen habe sie sich damals nie gestellt, obwohl sie sich in ihrer Männer-Haut nicht wohlfühlte. Das führte zur Isolation. "Ich hatte ein sehr eingeschränktes Leben."

Hermann machte eine Ausbildung zum Holzverarbeitungsmechaniker. Dabei hätte er viel lieber Informatik studiert. Dennoch, sagt Reiter, habe sie damals ein völlig normales Leben geführt. Geheiratet habe sie, "weil man das so macht". Sieben Jahre lebte Hermann Reiter mit seiner Ehefrau zusammen. Als Sohn Leo, heute neun Jahre alt, geboren wurde, "war ich die Mama".

Mit Mitte, Ende 30 änderte sich etwas im Leben des Hermann Reiter. Seine Ehe war am Ende. Es habe keine Probleme gegeben, aber auch keine Gemeinsamkeiten. "Ich dachte, ich könnte homosexuell sein." Reiter recherchierte: "Das war ich nicht. Ich konnte das Thema abhaken." Auf die Idee, transsexuell zu sein, sei sie damals nicht gekommen. "Transen sind schräg, aber ich doch nicht." Bis Reiter andere Transsexuelle traf und einen Test im Internet fand. Der ergab: "Voll bestanden. Ich bin eine Frau."

Nun finde man im Internet viel "Schmarrn". Als Frau zu leben, dazu noch in Lenggries im Sägewerk - das sei ihr anfangs nicht in den Sinn gekommen. Amanda Reiter wollte ein Mann bleiben. Bis sie eine transsexuelle Freundin hatte. "Das war, als würde ich in einem Spiegel mich selbst sehen." Reiter zog einen Psychologen zu Rate. Mit seiner Hilfe wagte sie den Schritt, der ihr Leben komplett verändern sollte. "2013 war es, als ich als Frau hier in Lenggries in den Supermarkt zum Einkaufen gegangen bin." Besser gesagt, als sehr femininer Mann, ergänzt Reiter.

In jenem Jahr begann Reiter mit einer hormonellen Behandlung. 2015 entschied sich Amanda Reiter für eine Geschlechtsanpassung. Wer das tut, muss 18 Monate lang in eine Psychotherapie gehen. Zwei Gutachten bestätigten Amanda Reiter, dass sie im falschen Körper steckte. Operiert wurde sie von einem der führenden Chirurgen auf diesem Gebiet in Thailand. Neun Stunden dauerte der Eingriff. "Es ist, als ob man komplett auseinandergenommen würde."

Mit der angleichenden Operation kam die Freiheit

Dieser Schritt, diese Entscheidung sei wie ein Sprung ins kalte Wasser gewesen. "Aber kein Fehler", betont sie. Sie habe ihre Lebensqualität um 500 Prozent steigern können, sagt sie. 2013 sei sie noch ein schüchterner, introvertierter Mann gewesen, jetzt eine extrovertierte, aktive und positiv eingestellte Frau. "Ich habe eine Freiheit gewonnen, die ich nie wieder missen möchte. Ich habe mich verabschiedet vom Mann-Sein."

Für ihren Sohn werde sie immer "der Papa" bleiben. Probleme mit ihrem Wandel vom Mann zur Frau habe er nie gehabt. "Ich habe ihm das Thema auch nie als Problem vermittelt." Eines ihrer schönsten Erlebnisse sei die Begegnung mit einer Mitschülerin ihres Sohnes gewesen, sagt Amanda Reiter. Das Mädchen sei auf sie zugekommen und habe gefragt: "Bist du der Papa vom Leo?" Ja, habe sie erwidert. "Cool", meinte daraufhin das Mädchen.

2014 hat Amanda Reiter wieder geheiratet, mit einer neuen Geburtsurkunde und einem neuen Pass in der Tasche. Mit ihrem Ehemann, Winardi Reiter, und Sohn Leo habe sie nun ihre eigene kleine Familie, sagt sie. Nie habe es irgendwelche Anfeindungen oder blöde Kommentare gegeben, obwohl viele ihr geraten hatten, sich nicht in einer kleinen Gemeinde wie Lenggries zu outen. "Ich habe mich immer als geachtete Geschäftsfrau gefühlt", betont Amanda Reiter.

Bis in diesem Jahr ihre Transsexualität auf diskriminierende Weise beim Lenggrieser Faschingszug thematisiert wurde. Amanda Reiter reagierte selbstbewusst und couragiert. Sie suchte das Gespräch mit den jungen Männern, die den Faschingswagen gebaut hatten - und erreichte, was sie wollte. Die Burschen entschuldigten sich und gestanden ihren Fehlgriff ein. "Was hätte ich von einem langen Rechtsstreit? Ein Happy End ist doch viel besser", sagt Amanda Reiter.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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